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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. September 2017; 16:59
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Glosse/Wahlen/Wirtschaft/Medien:
> Der "Skandal" und der Skandal
Was der eigentliche Aufreger beim Thema "geplante Obsoleszenz" sein sollte
Der Standard, 15.9.: "Die Liste Pilz wird wegen des Verdachts auf
Kartellabsprachen zur geplanten Obsoleszenz von Waschmaschinen Anzeige bei
der EU-Kommission einbringen. Ein ihm zugänglich gemachtes Dokument sei ein
Indiz dafür, dass sich ein Hersteller in den Niederlanden bei der
Lebensdauer seiner Geräte an eine 'Vorschrift' eines Händlerverbands hält,
sagte Liste-Pilz-Kandidat Sepp Eisenriegler am Freitag."
Diese Geschichte ist ein bisserl unglücklich -- medial betrachtet. Weil:
Mitten im Wahlkampf als wahlwerbende Gruppierung eine inhaltliche
Pressekonferenz zu geben mit einem Thema, das extrem heikel ist, aber in der
Wahldebatte bislang gar keine Rolle gespielt hat, ist wahrscheinlich keine
gute Idee. In den Redaktionen weiß man nicht so recht, ob man sowas als
Wahlkampfbeitrag sehen soll oder als Aufdeckergeschichte. Und ist das
überhaupt eine relevante Geschichte oder nur ein Wahlkampfgag? Und klingt
das nicht alles nach Verschwörungstheorie?
Das Medienecho war ziemlich gering. Standard, Presse und news.at
reproduzierten die APA-Meldung. Das wars dann aber fast schon. Die Suppe ist
auch ein bisserl dünn: Es geht um eine Mitteilung des niederländischen
Elektro-Industrie-Unternehmerverbands UNETO-VNI in dem in einer Tabelle die
Preise von Haushaltsgroßgeräten in Relation zur durchschnittlichen
Gebrauchsdauer gesetzt werden -- je teurer, desto länger im Gebrauch. Das
ist aber wirklich nicht mehr als ein Indiz, der Verband könnte -- selbst bei
Zugeständnis der Authentizität dieses Zettels -- behaupten, dies sei nur
eine Richtlinie, welche Preise sinnvoll wären bei einer bestimmten
Nutzungsdauer. Denn eine solch Nutzungsdauer bedeutet nicht unbedingt, daß
dann das Gerät irreparabel kaputt wird. Und das niederländische Wort
"Voorschrift" ist nicht unbedingt mit dem deutschen "Vorschrift" zu
übersetzen, es kann unter anderem eben auch nur "Richtlinie" heissen.
Ob es so etwas wie geplante Obsoleszenz in großem Stil gibt, ist schon lange
umstritten. Offensichtlich ist sie bei properitären Verbrauchsbestandteilen,
wie beispielsweise bei Computerdruckern, deren Tintenpatronen mittels Chip
an den Drucker melden, das sie leer seien -- und die daher nicht so einfach
nachfüllbar sind. Auch der Unwillen von Herstellern, Ersatzteile vorrätig zu
halten oder sie nur zu Apothekerpreisen zu liefern deutet daraufhin. In
vielen Fällen steckt aber hinter der geringen Haltbarkeit sowie
Reparierbarkeit wohl keine großer Plan, sondern einfach nur der Druck,
Produkte billig zu produzieren: Low-tech-Plastik ist meist billiger als
hochwertige Materialen und Klebstoff oder Kunststoffverschweissen billiger
als das Anbringen von Schrauben und Muttern. Die Konsumenten wollen billige
Produkte und die bekommen sie dann auch.
Der eigentliche Skandal ist meistens keiner, der sich auch skandalisieren
läßt. Peter Pilz hat aber gerne Skandalisierungen. Daher legt er auch den
Focus auf solche "Vorschriften". Wie es in diesem konkreten Fall auch immer
sein mag, in dem meisten Fällen ist es viel banaler und hat mit geheimen
illegalen Kartellverschwörungen wenig zu tun.
Trotzdem war diese Pressekonferenz sinnvoll -- denn ein bisserl von der
wirklich relevanten Botschaft kam dann doch rüber. Sepp Eisenriegler ist ja
nicht nur Pilz-Kandidat sondern vor allem Betreiber der Reparaturwerkstatt
R.U.S.Z. Und was der zu sagen hatte, war der wirkliche Skandal. Wohl auch
dank der Thematisierung durch die Liste Pilz hat ihn die "Presse"
interviewt. Eisenriegler: "Die Preise für Neugeräte beruhen auf Ausbeutung -
der Rohstoffe in den Ländern des Südens und der Arbeitskräfte in den
Schwellenländern. Wir, mit der Reparatur, tun uns da schwer, mit den Preisen
für billige Neugeräte mitzuhalten." Und warum kauft sich kaum wer Geräte,
die lange halten und gut reparierbar sind? "Ich habe den Spruch geboren: Nur
Reiche waschen billig. Wenn eine Waschmaschine eingeht, muss man 800 bis
1200 Euro verfügbar haben. Wenn jemand schon überfordert ist, die
Schulsachen für sein Kind zu kaufen, wie soll sich der eine teure
Waschmaschine kaufen?"
Der Skandal heißt in Wirklichkeit also Armut und Ausbeutung, Globalisierung
und Kapitalismus. Leider haben wir uns daran schon so gewöhnt, daß dieser
völlig legale Dauerskandal nur mehr thematisiert werden kann, wenn man
vermag, die Vermutung über etwas Illegales in eine Schlagzeile zu pressen.
*Bernhard Redl*
Das Interview: http://diepresse.com/home/5083659
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