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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Freitag, 27. Oktober 2017; 19:44
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Postelectorales:

> Wir holen uns die Zukunft zurück

Von *Birgit Hebein*

Am 15. Oktober fiel für uns Grüne eine Tür zu: Wir sind nicht mehr im
Parlament vertreten. Das klare Votum ist zu respektieren und bevor wir
wieder den Blick auf die WählerInnen richten können und Türen öffnen, müssen
wir nach Innen sehen. Ich spreche hier als Teil eines großen Ganzen und über
meine Mitverantwortung in diesem großen Ganzen.

Es ist klar und steht außer Streit, dass es schonungslose externe Analysen
braucht, deren Konsequenzen schmerzhaft und radikal sein müssen, denn nur so
kann ein Neustart gelingen. Ein Neustart, der unsere Grundidee von einer
sozial gerechten und ökologisch menschenfreundlichen Welt nicht aufgibt,
denn diese Idee ist gut und die Welt muss besser werden. Ein vorauseilender
Gehorsam der Anpassung würde einer (voraussichtlich) schwarz-blauen
Regierung nur zeigen, wie weit sie ihre Macht ausdehnen kann. Bereits jetzt
zeigt sich eine weiter zunehmende Frauenverachtung.

Heute ist die politische Szene anders als in den Anfangsjahren der Grünen.
Auf der einen Seite erleben wir in heute einen Rechtsruck, der uns rohe
Bürgerlichkeit und brutalen Sozialabbau zeigt und auf der anderen Seite gab
es noch nie so viele NGOs, die schon bisher BündnispartnerInnen waren und
jetzt immens wichtig sind. Wir Grünen müssen uns fragen, wie wir künftig
auch ohne Ressourcen (auch ohne Karrierepläne), die es bisher gab,
aufwendige Politik machen, die nicht nur in flotten Sprüchen besteht,
sondern hinter der seriöse Recherchearbeit steht, eine klare Haltung mit
völlig überraschenden, neuen Kommunikations- und Aktionsformen. Ein
Hoffnungsschimmer dabei sind die vielen engagierten Menschen, die
beispielsweise im September 2015 gezeigt haben, dass Zusammenhalt machbar
ist oder die vielen tollen Menschen im Straßenwahlkampf der letzten Wochen.

Eingangs sprach ich von Verantwortung. Konkret heißt dies: Ich bin Wiener
Grüne Abgeordnete. Auch in Wien ist es uns nicht gelungen genügend Menschen
als WählerInnen zu gewinnen. Dafür trage ich Mitverantwortung.

Die Situation im Bund bedingt, dass meine Aufgabe als Sozialsprecherin in
Wien, die jetzt laufenden Angriffe auf Insitutionen, auf das Sozialsystem
abzuwehren, noch zentraler im Herangehen an Politik sein muss und weiter für
jene zu kämpfen, denen der praktizierte Neoliberalismus noch mehr Armut und
noch mehr Perspektivenlosigkeit bringt. Diese Woche verhandelten wir
Bedingungen der Mindestsicherung. Knochenarbeit, das Ringen mit der SPÖ.
Ziel ist es, den Gesetzesvorschlag zu verbessern und deshalb müssen alle
Stellungnahmen und Expertisen, die während des Begutachtungsverfahrens
gegeben werden, gewissenhaft studiert, bewertet und wenn sinnvoll
eingearbeitet werden. Wir agieren in einer für uns herausfordernden
Situation: Der Koalitionspakt in Wien ist aufrecht und immer wieder bedingt
es das Schielen nach einem Koalitionsfrieden, dass Wahrheiten nicht so offen
ausgesprochen werden, wie es sein sollte. Gleichzeitig muss es unser Bemühen
sein, Grüne Positionen unmissverständlich klar zu benennen. Teil meiner
persönlichen Mitverantwortung ist, es, dass uns dies bisher nicht gut
gelungen ist.

Wir haben auch die Frage zu klären, wie können wir mehr Menschen als bisher
in Entscheidungsprozesse einbinden, wie können wir besser informieren, wie
können wir selbstkritisch unsere eigenen Visionen hinterfragen, bevor wir
prüfen, ob diese Visionen auch die der Menschen sind, die wir als
WählerInnen gewinnen wollen.

Armut, Ausgrenzung, Obdachlosigkeit, Suchtkrankheit sind u.a. meine
Zuständigkeitsbereiche. Allen diesen Themen ist gemeinsam, dass sie auch in
einigen Boulevardmedien den Stoff und das Futter für Verhetzung und
Angstmache hergeben. Genau in jenen Boulevardmedien, die sich regelmäßig
über Insertionsaufträge der Gemeinde Wien freuen dürfen, die auch mit
unseren grünen Stimmen im Gemeinderat beschlossen wurden. Das ist Teil der
Realpolitik. Es ist unschwer zu erkennen, dass dies nicht mit unseren
Ansprüchen, die wir in die Politik getragen haben, als wir starteten,
vereinbar ist.

Jetzt haben wir grundsätzlich zu klären, ob es nicht diese eigenen Ansprüche
waren, die unser Projekt von einer anderen Welt ins Schleudern gebracht
haben. Ja, die Ansprüche sind richtig, wir müssen abklären wie Realpolitik
und das Sichtbarmachen dieser und tatsächlich stattfindende Realpolitik mit
unseren Ansprüchen unter einem Hut zu bringen sind.

Unsere WählerInnen schicken uns in den Landtag, damit die Ideen, die wir mit
ihnen teilen, umgesetzt werden. Und wir finden uns seit einigen Jahren in
einem Spannungsfeld zwischen Opposition, Regierungspolitik und notwendigen
Deals als Tribut an die Realpolitik. Unsere Verantwortung wird es künftig
sein, Grundsätze offensiv aufrechtzuerhalten und unseren WählerInnen die
Mühen der Ebenen und Realpolitik detailgetreu zu zeigen.

Ich glaube, genau dieses Spannungsfeld hat uns Grüne in unseren Strukturen
und Entscheidungen, betrifft Personal genauso wie Kampagnen, immer enger
werden lassen. Nicht erst seit gestern tragen wir die geschilderten
Widersprüchen zwischen Ansprüchen und Realpolitik mit uns mit. Jetzt hat
dieses Element eine kritische Masse erreicht und das Ergebnis ist bekannt.

Es gibt in unseren Reihen viele Menschen, die in den letzten Monaten, als
unsere grüne Situation schwieriger wurde, die Ärmel aufgekrempelt und
Verantwortung übernommen haben: Ein großes Danke an dieser Stelle an Ulrike
Lunacek, Ingrid Felipe und Albert Steinhauser. Wir haben die Kurve leider
nicht mehr gekratzt und viele unserer MitarbeiterInnen und KollegInnen sind
jetzt ohne Job. Dies bedeutet einfach Schmerz. Bereits jetzt vermissen wir
Judith Schwentner, Sigi Maurer, Werner Kogler, Berivan Aslan, Alev Korun und
viele andere, wie Markus Koza, Irmi Salzer, Christine Steger und Georg
Bürstmayr die voller Kraft einsteigen wollten.

Die letzte Zeit hat bei uns allen Spuren hinterlassen. Je mehr Schwarz­-Blau
unsere Demokratie, unser Sozialsystem zerstören will, desto zwingender ist
unser Kampf. Wir holen uns die Zukunft zurück!
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B.H. ist Sozialsprecherin der Wiener Grünen und Landtagsabgeordnete



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