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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Oktober 2017; 17:02
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Wahlkrämpfe:

> Der jüdische Freund

Die FPÖ buhlt vor der Nationalratswahlen verstärkt um die Stimmen
serbischstämmiger Österreicher. Die Kampagne ist aus Sicht der Partei
erfolgreich - aber anders, als man denken würde.
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Sasa spielt mit seinem Schlüsselanhänger mit dem Logo der FPÖ, während er
mit mir redet. "Ihr Österreicher solltet viel mehr an euch denken", sagt der
Besitzer eines Restaurants im 16. Wiener Gemeindebezirk.
Sasa ist Neo-Österreicher. Ursprünglich kommt er aus dem südöstlichen
Serbien. Seit Jahren ist er FPÖ-Anhänger.
Sasa heißt vielleicht nicht Sasa sondern Dejan oder hat einen anderen
häufigen serbischen Namen. Wir haben mehrmals miteinander über sein Faible
für die FPÖ gesprochen.
Bis diese Geschichte entstand, hatte ich nie vor, ihn zu zitieren. Eine
Autorisierung für die Zitate gibt es nicht. Deshalb habe ich seinen Namen
geändert. Oder auch nicht.
Ich habe nicht das Gefühl, mit diesen Zitaten gegen handwerkliche Regeln zu
verstoßen. Sasa, der vielleicht anders heißt, bekennt sich auch gegenüber
Medien zu seiner politischen Vorliebe.
Seine Aussagen lassen erkennen, wie die FPÖ-Propaganda in der
serbischstämmigen Wählerschaft in den vergangenen zehn Jahren auf
fruchtbaren Boden fiel.
"Es sind einfach zu viele Ausländer da und das schafft Unordnung", sagt
Sasa. "Österreich schadet sich damit selbst. Das Land ist nicht mehr
wiederzuerkennen."

Blau wählen als Überkompensation

Diese Aussage hört man oft von Serben oder serbischstämmigen Österreichern,
die FPÖ-Anhänger geworden sind. Vor allem von den Jungen erster und zweiter
Generation, sagt Kristina Radosavljevic.
Kristina ist eine Vertreterin der zweiten Generation. Ihr Vater kommt aus
Serbien, ihre Mutter ist Serbin aus Bosnien. Nationalität hat für beide
keine Rolle gespielt. Für Kristina tut sie das auch nicht.
Kristina kandidiert auf der Wiener Landesliste der SPÖ für die
Nationalratswahl am 15. Oktober.
Mit ihrer Parteipräferenz steht sie nach allen verfügbaren Daten nach wie
vor für die Mehrheit der serbischstämmigen Österreicherinnen und
Österreicher. So groß wie früher ist diese Mehrheit aber nicht mehr.

Die Angst vor anderen Migranten

Daran tragen auch die gesellschaftlichen Entwicklungen schuld. "Für manche
der Jungen der zweiten Generation ist ein Zeichen der Integration, wenn sie
FPÖ wählen", erzählt Kristina. "Sie glauben, dass sie damit zeigen, dass sie
jetzt echte Österreicher sind."
Das ist eine Art Überkompensation, sagt Kristina.
Im Alltag werden viele dieser jungen Österreicher bis heute diskriminiert.
Ein Nachname, der auf -ic oder -ovic endet, verschließt viele Türen. Auch am
Arbeitsmarkt.
Da helfen alle Beteuerungen der FPÖ nichts, "die Serben" würden ja eh schon
"zu uns" gehören.
Es sind gerade FPÖ-Anhänger, die im Alltag ihren Chauvinismus zu Lasten der
ersten und zweiten Zuwanderergeneration immer hemmungsloser ausleben. Vor
Serbischstämmigen macht das nicht halt.
Diesen Widerspruch wird man auch mit noch so viel Wahlverhalten nicht
überbrücken können. Aber viele junge Serbischstämmige reden sich das ein.
Und übersehen, dass sie mit dem aktuellen Slogan "Fairness für Österreicher"
sicher nicht mitgemeint sind. Die FPÖ hat seit jeher eine Blut- und
Bodendefinition von Staatsbürgerschaft.
Was sie in den Augen eines serbischstämmigen Aktivisten ebenfalls anfällig
macht, ist die Lage am Arbeitsmarkt.
Auch wenn Serben eine der Migrantengruppen sind, die im Vergleich zu
Menschen anderer Herkunft vergleichsweise weit oben in der
Arbeitsmarkthierarchie stehen - die gläserne Decke hängt für sie weit
niedriger als für Österreicher ohne Migrationshintergrund.
Sie befürchten, dass sie von Neueingewanderten am Arbeitsmarkt verdrängt
werden. Gerade in den schlechter bezahlten Branchen.
Ganz unbegründet ist die Furcht nicht. Der Zuzug von Bürgern der
südöstlichen EU-Staaten bedeutet in manchen Branchen tatsächlich mehr Druck
für die dort bereits Beschäftigten.

