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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. März 2017; 14:24
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Globalisierung:

> Willkommen in der Dritten Welt

Die Industriestaaten werden die Geister, die sie riefen, nicht mehr los.
Über die Versuche, ein Ausbeutungssystem, an dem man lange gut verdient hat
und das sich jetzt gegen einen selbst wendet, doch noch erträglich zu
machen. Und was das mit dem geplanten Multilateral Investment Court zu tun
hat.
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Am 15.März endet das Begutachtungsverfahren der EU-Kommission über die
Einrichtung ein neues internationales Investitionsschiedsgericht. In
Zusammenarbeit mit Canada und auch einigen asiatischen Staaten soll dieser
Multilateral Investment Court (MIC) als Ersatz für die bisherigen
Ad-hoc-Gerichte dienen. Wie alle neuen Ideen zum Thema
Investitionsgerichtsbarkeit ist natürlich auch diese Ziel der Kritik. "Ein
Gericht, uns alle zu knechten!" betitelt die NGO-Plattform WeMove.EU etwas
polemisch einen diesbezüglichen Protestaufruf.

Tatsächlich erscheinen die Entwürfe für diesen Gerichtshof als Verbesserung
gegenüber den bisherigen Gerichten, die üblicherweise über das von der
Weltbank eingerichtete ICSID (International Centre for Settlement of
Investment Disputes) organisiert werden. Ansätze von echter Transparenz
werden versprochen und sogar die Möglichkeit eines Berufungsverfahren.

Zuerst der Trikont...

Doch wieso jetzt dieses Interesse an einem neuen Schiedsverfahren? Hatten
die alten Gerichte nicht funktioniert? Doch, natürlich, aber nur für die
klassischen, postkolonial geprägten bilateralen Investitionsschutzabkommen.
Denn die -- je nach Zählweise -- 2000 bis 3000 in Kraft befindlichen
einschlägigen Abkommen sind fast alle Verträge zwischen jeweils eben nur
zwei Staaten, die sich nicht auf Augenhöhe begegnen können: Einem reichen
Industriestaat und einem armen, weniger entwickelten. Diese Verträge sind
zwar formal symmetrisch und verpflichten beide Partner im gleichen Sinne,
doch es war immer klar, daß es dabei um ein Klagsrecht eines Konzern mit
Sitz im reichen Staat gegen die Regierung und Gesetzgebung des armen Staats
geht -- ein Instrument also dafür, was man früher einmal Ausbeutung der
Dritten Welt genannt hat. Nebenbei bemerkt: Einen solchen Wirbel wie jetzt
um TTIP und CETA hat man in den Industriestaaten um diese Abkommen nie
gemacht und es interessiert sich bei uns bis heute kaum jemand dafür, denn
davon haben wir ja in den reichen Ländern immer mitprofitiert. Doch
mittlerweile ist einiges anders geworden. Jetzt werden auch EU-Staaten
verklagt. Daß das jetzt möglich ist, hat mehrere Gründe.

... dann der COMECON ...

Einer davon ist, daß neben den klassischen Drittweltländern Anfang der 90er
auch ehemalige Teilstaaten der zerfallenen Sowjetunion sowie frühere
COMECON-Staaten zu verklagbaren Parteien wurden. Auch diese ökonomisch eher
hinterherhinkenden Staaten gingen nun auf solche Deals ein -- zur "Anlockung
von Investitionskapital", wie man das euphemistisch nennt. Auf einem solchen
Abkommen zwischen Canada und Rumänien beruht die derzeit anstehende Klage
von Gabriel Limitits gegen Rumänien in der Causa Rosia Montana. Der
kanadische Konzern verklagt Rumänien auf 4 Milliarden Euro, weil Regierung
und Parlament nicht mehr der Meinung sind, daß man zum Zwecke des Goldabbaus
(der dort zwar eine jahrhundertelange, aber nicht gar so brutale Tradition
hat) eine ganze Region in eine Kraterlandschaft und Giftmülldeponie
verwandeln dürfe.

