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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 28. Juni 2017; 16:23
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VERWORTET spezial:

> Der Hass!

Über ein Gefühl mit Imageproblemen

Hass! Nichts kann man so schön mit einem Rufzeichen schreiben. Und wenn ich
meinerseits auch etwas hasse, dann ist das die "neue deutsche
Rechtschreibung". Aber beim Wort "Hass" mache ich eine Ausnahme. Da paßt das
Doppel-S einfach besser als dieses doch etwas maniriert wirkende scharfe ß.

Denn Hass ist vielleicht das heftigste, stärkste aller Gefühle, sicher aber
das saftigste. Wenn man im politischen Zusammenhang -- und davon handelt
dieser Text primär -- von "Hass" spricht, kommt man schnell auf das Thema
Nazis. Man denke an das "Unsern Hass, den könnt ihr haben" als Leitspruch
einer Antifa-Demo von vor ein paar Jahren (1). Die Doppeldeutigkeit wurde da
recht klar: Die, die man als Faschisten ansieht, sind die "Hasser". Und die
zu hassen, erscheint daher als legitim. Deswegen kann die Jung-Linke auch
nicht so gut gegen den Kapitalismus mobilisieren als gegen vermeintliche
oder wirkliche Faschisten: Der Hass auf die Faschisten fühlt sich einfach so
verdammt gut an.

Ist der Hass also ein "gutes" Gefühl? Gibt es einen "guten Hass"?

Das ist so eine Sache mit dem Hass. Man denke an die
"Zwei-Minuten-Hass-Sendung" aus Orwells "1984". Hier wird ein kollektiver
Hass inszeniert, der ein einiges Volk gegen ein Feindbild zusammenschmieden
soll. Doch es ist ein Vexierbild: Legitimiert wird der Hass mit dem
angeblichen Hass der Teufelsfigur "Emmanuel Goldstein" auf die Führerfigur
des "Großen Bruders" und damit natürlich auch auf "das Volk".

Nur ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht. Natürlich ist dieser als
Mittel zur Gemeinschaftsbildung sehr beliebt bei den Herren dieser Welt.
Umgekehrt kann aber auch die Vermeidung oder Unterdrückung des Hasses Teil
eines Herrschaftsmodells sein: Alle haben einander zu lieben -- trotz
vorhandener Interessenskonflikte und vor allem Hierarchiegefälle. Ein
paradiesischer Zustand ist ersehnt -- siehe Adam und Eva! Als dieses Paar
vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, beginnt es zu erkennen und vor allem
zu hinterfragen: Wer bin ich, was will ich, wer hindert mich? Und: Wer
herrscht? Daß da der biblische Gott zornig wurde und sie aus dem Paradies
vertrieb, ist nur zu verständlich! Skeptische Untertanen kann kein Herrscher
brauchen.


Postmodernes Herrschaftsmodell

Will man sich einem politischen Begriff nähern, ist Google eine gute Wahl;
nicht um sich über den Begriff im eigentlichen Sinne zu informieren, sondern
um sich ein Bild zu machen, in welchen Kontext der common sense den Begriff
sieht. Im Falle des Suchbegriffs "Hass" kommt natürlich zuerst einmal der
Wikipedia-Eintrag, gleich dahinter aber eine Seite mit dem Titel "Hass --
das Schädlichste aller Gefühle". Der Beitrag entpuppt sich als
idealistisches postmodernes Lebenshilfegesülze und natürlich mit einem
dieser unvermeidlichen Gandhi-Zitate garniert: "Wo Liebe wächst, gedeiht
Leben. Wo Haß aufkommt, droht Untergang." Ich habe keine Ahnung ob dieses
Zitat korrekt ist, Gandhi ist ja (knapp gefolgt von Albert Einstein)
Spitzenreiter im Ranking der erfundenen Zitate. Aber eins ist sicher: Hätten
Gandhi und seine Anhänger nicht irgendwann angefangen, vielleicht nicht die
Briten als Volk, so doch die britische Kolonialherrschaft abgrundtief zu
hassen, stünde Indien heute noch unter der Patronanz der Krone.