Der Frust nach unten ausgelebt

Nur, dass sich der Frust nicht gegen die Arbeitgeber richtet, die ihre
Arbeiter und Angestellten mit dem Schreckgespenst unter Druck setzen,
draußen stünden schon 100 Ungarn oder Rumänen und würden für weniger
arbeiten.
Er entlädt sich an denen, die in der sozialen Hierarchie noch weiter unten
stehen. Das ist keine serbische Spezialität. Wie die Wahlergebnisse zeigen,
reagieren vorwiegend Österreicher ohne Migrationshintergrund genau so.
Auf 20 bis 25 Prozent schätzt ein serbischstämmiger Aktivist die
FPÖ-Anhängerschaft unter serbischstämmigen Wählern.
Er hat mich gebeten, seinen Namen nicht zu nennen. Er versucht vorwiegend
online, Sand in die FPÖ-Propagandamaschinerie für Serben zu bringen.
Gelegentlich ist er auch auf einschlägigen Veranstaltungen. Seinen Namen zu
nennen, würde diese Aktivitäten kompromittieren.
Außerdem, sagt er, hat er auch schon Drohungen bekommen und wurde
beschimpft. Dass er das nicht noch einmal erleben will, ist verständlich.
Für ihn ist es kein Zufall, dass unter serbischstämmigen Wählern die
Sympathien für die FPÖ so weit verbreitet sind wie sonst in keiner
Migrantengruppe. Auch wenn die Strategie primitiv sei.

Kosovo, Ceca, Titten

"Es geht immer um Kosovo, Ceca(1) und Titten", sagt er mir. "Damit bestärken
sie die nationalistischen Gefühle, die Teile der serbischstämmigen Jugend
haben."
Das betreffe auch die zweite Generation. "Die sind nur selten unten und
haben den Krieg von hier aus beobachtet, wenn sie dafür nicht überhaupt zu
jung sind. Da ist es leicht, Nationalist zu sein."
FPÖ-Funktionäre betreiben seit Jahren erheblichen Aufwand, um diese
Zielgruppe zu erreichen. So hat der Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus
vor kurzem Milorad Dodik nach Wien eingeladen.
Dodik ist Präsident des serbisch dominierten Teilstaats Republika Srpska in
Bosnien. Er gilt als rabiater Nationalist. Immer wieder droht er offen, die
RS von Bosnien abzuspalten.
Dodik hat serbischstämmige Österreicher mehrfach aufgerufen, FPÖ zu wählen.
Die FPÖ, die sonst auf die Barrikaden geht, wenn ausländische Politiker
andere Parteien unterstützen, freute sich.
Dodik und Gudenus sind enge Freunde. Dodik war Gast bei Gudenus' Hochzeit in
der Republika Srpska. Die Hochzeit war ein Großereignis für die
regierungsnahen Medien in der RS. Wie die Hochzeit nach orthodoxem Ritus
zustande kam, ist nach wie vor ein Rätsel. Gudenus ist nicht zur
serbisch-orthodoxen Kirche übergetreten.

