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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Donnerstag, 19. Januar 2017; 03:55
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Rumänien-Wahl:

> (K)Eine Enttäuschung

Am 11. Dezember haben die rumänischen BürgerInnen die Abgeordnetenkammer und
den Senat neu gewählt. Mittlerweile ist klar, daß der aus den Reihen der
"Sozialdemokraten" stammende Sorin Grindeanu neuer Premier wird -- wohl auch
deswegen weil er nicht vorbestraft ist wie sein Parteichef Dragnea. Vor
dieser Entscheidung veröffentlichte die Zeitschrift "Archipel" des
"Europäischen Bürgerforums" in der Jänner-Ausgabe zum Wahlergebnis einen
Kommentar von *Jochen Cotaru* von der rumänischen Sektion des EBF:
*

Etliche gute Freund_innen waren am Tag nach der Wahl fast am Kofferpacken,
so tief enttäuschte sie das Wahlergebnis. Die PSD mit einem historischen
Wahlsieg - nein, das hatte sich niemand träumen lassen. Es lohnt sich
dennoch, genauer hin zu schauen, was passiert ist.

Erstmals seit 2004 war die Wahlbeteiligung in den Städten höher als im
ländlichen Raum - dennoch machten sich insgesamt weniger als 40 Prozent auf
den Weg zum Wahllokal. Die Sozialdemokraten (PSD) verfehlten nur knapp die
absolute Mehrheit in beiden Häusern, die neue, bürgerbewegte «Union rettet
Rumänien» (USR) kam auf fast 9 Prozent.

Der Sieg der PSD ist schmerzhaft: sie gewann die Wahl mit einer
nationalistischen und teilweise verschwörungstheoretischen Kampagne, die
sich vor allem gegen das Expertenkabinett unter dem früheren EU-Kommissars
Ciolos richtete und mit der angeblichen Einflussnahme ausländischer
Organisationen des Milliardärs Soros auf die Landespolitik bewusst auf die
Nutzung antisemitischer Codes setzte. Die PSD bietet zwar nicht mehr Inhalt
als andere Altparteien, verfügt aber über einen grossen Parteiapparat und
treue WählerInnen. Und sie polemisiert nicht gegen arme
Bevölkerungsschichten - das zeichnet sie gegenüber den meisten anderen
Parteien aus. Zugleich verkörpert sie aber die institutionalisierte
Korruption und will ihren Spitzenkandidaten Liviu Dragnea, einen wegen
Wahlmanipulation vorbestraften Politiker, zum Premier machen. (1) Hier
zeichnet sich zur Zeit ein Verfassungskonflikt mit unklarem Ausgang ab, der
sicherlich nicht nur zwischen Parlament und Präsident Johannis ausgetragen
werden wird. Eine Nominierung Dragneas wird mit ziemlicher Sicherheit zu
Demonstrationen führen.

Anlass zur Erleichterung bietet vielleicht das schwache Abschneiden der
rassistischen, homophoben und EU-feindlichen «Partei Vereinigtes Rumänien»
(PRU). Ganz im Sinne des für Rumänien konstatierten politischen
Kapitalismus - Demokratie als Einnahmequelle - wurde diese Partei erst vor
kurzem von früheren PSD-MitgIiedern gegründet, um eine rumänische Antwort
für die hiesige potenzielle rechtsextreme «Alternative für Deutschland»- und
«Front-National»-Klientel zu haben. Bei einem Einzug ins Parlament war die
Kooperation mit der PSD bereits ausgemachte Sache. Die Wählerinnen haben ihr
jedoch diesen Erfolg verweigert. Hingegen hat der Einzug der
rechtpopulistischen Volksbewegung PMP des Ex-Präsidenten Bsescu dieses
Glücksmoment etwas verwässert. Bsescu ist eine unüberhörbare Stimme für die
Vereinigung Rumäniens mit der Republik Moldau und somit für internationale
Provokationen. Kurioserweise war es der knappe Einzug dieser
rechtspopulistischen PMP ins Parlament, der eine absolute Mehrheit der
verfeindeten PSD verhindert hat.

Eine soziale Stimme im Parlament

Die «Union Rettet Rumänien» (USR) ist, keine neun Monate nach ihrer
Gründung, mit fast neun Prozent in beiden Kammern vertreten. Es hätten nur
messianische Heilserwartungen von einem höheren Ergebnis träumen lassen
können. Das Ergebnis ist gut für eine Partei, die sich ihre Strukturen unter
klarer Abgrenzung der etablierten Politik des Landes aufbaut. Die USR ist
vorerst die Protestpartei der städtischen und gebildeten Bevölkerung, deren
eigene Bandbreite von linksliberal bis zu nationalreligiös reicht.
Verschiedene Meinungen gehen bereits von einer absehbaren Spaltung in diese
beiden Lager aus. Das schmälert den Erfolg vorerst nicht - immerhin gibt es
in der Partei zahlreiche Abgeordnete, die für ihr säkulares, demokratisches
und soziales Profil gewählt wurden. Mit diesen, so wie dem
Rosia-Montana-AktivistInnen und künftigem Senator Mihai Goiu, bietet sich
erstmals in der postkommunistischen Demokratie die Chance, dass sich eine
soziale Stimme im Parlament etablieren kann.

Die PSD hat - mit Erfolg - einen Wahlkampf im Stile Donald Trumps geführt
und kann jetzt ihre Vormachtstellung im Land zementieren. Das ist wichtig
für sie, denn viele ihrer Spitzen-politiker_innen sind in Gefahr, von den
StaatsanwältInnen der Antikorruptionsbehörde DNA wegen ihrer Machenschaften
vor Gericht gezerrt zu werden. Sicherlich gefährdet eine Regierungsübernahme
durch die PSD auch die Erfolge der Umwelt- und Bürgerbewegungen Rumäniens.
Nüchtern betrachtet hatten die rumänischen Sozialdemokraten in den 1990er
Jahren jedoch weitaus bessere Ausgangslagen, mit fast zwei Dritteln der
Stimmen. Als sie 2013 als Regierungspartei das Sondergesetz für den
Goldabbau in Rosia Montana zur Abstimmung vorlegten, war es die Strasse, die
das Gesetz kippte. Heute hat diese Strasse VertreterInnen im Parlament. Ich
denke, dass es durchaus Anlass zur Hoffnung gibt, wenn die USR in der
Ablehnung von Kumpanei und Korruption konsequent bleibt und ihr soziales
Profil klarer erkennbar wird -- ja, man sich eventuell gar in der Partei
gegen den rechten Flügel durchzusetzen vermag. Dann kann sie auch auf den
rumänischen Dörfern als Alternative gehört werden. So sehe ich vorerst
keinen Grund, die Koffer zu packen.


1) Laut Informationen der Plattform "Romania Curat" hat fast die Hälfte der
PSD-Abgeordneten und Senatoren so genannte Integritätsprobteme. Keine der
Altparteien inklusive der ungarischen Minderheitenpartei steht sauber da -
etwa 37% der 465 jetzt gewählten ParlamentarierInnen befinden sich mit dem
Gesetz in Konflikt oder sind bereits vorbestraft. (Quelle:
http://www.romaniacurata.ro/172-de-candidati-de-pe-lista-neagra-a-romaniei-curate-au-intrat-in-parlament/).



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