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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 5. April 2017; 19:32
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Initiativen:

> Bilanz der "Populistenpause"

Letzte Woche endete die "Populistenpause": SOS Mitmensch hatte die Menschen
in Österreich dazu aufgerufen, einen Monat lang - vom 1. bis 31. März - der
populistischen und extremen Rechten keine öffentliche Aufmerksamkeit
zukommen zu lassen. Nun zieht die NGO Bilanz:
*

Die Populistenpause hatte spürbare Auswirkungen auf das Verhalten in
sozialen Netzwerken. Hier die fünf wichtigsten Erkenntnisse, die aus der
Aktion gewonnen werden konnten.

1. Populistenpause bewirkte weniger Populisten- und Extremistenverkehr in
sozialen Netzwerken: Die Populistenpause blieb nicht ohne Folgen. Viele
haben mitgemacht und im März weitgehend darauf verzichtet, den rechten
Provokateuren ihre Empörung zu schenken. Die Aufmerksamkeit für Populisten
und Extremisten in sozialen Netzwerken ging spürbar zurück, wenn auch nicht
auf null.

2. Immer gleiches Drehbuch der Frontenbildung und des Aufwiegelns: Die
Beobachtung von SOS Mitmensch hat gezeigt: Die Aufmerksamkeitsmaschinerie
der extremen Rechten in sozialen Netzwerken läuft nahezu immer nach dem
gleichen Drehbuch ab. Eine zentrale Rolle spielen negative Vorkommnisse.
Diese negativen Vorkommnisse werden sorgfältig nach ihrer Eignung, Fronten
aufzubauen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu schüren, ausgewählt.
Damit sollen gezielt Feindbildschemen bedient werden. Passt ein negatives
Vorkommnis hingegen nicht in das entsprechende Feindbildschema, wird es
ausgeblendet.

Fallbeispiel: Im März gab es binnen kurzer Zeit zwei dramatische Ereignisse
in Deutschland. Ein 19-jähriger Mann tötete mit zahllosen Messerstichen
zuerst einen neunjährigen Nachbarsjungen und kurz darauf einen Bekannten,
bei dem er untergetaucht war. Der junge Mann, der inzwischen festgenommen
wurde und der laut Ermittlern "aus Mordlust" gehandelt haben soll, hieß
Marcel H. und war hellhäutig. Zu ihm fand sich kein Eintrag auf den
Facebook-Seiten der FPÖ-Spitze. Wenige Tage später attackierte ein
36-jähriger Mann in Düsseldorf mehrere Menschen zuerst in der S-Bahn und
dann am Bahnhof mit einer Axt und verletzte einige schwer. Laut Ermittlern
soll der Mann an paranoider Schizophrenie erkrankt sein und einen
psychotischen Schub gehabt haben. Doch der Mann hieß Fatmir A. und war
Asylwerber aus dem Kosovo. Das reichte für FPÖ-Spitzenpolitiker, um den Mann
auf ihre Facebook-Seiten zu befördern. Seine psychische Krankheit wurde von
der FPÖ in Frage gestellt. Während Doppelmörder Marcel H. nicht der richtige
Mann für das Frontenbildungs-Geschäftsmodell der FPÖ war, passte
Axt-Angreifer Fatmir A. perfekt in das Feindbild- und Aufwiegelungsschema
der Rechten.

3. Nicht viel versäumt, außer Gerichtsverfahren und Ermittlungen: Die
Aufmerksamkeitsmaschinerie der Populisten und Extremisten lief im März auf
Hochtouren. Mit einem Feuerwerk an Aussendungen, Auftritten,
parlamentarischen Instrumenten und Postings wurde um öffentliche Beachtung
gerungen. Allein die FPÖ verschickte im März mehr als 350 Presseaussendungen
und allein Strache und Gudenus lieferten mehr als 250 Facebook-Postings. Wer
die extreme Rechte im März ausgeblendet hat, hat neben den üblichen
Provokationen vor allem Gerichtsverfahren und Ermittlungen gegen heutige und
ehemalige rechte Funktionäre versäumt:

- Dörfler, Scheuch, Petzner und Dobernig ernteten Schuldsprüche wegen
versuchter Vorteilsnahme und Untreue. Dörfler und Scheuch meldeten Berufung
an.

- die FPÖ verlor ein Verfahren gegen die "Filmpiraten" wegen eines
Urheberrechtsstreits

- die FPÖ verlor ein Verfahren gegen den "Standard" wegen eines
Blogeintrags, in dem die Anfechtung der ersten Bundespräsidenten-Stichwahl
als vorbereitet und möglicherweise provoziert dargestellt wurde. Das Urteil
ist nicht rechtskräftig.