Strache unterstützt Aufteilung Bosniens

Die FPÖ revanchiert sich artig. FPÖ-Bundesobmann Heinz Christian Strache hat
in einem Interview für den regierungsnahen bosnisch-serbischen Sender RTRS
Bosnien als "failed state" bezeichnet und der Republika Srpska das Recht
eingeräumt, sich abzuspalten.
Er forderte auch, dass die Kroaten in Bosnien einen eigenen Teilstaat
bekommen sollen, der ebenfalls das Recht haben solle, sich abzuspalten.
Verwoben wurde das mit der üblichen FPÖ-Hetze gegen Muslime. Islamismus sei
ein immer größeres Problem in Bosnien. Dort seien 50 Prozent der Bevölkerung
muslimisch.
Die Botschaft an serbischstämmige Österreicher ist klar: Wir haben einen
gemeinsamen Feind: Die Muslime.
"So offen wie Strache betreibt selbst in Serbien kein nationalistischer
Politiker mehr Hetze gegen Muslime. Der einzige, der auf dem gleichen Niveau
spielt, ist Vojislav Seselj". sagt der serbischstämmige FPÖ-Aktivist.
"Serbien den Serben" sagt dieses Graffiti im 16. Wiener Gemeindebezirk. Eine
von vielen nationalistischen Botschaften von Jugendlichen mit
ex-jugoslawischen Wurzeln, in diesem Fall eine serbische.
Komplettiert wird das Arsenal, indem die FPÖ immer wieder die Unabhängigkeit
des Kosovo thematisiert - aus einschlägiger Sicht, versteht sich. Eine der
wenigen Sätze, die er auf Serbisch könne, sei "Kosovo je srce Srbije", sagt
Strache einmal in einem Interview.
So versucht die FPÖ, sich nationalistischen Serben als einzige Alternative
anzubiedern.

Die Helferleins

Den Rest besorgen serbischstämmige Sympathisanten wie Stevan Raduèic.
Raduèic hat die Slovenska Unija gegründet, die Slawische Union. Die SU
besteht praktisch nur aus ihm. Sie ist eine Ein-Mann-Propagandaabteilung,
die anrückt, wenn es dreckig werden soll. So wie in einem wirren
Facebook-Video, wo Raduèic die SPÖ als Partei mit faschistischen Wurzeln zu
verunglimpfen versucht. Leute wie Raduèic treiben sich auch auf den
Turbofolk-Parties in den Wiener Balkanclubs herum und versuchen dort,
Stimmung für die FPÖ zu machen.
Hochrangige FPÖ-Funktionäre bleiben diesen Parties in der Regel so fern es
eben geht.
"Vor allem dieser offene Appell an den serbischen Nationalismus tut weh",
sagt der anonyme Aktivist. "Strache stellt uns so dar, als wären wir alle
verbohrte Cetniks. Dieser Eindruck bleibt dann auch bei den Leuten hängen."

Der direkte Nutzen ist überschaubar

Der direkte Nutzen für die rechtsradikale FPÖ ist überschaubar. Rechnet man
eingebürgerte bosnische Serben mit ein - und sie sind ja Teil der
Zielgruppe --, kommt man mit der ersten und zweiten Generation auf 120- bis
160.000 serbischstämmige Wähler in Österreich.
Selbst wenn die FPÖ die Mehrheit dieser Stimmen hätte, würde ihr das bei
durchschnittlicher Wahlbeteiligung höchstens zwei oder drei Mandate im
Nationalrat bringen.
Dass sie diese Mehrheit nicht hat, legen die Wahlergebnisse nahe. In den
Wahlbezirken, in denen es relativ viele serbischstämmige Wähler gibt,
schnitt die FPÖ schlechter ab als österreichweit beziehungsweise wienweit.
Eine der wenigen Ausnahmen ist Ottakring. Hier verzerrten die Gebiete in der
Nähe des Stadtrands das Ergebnis zugunsten der FPÖ. Dort leben kaum
Migranten. Es ist eine Gegend für finanziell bessergestellte Österreicher.