... zuletzt die Herrenländer

Daß aber mittlerweile auch der kapitalistische Musterschüler Deutschland
verklagt werden kann, hat einen anderen Grund. Der Trend geht jetzt nämlich
doch hin zu multilateralen Abkommen. Während CETA und TTIP groß thematisiert
werden (und vor 20 Jahren das gescheiterte MAI große Öffentlichkeit erfuhr),
wurde zum Beispiel der multilaterale Energiecharta-Vertrag weitgehend
ignoriert. Das ist auch kein Wunder, denn die Idee dahinter war ähnlich
jener der bisherigen bilateralen Verträgen: Die maroden, aber
profitversprechenden Energiebetriebe des COMECON und der ehemaligen
Sowjetstaaten sollten der Verwertung durch westliche Konzerne zugeführt
werden. Wenn man sich nur das immense Beteiligungsportefeuille der doch eher
niedlichen BEWAG (heute "Energie Burgenland") in Osteuropa ansieht, wird
klar, wie effektiv dieses Abkommen war -- ohne harte Absicherung dieser
Einkaufstouren wären diese nicht möglich gewesen. Allerdings rächt sich das
nun, denn jetzt kann auch ein Konzern aus einem reichen Staat einen anderen
reichen Staat klagen -- wie in den beiden Causen Vattenfall gegen
Deutschland. Der eine Streitpunkt ging durch die internationalen Medien: Der
schwedische Konzern klagt die Bundesrepublik wegen ihres geplanten
Atomausstiegs. Dieses Verfahren ist noch im Laufen. Die zweite Klage ist
weniger bekannt, aber viel pikanter: Wegen Umweltauflagen für ein
kalorisches Kraftwerrk in Hamburg strengte Vattenfall eine Klage auf
Schadenersatz oder Rücknahme dieser Auflagen an. Die Pointe daran:
Deutschland resp. das Land Hamburg hätten eigentlich rechtlich gar nicht
anders gekonnt, als diese Auflagen zu verordnen -- denn sie beruhen auf
einer EU-Richtlinie. Trotzdem einigte man sich mit Vattenfall auf einen
Kompromiß abgemilderter Auflagen. Das allerdings nimmt jetzt die
EU-Kommission zum Anlaß, eine Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
einzuleiten.

Doch es kommt noch verzwickter: Vattenfall ist zu 100% in schwedischem
Staatsbesitz -- also kein privater Konzern. Die schwedische Regierung
hintertreibt also auf dem Umweg über einen Staatsbetrieb
EU-Umweltbestimmungen. Oder: Der Konzern, obwohl in Staatsbesitz ist schon
so mächtig, daß die schwedische Regierung da gar nicht mehr eingreifen kann.
Tatsächlich erscheint es so, daß die Multis mittlerweile nicht mehr als
Konzerne ihrer Staaten agieren, sondern umgekehrt die Staaten als Vasallen
ihrer Konzerne. Und denen ist es egal, wo Menschen oder Umwelt ausgebeutet
werden -- das müssen nicht mehr nur Ressourcen in ärmeren Ländern sein, wie
das zu Zeiten galt, als die reichen Staaten noch eher die Kontrolle über die
Weltwirtschaft hatten. Ganz offensichtlich sind die reichen Staaten nicht
mehr in der Lage, sich Begehrlichkeiten der Industrie zu widersetzen, die
nicht auch die eigenen Intererssen bedienen. Genau deswegen dürfte der Trend
weg von bilateralen hin zu multilateralen Abkommen gehen. Daß man da in den
reichen Staaten wenigstens einen Gerichtshof möchte, der nicht derartig
windig ist wie die Adhoc-Gerichte, die bei Urteilen gegen Drittweltländern
so hilfreich waren, ist schon verständlich.

Eine Chance

Es klingt absurd, aber in gewisser Weise sind Abkommen wie TTIP und CETA ein
Beitrag zu mehr Fairness -- denn denn nun sitzen die nicht mehr gar so
mächtigen Industriestaaten klassischen Zuschnitts beinahe im gleichen Boot
wie die Schwellen- und Entwicklungsländer. Und das könnte die Bevölkerungen
dieser Industriestaaten dazu bringen, von ihren Regierungen nicht nur eine
Beendigung solcher Abkommen zu fordern, sondern generell auch eine
Regulierung der globalen Konzernmacht. Über die Gefahr der Globalisierung
wird seit 20 Jahren gejammert, jetzt aber wird sie mit den multilateralen
Abkommen plötzlich weitaus konkreter als bisher. Die Debatte um CETA und
TTIP kann man also auch als Chance begreifen, grundsätzlichen
Fragestellungen Wirkmacht zu geben. Die Frage ist nur, ob diese Chance auch
ergriffen werden kann.
*Bernhard Redl*



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