Ein schönes Beispiel, wie Völkerhass als Herrschaftsmittel genutzt wurde --
nämlich als Vorwurf eines solchen Hasses -- stammt aus einer Zeit, in der
Nationalismus noch nicht einmal ein Protestgedanke war, geschweige denn ein
Herrschaftstopos. Im 15.Jahrhundert erhoben sich die tschechischen Bauern
gegen ihre deutschen Herren -- das waren die Hussiten, die Anhänger von Jan
Huß, den man heutzutage wohl als Befreiungstheologen ansehen würde. Die
Gefahr für die deutsche Herren war evident, denn die Erhebung griff langsam
auch auf deutsche Bauern über, die sich gegen ihre Lehnsherren erhoben.
Worauf die deutschen Fürsten einen Propagandafeldzug starteten, in dem sie
unter deutschen Bauern verbreiteten, die Hussiten würden alles hassen, was
deutsch ist. Der tatsächliche Klassenkampf wurde in einen Völkerhass
umgelogen. Dabei nutzten sie auch die sprachliche Nähe des Namens "Huß" zu
"Hass" und "Hetze". Diese Desinformationskampagne war so effektiv, daß das
Wort "aufhussen" als Synonym für "aufhetzen" Einzug in den deutschen
Sprachgebrauch hielt.

Die etymologische Verwandschaft zwischen "Hass" und "Hetze" erscheint bis
heute nicht ganz geklärt -- die Wortursprünge dürften unterschiedlich sein,
doch eine gegenseitige Beeinflußung in der Entwicklung hat es sicher
gegeben, man denke nur an die "Hatz" oder die "Hetz" oder das englische
"hate".

Augenfällig ist, daß der Begriff für einen gesellschaftlich schädlichen
Einfluß früher vor allem "Hetze" oder "Verhetzung" war -- wobei das defintiv
eine Handlung beschreibt. Heute ist da viel eher von "Hass" die Rede -- das
ist aber ein Gefühl, das hier pönalisiert werden soll.

Ein Gefühl kann man aber nicht verbieten. Man kann dazu auffordern, es zu
reflektieren und man kann daraus resultierende Taten mit Strafen
sanktionieren. Aber man kann nicht per Gesetz oder sozialer Kontrolle "Liebe
deinen Nächsten" verordnen. Das ist ein Oktroy der Konfliktscheuheit -- das
auf lange Sicht nicht funktionieren kann.


Verbieten ist einfach

Was helfen kann, Konflikte zu lösen, ist Mediation. Aber die ist -- soll sie
effektiv sein -- erstens nicht verordenbar und zweitens unheimlich
anstrengend. Und: Sie kann substanzielle Interessenskonflikte nicht einfach
ausblenden, sonst bleibt es bei einer oberflächlichen Gesundbeterei. Hass
ist nicht einfach ein Vorurteilsprodukt, sondern resultiert vor allem aus
realen Defiziten und Verlusten. Genau deswegen ist es aber auch als
revolutionäres Movens relevant -- was wohl der Grund ist, daß Herrschaft
dazu tendiert, Hassäußerungen entweder zu unterbinden oder auf ein genehmes
Ziel umzulenken.

Wenn der Hass generell verpönt ist, wird der Hass auf die Obrigkeit, auf die
Oberklasse gleich mit entsorgt. So ist es kein Wunder, daß ein Teil der
heutigen sogenannten Linken von "Klassismus" redet und damit den Klassenhass
von oben meint, der bekämpft werden müsse -- so, als wäre das ein Vorurteil
der Oberschicht und nicht einfach Teil ihrer Machtausübung. Die Forderung
lautet: Die Herrschaft soll netter sein und weniger präpotent. Deren
Existenzberechtigung aber wird nicht mehr diskutiert und der berechtigte
Klassenhass von unten gegen oben damit auch gleich delegitimiert.