Der wirkliche Erfolg

Der Erfolg des jahrelangen Werbens um die Stimmen der Serben ist ein
anderer.
Dass relativ viele serbischstämmige Wähler für die FPÖ votieren, nutzt die
in ihrem Wesen ausländerfeindliche FPÖ, um sich gegen den Vorwurf des
Ausländerhasses zu verteidigen.
Wenn wir serbische Wähler haben, können wir doch nicht ausländerfeindlich
sein, lautet die Argumentation.
Der serbischstämmige Wähler wird für eine rechtsradikale Partei, was der
sprichwörtliche jüdische Freund für einen Antisemiten ist.
Das öffnet die FPÖ potentiell für weitere Migrantengruppen, in denen
Vorurteile gegen Muslime ebenfalls weit verbreitet sind.

SPÖ verunsichern

Genauso wichtig ist, dass der relative Erfolg bei serbischstämmigen
Migranten die SPÖ verunsichert.
Sie konnte sich über Jahrzehnte der Stimmen der Einwanderer sicher sein. Das
scheint nicht mehr gegeben.
Zumal die FPÖ-Propaganda die Ergebnisse ihrer Kampagne geschickt überhöht
und viele Journalisten das unkritisch übernehmen. Die Serben seien eh schon
mehrheitlich ins blaue Lager gewechselt, lautet ein gängiges
Latrinengerücht.
Beweise gibt es nicht. Es gibt keine Umfragen, die das Wahlverhalten von
Migranten und ihrer Nachkommen untersuchen. Das einzige, woran man sich
halten kann, sind Wahlergebnisse und anekdotische Geschichten.
Und hier sind die FPÖ-nahen serbischstämmigen Wähler lauter als die anderen.
Jeder mit auch nur rudimentären Kontakten in die Community kennt mindestens
einen Serben, der FPÖ wählt. Die SPÖ-nahen Serben reden kaum über Politik.
Das lässt die blauen Sympathisanten zahlreicher erscheinen, als sie sind.
Allerdings, wer gegen die FPÖ auftritt, bekommt aus der Community viel
Zuspruch, sagt Kristina: "Als ich voriges Jahr eine Abrechnung mit den
serbischstämmigen FPÖ-Fans für Kosmo geschrieben habe, hab ich in kürzester
Zeit 200 Freundschaftsanfragen gehabt. Negative Reaktionen gab es auch, aber
das war vielleicht ein Prozent davon."
Das strahlt allerdings über die Dijaspora kaum hinaus. Das Interesse der
österreichischen Gesellschaft, wie Migranten und ihre Nachkommen wirklich
leben und denken, ist überschaubar.

Migranten gegeneinander ausgespielt

Langfristig birgt das Anbiedern der FPÖ an die serbischstämmige Community
eine weitere Gefahr: Es spaltet nicht nur die Dijaspora sondern vertieft die
Gräben zwischen den Migrantengruppen. Es spielt Migrant gegen Migrant aus.
Widerstand gegen die offene Hetze der Partei kann sich so deutlich schwerer
organisieren und artikulieren.
Einen solchen Widerstand bräuchten vor allem die Migranten in diesem Land.
Sie waren die ersten Opfer der FPÖ-Politik und sie werden, sollte die FPÖ
nach dem 15. Oktober wieder in der Regierung sein, wieder die ersten Opfer
sein.

Das vergessen serbischstämmige FPÖ-Fans gern.

Um zu erkennen, wie ernst es die Partei mit ihnen meint, bräuchten sie nur
einen Blick auf die Wahllisten für den Nationalrat werfen. "Auf der Bundes-
und der Wiener Landesliste gibt es keinen einzigen serbischstämmigen
Kandidaten", sagt Kristina. "Das sagt doch alles."

*Christoph Baumgarten, balkanstories.net*

(1) Svetlana "Ceca" Raznatovic, serbische Sängerin
(2) "Kosovo ist das Herz Serbiens"



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