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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. März 2017; 16:54
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Oe/Soziales/Glosse:

> Wege zum Ruhm

Neues aus dem Ministerium für Menschenverachtung -- und was an der
Darstellung des "Sozialtourismus" nicht stimmt
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Wie weit will Sebastian Kurz auf Kosten der Ärmsten eigentlich noch gehen,
nur um Kanzler in einer blauschwarzen Koalition zu werden? Was die ÖVP an
Menschenfeindlichkeit vorlegt, spottet jeder Beschreibung.

Beinahe lustvoll schwadroniert der Außenminister in der letzten
"Pressestunde" und in zahllosen Interviews über immer neue Kürzungspläne in
der Sozialpolitik. Ob diese Pläne grund- oder EU-rechtswidrig oder einfach
nur unmenschlich sind, ist ihm ganz offensichtlich egal. Solange bestimmte
Medien die passenden Überschriften und die passenden Umfragen dazu liefern,
wird Kurz nicht viel falsch gemacht haben. Politik von ihrer übelsten Sorte.
Kurz ist der geradezu idealtypische Vertreter "roher Bürgerlichkeit" wie der
Soziologe Wilhelm Heitmeyer die Einstellung von Menschen nennt, die
einerseits über geschliffene Umgangsformen verfügen, andererseits aber mit
Begriffen wie Solidarität, Fairness oder Gerechtigkeit schlicht nichts
anzufangen wissen, weil ihnen jegliches Verhalten, das nicht auf
Verwertbarkeit, Effizienz und Nützlichkeit ausgerichtet ist, völlig
unverständlich ist. Und wenn dann Machthunger in das Vakuum vorstößt, das
das Fehlen von Empathie hinterlassen hat, wird es richtig ungemütlich.

Hier einige Klarstellungen, weil die ÖVP ununterbrochen mit Halbwahrheiten
jongliert. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass EU-Bürger_innen ohne
vorherige Erwerbstätigkeit in Österreich Mindestsicherung oder daran
geknüpfte Leistungen erhalten. Vielleicht finden wir, wenn wir wirklich
lange suchen, irgendwo in Wien eine obdachlose bulgarische
Mindestsicherungsbezieherin, die noch nie hier gearbeitet hat. Das wäre dann
tatsächlich die Ausnahme, die die Regel bestätigt - und kein Grund, das
ohnehin schon restriktive System noch weiter zu verschärfen. Menschen aus
Drittstaaten erhalten die Mindestsicherung erst dann, wenn die sogenannte
Aufenthaltsverfestigung eingetreten ist, das heißt, sie müssen fünf Jahre
Erwerbstätigkeit - entweder die eigene oder die eines Familienangehörigen -
nachweisen.

Arbeitslose und Notstandsbeihilfe sind Versicherungsleistungen, die allen
Menschen zustehen, die in Österreich sechs Monate (für unter 25-Jährige)
oder 52 Wochen (für über 25-Jährige) gearbeitet und entsprechend Beiträge in
das Sozialsystem einbezahlt haben. Damit entsteht der Versicherungsanspruch.
Es ist nicht das Wesen der Versicherung, zuerst so viel in das System
einzubezahlen, wie ich später - bei Krankheit oder Arbeitsverlust -
herausbekomme. Der Minister verwechselt das Versicherungs- mit dem
Sparvereinsprinzip.

Ohne ein permanentes Wirtschaftswachstum von mindestens zwei Prozent wird
die Arbeitslosenrate nicht sinken, das prognostizieren im Großen und Ganzen
alle Ökonom_innen. Die Zeiten, in denen wir 40 bis 45 Jahre in derselben
Firma, derselben Organisation gearbeitet haben, sind unwiderruflich vorüber,
und deshalb müssen wir uns darauf verlassen können, dass es im Fall des
vorübergehenden Jobverlusts ein Sozialsystem gibt, das uns auffängt und die
Abwärtsspirale stoppt. Nur dadurch gewährleisten wir soziale und -
mittelfristig - auch öffentliche Sicherheit.

Aber entscheidend ist wohl die Frage: Welcher Mensch wollen Sie sein?

Nehmen wir an, Sie verlassen die U-Bahn, und vor Ihnen, am oberen Ende der
Rolltreppe, stürzt ein älterer Herr, weil er nicht mehr gut zu Fuß und ihm
das Tempo der Rolltreppe einfach zu hoch ist. Was tun Sie? Gehen Sie einfach
weiter - selbst schuld, wer mit dem 21. Jahrhundert nicht Schritt halten
kann? Fragen Sie ihn, ob er Inländer, EU-Bürger oder Drittstaatsangehöriger
ist, und entscheiden Sie dann, ob Sie ihm unter die Arme greifen? Überlegen
Sie, die Rettung zu rufen - aber nur, wenn der Herr zuvor nachweisen kann,
dass er mindestens fünf Jahre lang Sozialversicherungsbeiträge in das
österreichische System einbezahlt hat? Oder helfen Sie einfach, weil ein
Mensch in diesem Moment Ihre Hilfe braucht, um wieder aufzustehen und auf
festen Boden zu gelangen? Ich bin mir sicher, Sie helfen.

Doch die ÖVP - speziell die Männer in der ÖVP - überlegen tagein, tagaus, ob
sie den Herrn auf der Rolltreppe einfach liegen lassen oder über ihn
darübersteigen und wie es ihnen dieser unverhohlenen Unmenschlichkeit zum
Trotz dennoch gelingen kann, als im Großen und Ganzen gute Jungs
wahrgenommen zu werden. Der Boulevard spielt mitunter mit. Und Wien ist den
Herren Kurz, Sobotka, Lopatka, Pröll, Blümel und wie sie sonst noch heißen
ein ganz besonders spitzer Dorn im Auge. Doch gerade in Krisenzeiten müssen
soziale Netze halten. Denn nur so kann unser Zusammenleben funktionieren. Am
Ende der ÖVP-Pläne hingegen steht das Rio de Janeiro der Achtzigerjahre:
Slums und Reichenghettos.
*Birgit Hebein*

http://birgithebein.at/2017/03/wege-zum-ruhm-neues-aus-dem-ministerium-fuer-menschenverachtung/



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