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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. Oktober 2017; 18:11
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Postelectorales:

> Rendezvous mit der Wirklichkeit

Österreich ist ein Land, daß traditionell schwarzbraun getönt ist -- das ist
einfach so. Die Wahlergebnisse in diesem Land waren fast immer so, daß die
reaktionären Parteien deutlich über 50% der abgegebenen Stimmen bekamen.
(Kreisky war da ein Ausrutscher, aber auch der war ja ein "starker Mann" und
brauchte die Unterstützung von rechtsaußen.) Je höher die Wahlbeteiligung,
desto höher zumeist der Anteil der absoluten Ungusteln -- weil dann mehr
"Unpolitische" wählen gehen und die "Unpolitischen" ja meistens in
Wirklichkeit Erzreaktionäre sind. Nicht umsonst sind diejenigen, die
behaupten, das Links-Rechts-Schema hätte ausgedient, zumeist auf der rechten
Seite zu verorten. Insofern ist dieses Wahlergebnis kein Rechtsrutsch,
sondern ein Rendezvous mit der Realität. Jetzt wissen wir wieder, wo wir
daheim sind.

Das blaue Schicksal der Grünen

Dennoch sind die Details dieser Wahl nicht uninteressant. Wie sich jetzt
herausgestellt hat, ist der Begriff "Grüner Stammwähler" als Oxymoron zu
verstehen -- den gibt es nämlich gar nicht. Das hat man schon bei der
Wienwahl 2015 gesehen, als viele frühere Grünwähler zur Sozialdemokratie
gewechselt sind. Das hat aber auch ziemlich viel mit Geschichte zu tun: Die
Grünen waren nie eine Partei aus einem Guß, mit einer Stammklientel und
einem gemeinsamen Weltbild, sondern eine Restlverwertungsagentur für
Unzufriedene, ein postmodernes Konstrukt, in dem Ideologie nur deswegen pfui
war, weil die Beteiligte recht unterschiedliche hatten, die eigentlich in
einer Partei so gar nicht zusammenpassen.

Ein Schritt zurück in die Kreisky-Ära: Die SPÖ hatte das Glück, einerseits
in einer Konjunkturphase an die Regierung zu kommen, zum anderen auf einer
fortschrittlichen Protestwelle reiten zu können -- das berühmte "Teil des
Weges zusammen zu gehen" rührt daher. Kreisky konnte die Profite verteilen
und das "moderne Österreich" zumindest teilweise realisieren -- wovon die
breite Masse profitierte. Mit der Konjunkturphase schwand auch die
SPÖ-Mehrheit. In den 80ern gab es aber noch genug Menschen, denen es gut
genug ging, sich über Dinge zu sorgen, die sie nicht unmittelbar betrafen --
das "Luxusthema" Umweltschutz konnte daher die Grünen als Protestpartei ins
Parlament schwemmen. Der reaktionäre Teil der Modernisierungsverlierer
machte hingegen Jörg Haider stark. Es war eine Zeit diffuser Unzufriedenheit
mit dem alten rotschwarzen Proporz. Das dieser ausgerechnet mit der Wahl
1986, wo Grüne begannen zu existieren und die FPÖ wieder aus der
Bedeutungslosigkeit auftauchte, mit einer neuen GroKo erst recht wieder
zementiert wurde, verstärkte diesen Trend nur.

Sprung vorwärts: Die schwarzblaue Koalition brachte die FPÖ beinahe um -- da
wurde klar, daß kaum jemand aus "freiheitlicher" Überzeugung blau gewählt
hatte. Eine Protestpartei, die Teil des Establishments wird und genau gar
nichts bewirkt im Interesse ihrer Wähler, ist für diese gestorben.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Ähnlich erging es jetzt den Grünen: Wer soll eine Partei als
Protestinstitution noch ernst nehmen, die (wie sie auch noch ständig betonen
muß) in sechs Landesregierungen sitzt und auch noch den Bundespräsidenten
stellt. Dazu kommt noch die vollkommene Ignoranz gegenüber der Tatsache, daß
sich die Welt seit 1986 gewandelt hat. Das Thema Umweltschutz (jetzt in der
Variante Klimaschutz) an die erste Stelle der Agenda zu setzen, ist heute
völlig an der Realität vorbei. Und diese Positionierung war nicht einmal
ehrlich, denn das Präferieren dieses Themas haben ihnen Politikberater
empfohlen, weil es ja ihren "Unique Selling Point" darstelle, ihr
Alleinstellungsmerkmal. Wen, bitte, soll das ansprechen? Man merkt die
Absicht und ist verstimmt.

