**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Oktober 2017; 17:30
**********************************************************

Bosnien:

> Das Wüsteneiland

Die Trinkwasserversorgung in Sarajevo steht vor dem Zusammenbruch. Seit dem
Sommer wird in beinahe der ganzen Stadt in der Nacht die Wasserversorgung
gesperrt. Tausende Einwohner haben auch am Tag nur ein paar Stunden Wasser.
Verantwortlich sein will niemand.
Von *Christoph Baumgarten, Balkanstories.net*
*

"Duschen?" Lejla Avdic-Dzalo lacht, als ich das Wort verwende. "Wir können
zuhause nicht mal unsere Zähne putzen, bevor wir in die Arbeit gehen. Das
ist wie im 14. Jahrhundert."
Gemeinsam mit ihrem Mann Merso steht sie im Park vor der Kantonalregierung
von Sarajevo. Sie sind zu einer Unterschriftenaktion der Kampagne
"Vodoodbrana Sarajeva" gekommen. "Wasserrettung Sarajevos".
Die Kampagne wird organisiert von den Bürgerinitiativen Eko Akcija und Jedan
grad, jedna borba.
In den vergangenen drei Tagen hat das Ehepaar nur zwei Stunden Wasser am Tag
gehabt.
"Gebt mir auch ein paar Formulare mit. Ich sammle Unterschriften in der
Nachbarschaft", sagt Jovana Sego zu Aktivist Borisa.
"Mir geht's ja noch gut. Ich wohne gleich neben dem Krankenhaus. Da können
sie das Wasser nicht abstellen. Ich hab also 24 Stunden am Tag Wasser. Im
Nachbargebäude gibt's zumindest in der Nacht schon kein Wasser mehr",
schildert sie.
Anela ist eine von denen, denen es reicht. Gemeinsam mit ihrer Mutter und
einer Freundin stellt sie sich bei dem improvisierten Unterschriftenstand
an.
"Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich für eine politische
Initiative unterschreibe", sagt sie. "Die stellen das Wasser ab, wann sie
wollen. Aber das Geld, das wollen sie pünktlich. Wahrscheinlich sollten wir
aufhören, unsere Wasserrechnungen zu bezahlen."
Jovana Kljajic aus dem Stadtteil Èengic Vila ist PR-Managerin für die NGO
Pod Lupom. Bei ihr herrscht nicht nur zuhause Wasserknappheit. "Im Büro
sperren sie uns das Wasser von 11 bis 4 am Nachmittag."
Das sorgt für Stress, sagt sie: "Wenn du am Abend fortgehst, musst du genau
planen, wann du zuhause bist und wann du Reservewasser einkaufst. Die
Menschen haben das lange akzeptiert, aber jetzt bewegt sich was. Das ist
gut."
"Die Menschen hier lassen sich viel gefallen", sagt Aktivist Borisa von
Jedan grad, jedna borba. "Wir haben Monate lang von der Wasserknappheit
gesprochen und es hat sich wenig getan. Aber als wir unsere Vermutung
geäußert haben, dass es auf eine Privatisierung des Wassernetzes
hinausläuft, sind die Menschen aktiv geworden."
Ein Mann Mitte 40 in Arbeitskleidung kommt vorbei und übergibt Borisa
mehrere Seiten voller Unterschriften. "Das hab ich in der Arbeit gesammelt",
erzählt er stolz.
"Das machen viele", schildert Anes Podic von Eko Akcija. "Seitdem wir
sammeln, drucken Leute das Unterschriften-Formular auf unserer Homepage aus
und sammeln auf eigene Faust, in der Nachbarschaft oder in der Arbeit.
Andere holen sich ein Formular von uns und kopieren es in der Firma, damit
sie sammeln können."
Darauf ist man auch angewiesen. "Wir finanzieren das alles mit unserem
privaten Geld", schildert Borisa.
Es scheint, als würde es vielen Sarajli reichen. Nicht nur des Wassers
wegen. Sie haben auch das Gefühl, von der Politik angelogen zu werden.