Es ist auch sicher kein Zufall, daß gerade der Emotions-Begriff "Hass" den
Handlungsbegriff "Hetze" abgelöst hat -- die postmoderne Sichtweise, das
seelische Innere zu betrachten anstatt das materielle Äußere hat da wohl
zugeschlagen. Nur scheinbar im Widerspruch steht dazu, daß immer noch von
der Äußerlichkeit auf die Innerlichkeit geschlossen wird: "Hass macht
häßlich" sagt der Volksmund -- und das ist sehr wohl heute wieder häufiger
zu hören. Diese Volksetymologie spiegelt sich in der wissenschaftlichen
Etymologie wieder. Dem Standardwerk "Kluge" kann man entnehmen, daß
"häßlich" früher einfach ein Synonym für "Gehässigkeit" oder auch "Hass
eregend" war, erst später aber zum Gegenteil von "Schönheit" wurde. Das
Empfinden von optisch attraktiven und jenes von liebenswerten Zeitgenossen
nähern sich damit an und werden beinahe in eins gesetzt. Der Protest dagegen
ist "häßlich". Nicht umsonst sind rebellische Jugendbewegungen, allen voran
natürlich der Punk, stark geprägt von optischen und akustischen Signalen,
die ein Spießertum als "häßlich" ansehen muß.

Nochmal alttestamentarisch: Gleich hinter den Anweisungen, wie man seine
Kniefälle vor IHM korrekt auszuführen hat, steht in den Zehn Geboten: "Du
sollst Vater und Mutter ehren." Nun sind die Eltern aber in jedes Menschen
Leben die allerersten Obrigkeiten. Diese zu hassen ist verboten und damit
auch der Generationenkonflikt. Das erschien ein notwendiges Gebot in einer
archaischen Gesellschaft, wo es als unabdingbar erachtet wurde, der "alten
Väter Sitte" zu tradieren, damit die Kinder genauso funktionieren wie ihre
Ahnen. Damit wird aber jeder Fortschritt gebannt -- egal, ob
gesellschaftlicher oder technologischer Natur. Eine sich als modern
verstehende Gesellschaft braucht aber den Generationenkonflikt, die
Empörung, den Zweifel, den Protest, um sich fortzuentwickeln. Und wenn die
Beharrlichkeit des Bestehenden zu extrem ist, braucht es eben richtig
weißglühenden, blanken Hass, um überhaupt irgendetwas weiterzubringen.


Wovon reden wir eigentlich?

Unter Hass wird derzeit alles Mögliche subsummiert: Von echten Gewalttaten
über Drohpostings in den Sozialen Netzen bis hin zu legitimer
Religionskritik oder Satire. Der Begriff wird für alles verwendet, was
konflikthafte Auseinandersetzung ist. Und mit dieser Punze wird auch
gleichzeitig jede dieser Formen als der Succus des "Bösen" schlechthin
angesehen. Eine klassische Abspaltung findet hier statt: Der Hass, das ist
das Böse, das, was man früher im Teufel, im Satan personifizierte, der
gefallene Engel, der nach den jeweils geltenden Schönheitsidealen auch
häßlich dargestellt wurde. Doch Satan ist auch Lucifer, der "Lichtbringer"
und damit der Engel der Erkenntnis, der Auseinandersetzung und des
Fortschritts. Er ist "der Geist, der stets verneint", also der Schutzpatron
des Widerspruchs. Wenn man also Hass als solchen global ablehnt, dann stellt
man sich selbst auf die Seite des "Guten und Schönen" und kann die eigenen
dunklen Seiten nicht nur abspalten, sondern auch die eigenen Taten, so
widerwärtig sie auch sein mögen, als gut und richtig verstehen.

