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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Dezember 2016; 09:14
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Kommentierte Populismusschau (II):

> Sie kennt keine Parteien mehr

Zu einem Artikel von Isolde Charim in der Wiener Zeitung vom 10./11.12.2016

Immer dann, wenn jemand keine Parteien mehr kennen will, schrillen bei mir
die Alarmglocken. Denn dann muss ich an Kaiser Wilhelm II. denken, der beim
Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Repräsentanten aller im Reichstag
vertretenen Parteien um sich versammelte und in einer Thronrede erklärte:
"Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!" In der Folge
stimmten die zuvor antimilitaristisch und pazifistisch orientierten
Sozialdemokraten fast geschlossen für die zur Kriegsführung benötigten
Kriegskredite.

Nun ist es wiedermal so weit. In der Wiener Zeitung erklärt uns Isolde
Charim in einem euphorischen Rückblick auf die Van der Bellen-Wahlbewegung,
dass es jetzt an der Zeit sei, die Parteien zu vergessen. "Bislang kannten
wir Parteipolitik. Das ist eine Politik entlang von inhaltlichen Vorgaben
... Es ist dies eine Politik von erkämpften (oder zu erkämpfenden)
gesellschaftlichen Positionen." Wer wissen will, was daran so schlecht sein
soll, wird aufgeklärt, dass sich besagtes Politikkonzept der auch vom
Rechtspopulismus vertretenen "Freund-Feind-Logik" unterwerfe. Diese Logik
aber totalisiere das Feld der Politik. Sie "zwingt diesem die Kategorien
Freund-Feind auf. Da gibt es nur entweder-oder ... Aber: Demokratie ist
nicht das Setting für solch eine Logik. Mehr noch: Die Freund-Feind-Logik
bildet die äußere Grenze und damit die Gefährdung der Demokratie."

An dieser Analyse ist nur der letzte Satz richtig - und auch das bloß in
einer von Charim nicht intendierten Lesart: Demokratie ist das Bemühen, eine
gewalttätige Raubtierökonomie, die systematisch Feindschaft erzeugt, durch
ein auf Diskurs und Kompromissbildung fußendes Regime der Konfliktaustragung
zu zähmen. Dieser Versuch ist so etwas wie ein zivilisatorischer
Dressurakt - und damit tatsächlich immer schon in gänzlich unaufhebbarer
Weise gefährdet. Wer die "Überparteilichkeit ... zur neuen Parteilichkeit"
erklärt und dabei mit keinem Wort unsere in Ausbeuter und Ausgebeutete,
Sieger und Verlierer spaltende Ökonomie erwähnt, trägt nicht bei zur
Minderung dieser Gefahr. Im Gegenteil: Wer so argumentiert, bestärkt bei den
Opfern dieser Ökonomie die dumpfe Ahnung, dass Demokratie ja doch nur eine
verlogene Veranstaltung der politischen Eliten und ihrer Lügenmedien zur
Beschwichtigung von berechtigter Wut sei, weshalb man es ruhig wieder einmal
mit einer autoritären Lösung probieren sollte.

Auch nach einer anderen Seite hin leistet die von Charim entfaltete
Argumentation der Demokratie einen schlechten Dienst:

Jede am emanzipatorischen Ideal einer herrschaftsfreien Gesellschaft
orientierte Analyse von sozio-ökonomischen Antagonismen bewegt sich
selbstverständlich immer auch ein Stück weit in der Freund-Feind-Dimension.
Sie stempelt dabei aber niemanden per Geburt, Herkunft, Rasse oder Sprache
zum Feind, sondern macht allfällige Gegnerschaft immer nur an bestimmten
veränderbaren Verhaltensweisen fest. Wer diese Art von Parteilichkeit von
vornherein als demokratiegefährdend denunziert, verrichtet ungewollt
Vorarbeit für jene, die im vorgeblichen Interesse einer Verteidigung der
Demokratie die Grenzen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit immer enger
ziehen wollen, weil "Demokratie" in ihren Augen nur das Codewort für
reibungslose Kapitalverwertung ist und tatsächlich gelebte Demokratie sich
eines Tages als größte Gefahr für eine solche "Demokratie" erweisen könnte.
*Karl Czasny*

Der Artikel zum Online-Nachlesen:
"Überparteilichkeit ist die neue Parteilichkeit"
http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/861257_Ueberparteilichkeit-ist-die-neue-Parteilichkeit.html
KurzURL: http://tinyurl.com/akin28WZ



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