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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Mai 2017; 01:09
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> Briefe an Tito

Eine Balkanstory
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Am 7.Mai jährte sich der Geburtstag von Josip Broz Tito zum 125. Mal. Der
1980 verstorbene Langzeitpräsident ist nach wie vor der populärste Politiker
in den meisten Nachfolgestaaten Jugoslawiens. In seiner Stadtresidenz in
Beograd, wo auch sein Grabmal ist, bekommt er nach wie vor Briefe.

"Ja, es gibt fast täglich Briefe für Tito". Ana Panic, PR-Verantwortliche
des Muzej Istorije Jugoslavije (MIJ) wirkt überrascht, dass irgendwer danach
fragt.

Die Kuca cveca, die ehemalige Residenz Titos in Beograd, liegt am hinteren
Ende des Gebäudekomplexes des MIJ. Heute ist dort sein Grabmal untergebracht
und eine Dauerausstellung, die zum MIJ gehört.

"Sie kommen nicht mit der Post", sagt sie. "Besucher lassen sie da, meist
neben dem Gästebuch."

Es sind meist Leute, die noch unter Tito geboren wurden und sich an ein
Jugoslawien erinnern können, das nicht von Dauerkrisen gebeutelt war und
gewaltsam zerfiel, mit mehr als 100.000 Toten.

"Sie tauschen gemeinsame Erinnerungen mit Tito aus", sagt Ana.

Meist sind es kurze Schriftstücke, kaum eine DIN A4-Seite lang, wie die
kurze Notiz eines Admirals der Flotte der JNA, die hier ausgestellt ist.
Längere Briefe sind selten. Manchmal sind sie in einem Kuvert, manchmal auch
lose Blätter.

Manche kommen auch von Besuchern, die vor langem ausgewandert sind und dem
Marsal von ihrem neuen Leben erzählen und davon, dass sie lieber in
Jugoslawien geblieben wären, wäre es nicht auseinandergebrochen.

Andere klagen über den Zustand der heutigen Welt, erzählt mir ein Kurator
der Ausstellung.


Mit Tito ist man per Du

Eines haben alle Briefeschreiber gemeinsam. Sie sind per Du mit Tito. Egal,
ob sie ihn mit Druze ansprechen, mit Genosse, mit Marsal oder, seltener, mit
Presjednik, mit Präsident. Immer wird das vertraute "ti" verwendet, nie das
förmliche "vi".

Das war immer so. Ein Brief zu Titos 60. Geburtstag aus Lubljana aus dem
Jahr 1952 beginnt mit den Worten: "Unser lieber Marsal, zu Deinem 60.
Geburtstag."

"Das stammt noch aus kommunistischen Zeiten her", sagt ein Kurator. "In der
Partei haben sich alle geduzt und Tito war sozusagen als oberster Genosse
auch mit allen anderen per Du."

Genauso wie die Gästebucheinträge sind die längeren Schriftstücke an Tito in
den vergangenen Jahren wieder mehr geworden. Wie überhaupt die Besucher des
Museums.

Vor zehn Jahren konnte man hier einen Vormittag praktisch alleine mit dem
Kurator verbringen. Heute laufe ich einer kleineren skandinavischen
Reisegruppe über den Weg, als ich den Museumskomplex betrete und spaziere
mit einem Serben und einem Deutschen durch die Ausstellung.

Die Zeiten seien schlechter geworden in den meisten Nachfolgestaaten
Jugoslawiens, die Menschen würden sich wieder der Zeit der Stabilität unter
Tito besinnen, lautet die gängigste Interpretation.

Vielleicht liegt es auch daran, dass sich Nostalgie und der zeitliche
Abstand zu einem Geschehen direkt proportional zueinander verhalten.

Oder daran, dass trotz der Restauration weitgehend nationalistischer, wenn
auch formal demokratischer, Regime in den meisten Staaten Ex-Jugoslawiens
nach kurzen liberalen beziehungsweise linken Intermezzi der nationalistische
Furor der 90-er langsam abgeebbt ist und die Erinnerung an das
supra-nationale Gebilde Jugoslawiens wieder attraktiver ist.


Tito war immer populär

Tito selbst war freilich immer populär. Vor allem in Serbien und in Bosnien.

In Serbien ist er laut Umfragen der populärste Politiker der Geschichte,
knapp vor Ministerpräsident/Präsident Aleksandar Vucic.

Mit dem gravierenden Unterschied, dass Vucic seit drei Jahren Dauerwahlkampf
betreibt und er und seine Fortschrittspartei sich der unkritischen
Unterstützung der größten serbischen Medien erfreuen können und nebenbei die
Wählermassen mit Klientelismus bei Laune halten.

Tito ist seit 1980 tot. Da kann er nicht mithalten.