- gegen den Kärntner FPÖ-Klubobmann wurden Ermittlungen wegen des Verdachts
der Untreue eingeleitet. Seine Immunität wurde aufgehoben.

- gegen einen FPÖ-Gemeinderat wurden Ermittlungen wegen des Postens von
möglichem NS-Propagandamaterial eingeleitet

- in der Eurofighter-Affäre kamen Vorwürfe gegen einen inzwischen
verstorbenen FPÖ-Kommunikationschef zu Tage

- das Dienstverhältnis mit einem parlamentarischen Mitarbeiter der FPÖ soll
wegen Hasspostings in Bälde gelöst werden

- es gab und gibt Streit um die Bundesratsnachfolge von Dörfler

- es kam zu einer Intervention eines FPÖ-Nationalrats gegen einen
Extremismusvortrag an einer oberösterreichischen Schule, weil im Vortrag die
Verbindung der FPÖ zu rechtsextremen Burschenschaften erwähnt wurde

- und es kam zum Eintritt der FPÖ in die Grazer Stadtkoalition.

4. Mehr Zurückhaltung und Klugheit im Umgang mit Populisten und Extremisten
notwendig: Die Populistenpause hat gezeigt, dass ein totales Ignorieren von
Populisten und Extremisten weder möglich noch sinnvoll ist. Sehr wohl
möglich und dringend geboten sind jedoch mehr Zurückhaltung und mehr
Klugheit im Umgang mit ihrer Aufmerksamkeitsmaschinerie. Um diese
Maschinerie zu durchbrechen, sollte nur dort auf Provokationen reagiert
werden, wo es sich um massive Grenzverletzungen handelt. Die von Populisten
und Extremisten in Umlauf gebrachten Begriffe, Bilder und Botschaften
sollten auf keinen Fall unkommentiert verbreitet und verstärkt werden.
Umgekehrt sollten nichtpopulistische Themen und Aussagen stärker als bisher
unterstützt und nach außen getragen werden.

5. Populistenpause förderte drei handlungsweisende Fragen zum Umgang mit
empörenden Aussagen und Handlungen von Populisten und Extremisten zu Tage:

Frage 1: Handelt es sich bei der Aussage oder Handlung um eine neue, massive
Grenzverletzung oder um eine schon öfters gehörte "übliche" Provokation?

Frage 2: Wenn es sich um eine neue, massive Grenzverletzung handelt, wie
thematisiere ich diese Grenzverletzung öffentlich so, dass ich dabei nicht
zum Steigbügelhalter für die Begriffe, Bilder und Botschaften der Populisten
und Extremisten werde und ihnen auch nicht den Weg in eine Opferrolle ebne?

Frage 3: Wenn es sich um eine schon öfters gehörte "übliche" Provokation
handelt, was will der politische Akteur mit der wiederholten Provokation
erreichen, welche Bevölkerungsgruppe will er bedienen, wen will er bewusst
gegen sich aufstacheln, und schadet es oder hilft es den Anliegen des
Provokateurs und meinen Anliegen, wenn ich auf die Provokation einsteige,
meiner Empörung öffentlich Luft mache und dem Provokateur damit
Aufmerksamkeit zuschanze?

Experiment mit offenem Ausgang

Die Populistenpause war ein Experiment mit offenem Ausgang. Unser Ziel war
es, zu einem bewussteren Umgang mit der Aufmerksamkeitsmaschinerie der
Populisten und Extremisten anzuregen. Einige werden vielleicht erleichtert
sein, dass die Populistenpause nun zu Ende geht und man der Empörung über
rechte Provokationen wieder freien Lauf lassen kann. Doch Empörung sollte
nicht denjenigen helfen, über die man sich empört. Daher halten wir die
Schlussfolgerungen, die wir aus der Populistenpause ziehen konnten, für sehr
wichtig.

Die Populistenpause hat gezeigt, welche Macht wir haben, Aufmerksamkeit zu
schenken oder zu entziehen. Die Zukunft unserer Demokratie wird nicht nur an
den Wahlurnen entschieden werden, sondern auch, indem wir wählen, wem wir
wann und wie unsere Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen.
(SOS Mitmensch/gek.)

Quelle: http://www.sosmitmensch.at/fuenf-erkenntnisse-aus-populistenpause




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