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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. August 2017; 17:19
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Ö-Sommerrückblick:

> Bohrungen in Hadersdorf

Die Auseinandersetzung um die Gedenktafel für 61 Ermordete in Hadersdorf am
Kamp geht weiter. *Rudi Burda* berichtete am 17.Juli von der letzten Aktion.

Alles friedlich an diesem heißen Sonntagnachmittag im Juli, weit und breit
kein Hader. Ich treffe zwei Dutzend Leute vor dem Friedhofstor in Hadersdorf
am Kamp, in Straßenkleidung. Das ist schon ungewöhnlich; noch ungewöhnlicher
ist, dass sie nicht als Trauergäste zu einem Grab gehen, sondern,
ausgestattet mit Gitarren, Kunstglastafeln, Dübeln, Schrauben und
Akku-Bohrer, zur Friedhofswand marschieren und dort, wo eine Steintafel an
das Massaker vom 7. April 1945 erinnert, ans Werk gehen. Ein Bohrtrupp der
besonderen Art? In Straßenkleidung? Am Sonntag?

Diese Gedenktafel an der Friedhofsmauer passt der Gruppe nämlich nicht. Der
von der Gemeindevertretung beschlossene Text erwähnt 61 ,Gefangene', die
dort umgebracht wurden, ohne zu vermerken, dass es sich um freigelassene
politische Gegner des Naziregimes handelte. Als verantwortlich für den
Massenmord wird ,die SS' genannt, wobei unterschlagen wird, dass lokale
Nazi-Funktionäre bei der Festnahme der Freigelassenen und deren Übergabe an
die SS maßgeblichen Anteil hatten.

Von den Leuten, die sich da jetzt an der Mauer zu schaffen machen, war die
eine oder der andere auch in den vergangenen Jahren am Werk: verlässlich
wurde der mangelhafte Text der Steintafel immer wieder mit Filzstift
ergänzt. Aus der Formulierung ,61 Gefangene' wurde da ,61 politische
Gefangene', aus ,Nie wieder!' wurde ,Nie wieder Faschismus!'. Diese
handschriftlichen Korrekturen waren notwendig - wiederholte Versuche des
nunmehrigen ,Bohrtrupps' (Angehörige der ,Gedenkgruppe Hadersdorf', des
Niederösterreichischen und Wiener KZ-Verbands), mit der Gemeindevertretung
ins Gespräch zu kommen, waren erfolglos. Selbst nach Interventionen seitens
der niederösterreichischen Landesregierung und der Volksanwaltschaft kam
kein Gesprächstermin zustande. Damit nicht genug: Nachdem auch im April 2017
wieder Ergänzungen an der Tafel vorgenommen worden waren, wurde Anfang Mai
Anzeige wegen ,Sachbeschädigung' erstattet, einige Personen wurden zur
polizeilichen Einvernahme geladen, andere luden sich per Selbstanzeige
selber ein.

Eine dieser Angezeigten war die Tochter eines der Ermordeten. Sie ist jetzt
an der Friedhofsmauer dabei und erzählt vor den Kunstglastafeln den
Anwesenden, dass sie erleichtert ist, dass es jetzt einen Ort des würdigen
Gedenkens gibt, einen Ort, wo die Opfer, soweit bekannt, mit Namen genannt
werden. Sie erzählt von ihrem Vater, der von den Nazis eingesperrt wurde,
weil er an einer Klowand seiner Arbeitsstätte die Worte ,Es lebe die
Internationale' geschrieben hatte und von einem Kollegen beobachtet und
verpfiffen worden war.

Einige Mitglieder des ,Bohrtrupps' singen das Hadersdorf-Lied, in dem die
Geschichte des Massakers erzählt wird. Es endet damit, dass man die Wahrheit
,dort jetzt lesen' kann. Von 21 Ermordeten sind auf den zwei Tafeln die
Namen aufgelistet, von allen 61 die Todesart (Schusswunden im Kopf, im Hals,
in der Brust, Knochenbrüche, Verbluten, Erschöpfung .). Eine grausige Liste.

Ein anderes Mitglied des Trupps legt den Bohrer beiseite und erklärt, dass
ihm bewusst sei, dass das ,unautorisierte' Anbringen der zwei Tafeln als
,bösartige Sachbeschädigung' ausgelegt werden kann. Ich selber ergreife auch
das Wort und rufe in Erinnerung, dass so ein Akt des zivilen Ungehorsams
eine Lappalie ist im Vergleich zu dem, was AntifaschistInnen in der Nazizeit
riskierten - ihr Leben.

Auch jetzt, beim Schreiben dieser Zeilen, halte ich fest:

Die Gedenktafeln sind angebracht, und ich halte sie für angebracht.

*
Nachbemerkung akin: Bislang (Ende August 2017) blieben die Zusatztafeln
unbeanstandet und unbeschädigt hängen.



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