Dem Wasserwerk fehlt das Geld

Lange haben sich das Wasserwerk Vodovod i Kanalizacija Sarajevo und die
Kantonalregierung darauf ausgeredet, dass es zu wenig geregnet hätte.
Eko Akcija konterte mit Statistiken, dass es bis September nur 80 Prozent
des durchschnittlichen Niederschlags gegeben habe - das sei aber immer noch
mehr als in den Jahren 2000 und 2003. Damals gab es keine Probleme mit der
Wasserversorgung.
Die Kantonalregierung schoss sich als Reaktion auf den Direktor der
Wasserwerke ein. Er steht vor der Ablöse.
Dass bei den Einwohnern Sarajevos kein Wasser ankommt, liegt an den
Leitungen. Zwischen 75 und 80 Prozent des Trinkwassers gehen verloren, bevor
sie in Firmen und Haushalten ankommen.
Dem Wasserwerk fehlt seit Jahren das Geld, die Leitungen instand zu halten.
Den Wasserpreis darf es nicht erhöhen. Mit 1,3 Mark (0,65 Euro) beträgt er
ziemlich genau ein Drittel etwa des bereits günstigen Wasserpreises von
Wien.
Gleichzeitig hat die zuständige Kantonalregierung über Jahre die
Subventionen gekürzt. Für 2017 wurden nur knapp mehr als 900.000 Mark
Zuschüsse für die Instandhaltung der Wasserleitungen an das Wasserwerk
Sarajevo budgetiert. Das sind 450.000 Euro.
Mittlerweile zeigen die Proteste erste Wirkung. In einer Krisensitzung hat
die Kantonalregierung ein Sonderbudget beschlossen. 800.000 Mark bekommt das
Wasserwerk, um die Situation innerhalb der nächsten 60 Tage zu beheben.
400.000 Euro. Zusätzlich gibt es 280.000 Mark für neue Wasserpumpen.

Soll das Wassernetz privatisiert werden?

"Das Wassernetz wurde bewusst vernachlässigt", sagt Aktivist Anes. "Die
wollen es ruinieren, damit sie einen großen Investor hervorzaubern können,
an den sie das Wassernetz verkaufen können oder mit dem sie eine Public
Private Partnership (PPP) eingehen".Von der Hand zu weisen ist die
Sichtweise nicht.
In seltener Einigkeit haben die Regierung der Teilstaaten Federacija und
Republika Srpska PPPs als scheinbares Allheilmittel entdeckt.
Auf einer Homepage wird Bosnien als Zielland für Investoren präsentiert und
den Bürgern preist man die angeblichen Vorteile des Modells an.
Verantwortlich für die Seite ist das Amt für die Reform der öffentlichen
Verwaltung im Auftrag des bosnischen Ministerrats. Dass in Deutschland PPPs
wegen hoher Mehrkosten in Kritik stehen - und nicht nur dort - wird wenig
überraschend nicht erwähnt.
Es wäre nicht Bosnien, würden nicht Gerüchte kursieren. Die Regierungspartei
SDA habe einen türkischen Investor fürs Wassernetz parat und warte nur auf
den geeigneten Moment, erzählen einige der Unterschreibenden heute.
Balkan Stories hat mehrmals bei der Kantonalregierung angefragt, ob eine PPP
für das Wasserwerk geplant wäre. Eine Antwort gab es nicht.
Es gab auch keine Antwort auf die Frage, wie viel man in den nächsten Jahren
in das Wassernetz investieren wolle.
Das Notfallpaket mit etwas mehr als einer Million Mark wird nicht für mehr
als ein Placebo reichen.
Die letzte große Sanierung des Wassernetzes von Sarajevo kostete knapp 100
Millionen Dollar. Das war 1976. Damals versickerte nur etwa halb so viel
Wasser in den Leitungen wie heute. Das wären heute etwa 400 Millionen
Dollar. Fallen die Notbudgets für die Leitungsreparaturen weiter so
großzügig aus, wird es wohl 1.000 Jahre dauern, bis alle Einwohner Sarajevos
wieder verlässlich Wasser haben. ###



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.redaktion@gmx.at abbestellen.



*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
postadresse a-1170 wien, lobenhauerngasse 35/2
vox: 0681 205 036 17
redaktionsadresse neu: dreyhausengasse 3, kellerlokal, 1140
http://akin.mediaweb.at
blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
mail: akin.redaktion@gmx.at
bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
bank austria, zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW