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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 12. April 2017; 19:45
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Politische Kultur / Glosse:

> Was fehlt

Der Grün-Wickel könnte paradigmatisch für eine Debatte über österreichische
Politikkultur sein

Zuallererst: Momentan zieht die Regierungskoalition auf Bundesebene ihr
neues Programm durch - was derzeit zur baldigen Beschlußfassung alles
ansteht, ist kaum mehr vollständig aufzuzählen, doch ist es auf einen Nenner
gebracht: autoritär! Es geht um Einschränkungen des Demonstrationsrecht und
sonstigen Formen der freien Meinungsäußerung, Bekleidungsverordnungen,
Arbeitsverpflichtungen für Asylwerber und praktisch auch für ältere
Arbeitslose, flankiert von ähnlichen Landesgesetzen für
Mindestsicherungsbezieher.

Aber Österreich spricht über die Grünen. Ja, klar, es ist schon fein für die
Massenmedien, endlich streiten die Grünen wieder. Verbales Schlammcatchen
ist immer eine Story wert. Eva Glawischnig hat, ja versucht bei "Im Zentrum"
darauf hinzuweisen, daß es eigentlich genug Themen gebe, die Alt- und
Junggrüne gemeinsam angehen könnten und auch sollten. Nur war das halt nicht
das Thema der Sendung und so verpuffte auch das.

Dennoch könnte diese Debatte noch wertvoll sein und von größerer Bedeutung
für die österreichische Politikkultur; wenn sie auf eine Metaebene gehoben
wird, quasi pars pro toto. Denn was da in einem Kammerstück der Grünen
passiert, hat seine Entsprechungen auch intern in anderen Parteien sowie in
der gesamten politischen Kultur dieses Landes. Doch das läßt sich kaum in
seiner Gesamtheit in einstündigen Fernsehshows diskutieren und vieles davon
berührt auch derart die politische Grundkultur dieses Landes, daß da
eigentlich ungern darüber geredet wird.

Da wären zum einen drei Sager von Glawischnig bei erwähnter ORF-Diskussion.
Zweimal sprach sie von "Grünen Gewerkschaftern" und einmal sprach sie von
der GRAS als "wir". Das mit den "Grünen Gewerkschaftern" macht in Österreich
nur die AUGE hellhörig, die zwar bei Wahlen recht froh ist, daß sie als die
Fraktion der Grünen angesehen wird, aber ansonsten darauf besteht, daß sie
unabhängig ist -- deswegen ja das "UG" hinter dem Namen. Die "Alternativen
und Grünen GewerkschafterInnen" wurden wieder einmal mit der Tatsache
konfrontiert, daß nicht nur der Großteil der Öffentlichkeit die AUGE als
Parteifraktion in ÖGB und AK ansieht, sondern auch die Parteichefin der
Grünen.

Der dritte Sager, "wir" als GRAS, stört -- zumindest, was ich so wahrnehmen
konnte -- nicht einmal die GRAS. Und doch sagt es sehr viel aus über die
Zustände in diesem Land. Die Zweite Republik war lange Zeit geprägt durch
die "Lager" von "Rot" und "Schwarz" -- alle Instutionen der Politik und die
meisten Institutionen angeblich unpolitischer Natur waren entweder der SPÖ
oder ÖVP zuzuordnen. Diese Zeit ist vorbei, doch die Durchflutung aller
Bereiche der Politik mit eindeutigen Zuordnung zu einer politischen Partei
ist nach wie vor vorhanden. Bisweilen fühlt man sich an das Christendiktum
"Extra ecclesiam nulla salus" erinnert -- nur das heute nicht mehr außerhalb
der Kirche, sondern außerhalb der Partei kein Heil mehr zu erwarten ist. Ja,
man kann ohne eine Partei dank des dort liberalen Wahlrechts das eine oder
andere Mandat in den Arbeiterkammern, der ÖH oder in den Gemeinden
erlangen -- aber das wars auch schon. Ohne die Unterstützung einer
etablierten Partei wird sicher nicht mehr daraus. Und wenn in den Gemeinden
einmal eine Fraktion wirklich Bedeutung erlangt, die nicht offiziell von
einer der wichtigen Bundesparteien unterstützt wird, dann handelt es sich um
eine Abspaltung von diesen Parteien.

Ja, das Lamento über den Parteienstaat Österreich ist ein alter Hut. Und es
kommt zumeist eher aus der rechten Ecke. Auffällig ist aber schon, daß in
ganz Österreich das Label "unabhängig" unheimlich beliebt ist, wenn es
opportun erscheint -- auch wenn völlig unglaubwürdig, siehe Kandidatur Van
der Bellen. Beliebt ist die Unabhängigkeit aber weder bei der Partei-Elite
noch beim Wahlvolk. Eigentlich will man sich nicht allzusehr mit den
kandidierenden Listen aller Körperschaften beschäftigen, sondern schon
lieber das wählen, was man auf Bundesebene auch wählt. Wenn man
beispielsweise gerne Grün wählt, dann will man eine "Grüne Wirtschaft",
"Grüne Gewerkschafter" und "Grüne Studierende" -- und genau da ergibt sich
dann das Problem, daß es die "Grünen Gewerkschafter" nicht gibt und die
"Grünen Studierenden" nicht die von der Partei unterstützte Organisation
sind. Das geht dann soweit, daß die Grünen sich überlegen, wegen Verletzung
der Markenrechte zu klagen. Ecco, damit ist auch klar, warum bürgerliche
Repräsentativdemokratie und Kapitalismus so gut zusammenpassen:

Dann ist aber auch verständlich, daß im gegenständlichen Konflikt zwar viele
Linke Probleme haben mit der Vorgangsweise der Bundespartei, die Jugend in
die Wüste zu schicken, während hingegen bürgerlichen Stimmen das nicht weit
genug geht. Moritz Moser kommentiert das auf der neoliberalen
Nachrichtenplattform nzz.at so: "Die mangelnde Verknüpfung von Partei- und
Jugendorganisation -- sie lässt sich durch die teilweise extremistischen
Haltungen der Junggrünen erklären -- resultiert nun in deren Entfremdung.
Eine Konsolidierung wird dadurch erschwert, dass die Grünen nicht gerade
eine Partei sind, in der konsequent durchgegriffen wird. Das hat schon der
Rauswurf der 'Jungen Grünen' gezeigt. Letztendlich verebbte er in der
Tatsache, dass sie nun nicht mehr als Jugendorganisation gemeldet sind und
deshalb keine Bundesförderungen beziehen. Auf Landesebene bestehen sie als
Teilorganisationen partiell weiter fort."

Da wird eine härtere Hand eingefordert -- ganz im Sinne dessen, was man
hierzulande unter Demokratie versteht: Der Burgfrieden muß mit allen Mitteln
durchgesetzt werden, auch wenn dabei Blut fließt!

Wenn man die Mangelrüge der Grünen Studierenden aufmerksam liest (siehe die
"Die Strukturkritik..." ebenfalls im heutigen akin-pd), bemerkt man rasch,
daß diese Kritik viel weitergeht als nur das Konsensprinzip der GRAS
betreffend. Im Gegenteil, dieses Konsensprinzip ist am allerwenigsten von
dieser Kritik betroffen. Denn es geht hier viel mehr um die Macht eines
Parteiapparates, der eine echte Partizipation der früher immer so gerne
bemühten Basis unmöglich macht. Formal mögen die Systeme bei den Grünen
weitaus demokratischer sein als in den anderen Parteien, praktisch aber
bestimmen Prominenz, Apparat und Parteidisziplin was gemacht wird -- auf
allen Ebenen. Und hier greift auch die Kritik bezüglich, daß man sich
Politik erst einmal leisten können muß. Es ist eine Tatsache, daß bei den
Grünen wie bei allen anderen Parteien zumeist eigene Angestellte oder
karenzierbare Beamte zu Mandaten kommen -- unter anderem deswegen, weil
diese die besseren Kontakte haben. Daß für die meisten anderen eine
Politikkarriere nicht in Frage kommt, weil sie dann ihre Jobs für eine
unsichere Zukunft aufgeben müßten, kommt da noch hinzu. Das ist aber ein
systemisches Problem in Österreich, an dem keine Partei rütteln möchte --
schon deswegen, weil es so praktisch ist und man unter sich bleiben kann.

Über all das könnte man anhand dieses paradigmatischen Konflikts zwischen
Alt- und Junggrünen sowie zwischen zwei grünen ÖH-Fraktionen sprechen.

Tut man aber leider nicht. Schlammcatchen ist halt lustiger.

*Bernhard Redl*



(Zur politischen Kultur siehe auch im heutigen akin-pd Presseschau:
"Aufstand von oben")



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