Wenn man aber keine klare Weltanschauung anbieten kann und auch nicht einmal
versucht, sich eindeutig im Links-Rechts-Schema zu positionieren oder sich
klar entweder als Protestpartei oder als staatstragend darzustellen, muß man
taktieren in den Botschaften. Dann darf man sich aber nicht wundern, wenn
sich kaum jemand mit einer in ihren Botschaften beliebigen Partei
identifizieren kann. Denn "grüne Ideen" gibt es genausowenig wie eine "grüne
Bewegung", auch wenn die Partei ständig getrommelt hat, sowas würde
existieren. Die Wähler der Partei waren keine "überzeugten Grünen" (was
immer das auch ideologisch sein könnte), sondern wählten eben nur das
kleinste Übel -- "Kundenbindung" schaut anders aus. Der linke Teil der Basis
und der Sympathisanten hat das der grünen Führung immer wieder gesagt. Die
wollte das aber nicht hören, weil ihr die kurzfristigen Erfolge Recht
gegeben haben.

Sowas kann halte eine Zeitlang gut gehen -- solange die politische
Großwetterlage dementsprechend ist und das innerparteiliche Mikroklima
stimmt. Aber wenn dem nicht mehr so ist, rächt sich dieses postmodern
entideoligisierte Effizienzdenken. Denn ein Teil der Grün-Wähler machte es
jetzt ihrer früher präferierten Partei nach -- auch sie agierten taktisch
und wählten SPÖ. Und ein anderer Teil wollte eine glaubwürdige
Prostestpartei -- und wählte Pilz. Mit ein Grund, warum Pilz nicht mehr von
seiner Partei unterstützt worden war, war wohl, weil er als Hindernis für
jede Art von Koalition angesehen worden ist. Und genau das war wohl der
ausschlaggebende Grund, warum seine Liste unterstützt worden ist. Pilz ist
zwar ideologisch ebenfalls so gar nicht klar zu verorten, aber als
Protestler ist er sehr glaubwürdig.

Auch hier kann man das Problem der Grünen festmachen: Wenn sie schon als
Partei beliebig waren, so hatten sie doch -- weitaus mehr als die anderen
Parteien -- in ihrer Parlamentsfraktion Persönlichkeiten, die für etwas
standen. Ein Pilz, ein Öllinger, eine Moser waren einer breiten
Öffentlichkeit bekannt und zwar mit recht kantigen Positionen und in ihren
jeweiligen Bereichen großer Expertise. Aber die sind jetzt alle weg. Lunacek
und Steinhauser sind sicher auch Persönlichkeiten und daneben noch
hochintelligent -- aber die haben alles in diesem Wahlkampf getan, damit man
es ja nicht bemerkt. Beide haben jetzt auf Öko gemacht, obwohl das noch nie
deren Thema war.

Jetzt ist der Katzenjammer angesagt. Verstanden hat die grüne Elite das
Problem aber immer noch nicht. Das Interview mit Terezija Stoisits im
Mittagsjournal machte das deutlich. Ihre Kritik am Wahlkampf der Grünen:
"Sachpolitik bis zuletzt ist gut, aber es muß auch ein bißchen Politik der
Gefühle geben, die in die Realität der Menschen übergeht." Nunja, wenn man
die Lebensrealität der Menschen nur unter dem Aspekt der "Politik der
Gefühle" sieht und nicht im Zusammenhang mit "Sachpolitik", dann kann das
nur schiefgehen. Demokratie heißt auch, daß Wähler sich von Politikern
erwarten, daß diese sich um eben die Lebensrealitäten kümmern -- und nicht
um Dinge, die jenen am Arsch vorbeigehen.

Willkommen im Club

Nun sind die Grünen also (bei Redaktionsschluß aller Voraussicht nach) auf
Bundesebene außerparlamentarische Opposition. Dieser Marsch durch die
Institutionen erscheint für den Moment einmal gestoppt. Beim nächsten Mal
kommen die Grünen wahrscheinlich wieder rein -- zu sehr sind sie in
Landtagen, Gemeinden und im Europaparlament etabliert. Moralisch "erholen"
werden sie sich kaum in dieser Teil-APO, aber vielleicht lernen sie was
daraus. Will man dieses Land nämlich wirklich verändern, braucht man klare
politische Positionen, die eben mit der Lebensrealität der Menschen zu tun
haben. Und ja, natürlich, das müßten linke Positionen sein. Denn dieses Volk
ist mehrheitlich reaktionär, weil es sich von Reaktion und Kapital verblöden
läßt. Das ist das wirkliche Problem, eben diese schwarzbraune Tönung im
Land, dieser autoritäre Charakter als politische Haltung. Diese
Grundstimmung beheben zu wollen ist natürlich viel zäher und nicht mit der
Anerkennung der Bourgeoisie verknüpft. Gut dotierte Jobs gibts fürs Erste
dafür auch nicht. Aber es ist das, was dieses Land -- und nicht nur
dieses -- braucht.

Politischer Erfolg ist nämlich nicht, wenn man die reaktionären
"Unpolitischen" dazu bringt, einen zu wählen, sondern er ist erst dann
gegeben, wenn man die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen bringt.

*Bernhard Redl*



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