Osteuropäische Sehnsucht nach Autokraten?

Eine Interpretation für die Popularität des Langzeitstaatsführers lautet,
dass die Serben und/oder die Bosnier eben autoritäre Politiker lieben
würden. Das sehe man auch an Vucics Popularität oder an dem Umstand dass der
nationalistische Heißsporn Milorad Dodik im bosnischen Teilstaat Republika
Srpska Mal um Mal gewählt wird.

Diese Erklärung erhebt die Frage zu einer Angelegenheit der nationalen
Mentalität. Vordergründig mag sie stimmig sein.

Bei genauerem Hinsehen erweist sie sich als klischeebeladene
Küchenpsychologie. Die Osteuropäer, so der Subtext, wollen und brauchen eben
eine starke Hand. Das sei nicht zu ändern.

Auch im Westen sind die populärsten Politiker der Geschichte die, die
autoritäre Züge auswiesen. Der große Unterschied ist nur, dass sie die in
einem demokratischen Rahmen auslebten und nicht in einem Ein-Parteien-System
oder wie heute einer halbdemokratischen Kleptokratie.

Im Westen nennt man diese Politiker nicht autoritär. Hier heißen sie
Ausnahmepolitiker, starke Persönlichkeiten usw.

Nicht wenige veränderten den demokratischen Rahmen zu ihren Gunsten. Was
ihnen erlaubte, autoritärer agieren zu können, ohne den Rahmen zu verlassen.

Man denke an Konrad Adenauer. Das Grundgesetz ist in weiten Teilen auf ihn
zugeschnitten. Nicht umsonst spricht man von seiner Ära auch als
Kanzlerdemokratie.

Oder Charles de Gaulle, der sich die Verfassung der Fünften Republik mit
einem alles überragenden Präsidenten auf den Leib schreiben ließ. Die linke
Opposition bezeichnete die neue Verfassung als "andauernden Staatsstreich".

Auch Napoleon Bonaparte ist sehr beliebt bei den heutigen Franzosen.

Franklin Delano Roosevelt, einer der populärsten US-Präsidenten, scheiterte
mit dem Versuch, den Obersten Gerichtshof dauerhaft zu seinen Gunsten zu
besetzen. Er ist der einzige US-Präsident, der mehr als zweimal gewählt
wurde - ingesamt vier Mal - was damals nicht verboten war, aber sozusagen
gegen die ungeschriebene Verfassung verstieß. Nach seinem Tod wurde die
Verfassung geändert. Präsidenten dürfen nur mehr zweimal gewählt werden.

Winston Churchill ist bis heute der beliebteste Politiker Großbritanniens.
Auch er agierte autoritär. Während des Krieges war das notwendig. Danach
hatten auch seine Landsleute genug.

Ebenfalls sehr populär, wengleich umstrittener, ist Margaret Thatcher. Keine
britische Regierungschefin der Moderne griff so radikal in die
demokratischen Mitbestimmungsrechte der Arbeiterinnen und Arbeiter ein wie
sie. Die britischen Gewerkschaften haben sich bis heute nicht von ihrer
Amtszeit erholt.

Oder Ronald Reagan. Auch er setzte sich über massive gewerkschaftliche
Widerstände hinweg und schwächte die Arbeitnehmervertretung nachhaltig.
Reagan gilt als einer der beliebtesten Präsidenten der US-amerikanischen
Geschichte.

Und da wäre noch der Umstand, dass in Österreich 43 Prozent der Menschen
einen "starken Mann" in der Politik wollen.

Mit einer vermeintlichen osteuropäischen Mentalität lässt sich die
Tito-Nostalgie nicht abtun.


Sagt viel aus über die Lebensumstände

Seine Popularität sagt einiges aus. Sei es über ihn oder die Macht
nostalgischer Verklärung. Oder die miserablen Lebensumstände der meisten
Menschen in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Materiell besser als zu
seinen Lebzeiten geht es heute nur den Slowenen und allenfalls den Kroaten.

Besonders ausgeprägt ist der Kult in Bosnien. Zumindest im Teilstaat
Federacija hat jede größere Stadt eine Straße, die nach ihm benannt ist.
Besser als unter ihm ging es den Bosniern weder vor noch nach ihm jemals.

Tito hat Jugoslawien drei Jahrzehnte mit Stabilität, Sicherheit, wachsendem
Wohlstand und der größten Freiheit beschert, die es in irgendeinem
kommunistischen Land gab.

Das sollte man bedenken, bevor man sich über die Beliebtheit eines Mannes
lustig macht, der seit 37 Jahren tot ist. Und bis heute Briefe kriegt.
*Christoph Baumgarten*

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Quelle: https://balkanstories.net/2017/05/07/i-thought-id-write-to-juliet

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