Nachdem das ein Massenphänomen ist, ist es kein Wunder, daß Politiker aller
Couleur Gesetze gegen den Hass fordern -- unter dem Beifall nicht nur des
Boulevard. Es sind weltweit schon eine Menge an solchen Gesetzen beschlossen
worden. Daß es nicht mehr sind, liegt daran, daß man sich dabei konkret
darauf einigen muß, was man unter Haß eigentlich versteht und man
Presseaussendungen nicht so ohne weiteres in legistisch saubere Paragraphen
gießen kann. Was dann beschlossen wird, sind oft Placebos oder
Gummiparagraphen: Der österreichische "Haßpredigerparagraph" (282a StGB)
stellt den Aufruf zu "terroristischen Straftaten" unter Strafe -- das war
zwar schon vorher nach §282 in gleichem Ausmaß strafbedroht, aber man kann
es als Aktivität "gegen den Hass" verkaufen. In Deutschland hat sich die
Große Koalition gerade (kurz vor den dortigen Neuwahlen) auf ein Gesetz
gegen "Hass im Netz" geeinigt -- auch hier die Botschaft: 'Wir tun etwas
dagegen!' Conclusio dieses Paragraphen (laut AFP): "Das Gesetz nimmt
Internetkonzerne wie Facebook in die Pflicht, rechtswidrige Inhalte
schneller zu löschen." Eine ähnliche Wirkung hat hierzulande ein von den
Grünen erwirktes OLG-Urteil. Offensichtlich reagieren die
Social-Media-Anbieter schon auf die möglichen Klagsdrohungen: Mit
automatischen Routinen, die nach Stichwörtern suchen und mit Usersperren
reagieren -- allen voran Twitter, wo in den letzten Wochen User kommentarlos
gesperrt wurden, was nicht nur rechtsextreme sondern auch linke Poster
betrifft. Begründungen gibt Twitter dafür keine und reagiert auch nicht auf
Proteste. Genau das war zu befürchten: Politische Auseinandersetzung wird
vollkommen willkürlich pönalisiert.


Mut zur Veränderung

Eine starke, selbstbewußte und wirklich demokratische Gesellschaft hingegen
müßte Hass (und damit dessen Äußerungen) nicht nur aushalten, sondern diese
Energie ohne Angst vor Veränderung zum Produktiven, zum Fortschritt nutzen.
Bei Gesellschaften hingegen, die als das größte Übel den Hass ansehen, muß
man vermuten, daß deren Ordnungsstrukturen auf Ängsten basieren.

Grundlosen Hass gibt es nicht. Gerade, wenn er in gesellschaftlichen Fragen
zum Ausdruck kommt, ist er Indikator für einen Widerspruch, dem man
Beachtung schenken sollte. Vielleicht ist es nicht immer jener Widerspruch,
der in diesen Hassreden zum Ausdruck gebracht wird, dennoch muß klar sein:
Hier stimmt etwas grundsätzlich nicht.

Und wirklich ist Hass eines der wichtigsten Politvokabel der letzten Jahre.
Nur leider wird er als der Teufel verstanden, nicht als der Lichtbringer.
Weil das ja so schön zu der wunderbaren postmodernen Betroffenheitslyrik
paßt. Du darfst nicht hassen lautet das Gebot. Oder 'Ich bin ja so betroffen
über den Hass. Wo kommt bloß all dieser Hass her?'

Der einzige erlaubte Hass ist eben der Hass auf die Hasser. Nur mit den
Hassern ist es so wie mit vielen Dingen im Leben: Das sind immer die
anderen.
*Bernhard Redl*

*

(1) "Der Slogan sollte zum Nachdenken anregen, ob man Nazis wegkuscheln kann
oder ob Hass als Gefühl legitim ist. Der Satz stammt aus dem Lied
'Scheiß-Rassisten', das von der Ermordung des Antifaschisten Silvio Meier
handelt. Da heißt es: 'Unseren Hass, den könnt ihr haben, unser Lachen
kriegt ihr nicht.` Es soll zeigen: Hass ist ein unangenehmes Gefühl, aber es
ist das richtige Gefühl gegenüber Nazis." (Der Antifa-Aktivist Lukas, in
einem Interview im Falter 6/2014 zum Slogan der NOWKR-Demo)



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