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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Dezember 2016; 09:35
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> Populismus & die Grünen
Sieben Punkte zur aktuellen Debatte um Linkspopulismus bei den Grünen:
1. Es gibt sehr viele Perspektiven, was Linkspopulismus eigentlich heißt.
Sich das zu vergegenwärtigen, würde schon einmal einiges in der Debatte
entschärfen und helfen den substanziellen Problemen näher zu kommen.
2. Was will Peter Pilz? Sein Wunsch nach Veränderung der Partei ist ehrlich.
Er sieht oft mehr als andere, hat mehr Erfahrung und mehr Bewusstsein über
das, was in diesem Land passiert. Sein Verständnis von Linkspopulismus ist
aber entbehrlich. Seine programmatischen Schlüsse zum Teil auch. Er blinkt
Links und biegt Rechts ab. In seinem Populismus geht es um eine Hinwendung
vom Linksliberalismus zum Linkskonservatismus, in der Absicht attraktiv für
die Massen zu werden. Einerseits werden das die Grünen nicht schaffen und
andererseits sind Nationalismus, Anti-Intellektualismus und eine
konservativere Haltung zu einer offenen Gesellschaft Fehler, die sich rächen
können.
3. Eva Glawischnig formuliert allenfalls eine von liberalen Vorurteilen
geprägte Kritik. Sie liefert keine substanzielle Kritik, die dieser Debatte
gerecht wird. Die Zurechtweisung von Pilz ist kindisch. Das ist die
Bequemlichkeit der grünen Führung, die sich von ihrem Kurs nicht abbringen
lassen will. Wir werden sehen, wie lang dieser noch "erfolgreich" sein wird.
Eine breite Diskussion findet bei den Grünen nicht statt. Insofern ist auch
der vom Standard herbeigeschriebene Richtungsstreit Unsinn. Die Partei ist
erschreckend harmonisch. Diese Harmonie ist in dem jetzigen politischen
Kontext gefährlicher als der Streit.
4. Wovon ist also zu sprechen? Erstens sollten wir uns nicht von Leuten, die
nichts Gutes mit dem Begriff Linkspopulismus wollen, auf das festnageln
lassen. Zweitens, worum geht es denn eigentlich? Es geht darum sehr
kleinteiliges Grassroot-Campaigning zu betreiben, lokale Angebote zu
schaffen sich zu engagieren, eine politische Basis aufzubauen, die fähig zur
Massenmobilisierung ist, Menschen vor Ort zu politisieren und auszubilden,
die man in den Vierteln kennt. Es braucht die große Erzählung im Kleinen und
bei konkreten Bedürfnissen. Eine Erzählung, die nicht hinter gewonnene
Freiheiten zurückfällt, sondern die den Schwerpunkt hin zu sozialen Kämpfen
verlagert. Zum Beispiel: Was hat TTIP mit mir konkret zu tun? Was hat eine
ökologische Verkehrspolitik mit sozialer Gerechtigkeit zu tun? Wie geht es
weiter mit den Mieten? Warum müssen 80% der Studierenden nebenberuflich oder
sogar hauptberuflich arbeiten?
5. Es braucht Bewegung von Unten. Es braucht politisches Community Building
vor Ort. Wenn Linkspopulismus heißt, wir müssen mit Leuten reden, dann ist
das banal und warum passiert das eigentlich nicht eh schon? Gute Frage,
erklärt sich aber aus der Medialisierung von Demokratie. Die Basis zu
erneuern, ist wirklich harte Arbeit. Es muß damit begonnen werden, mit
Leuten zu reden. Manche in den diversen politischen Apparaten glauben, man
braucht dafür Kommunikationsschulungen oder Outdoor-Experience im Real Life,
damit man sich überhaupt auf die Straße trauen darf. Natürlich muss so etwas
strukturiert und geschult werden, aber wie wäre es mit: lernend schreiten
wir voran? Als würden die vielen ehrenamtlichen politisch Aktiven nicht auch
im Leben stehen. Vielleicht sollte man davon nicht so abstrahieren und so
tun, als würde man die Menschen aus der Vogelperspektive betrachten, nur
weil man aus irgendeinem Grund mit politischem Bewusstsein ausgestattet
wurde. Die Van-der-Bellen-Kampagne hat ja auch funktioniert, weil Leute
einfach Flyer in die Hand genommen haben und sich engagiert haben. Ein
Beispiel, aus dem man noch etwas lernen kann.
6. Zivilgesellschaft und Bewegung sind wichtig, kommen aber nicht von
irgendwoher. Gerade im korporatistisch verwalteten Kammern-Parteien-Staat
Österreich haben Parteien eine mächtige Rolle. Passt eine Partei sich dem
herrschenden Modus des österreichischen Parteiensystems an oder
demokratisiert sie es? Wird es offener für Menschen oder enger? Derzeit wird
es leider enger und autoritärer. Eine linke Partei hat daher die Aufgabe
zwischen sozialen Bedürfnissen der konservativen und segmentierten Massen
und gesellschaftlicher Liberalisierung zu vermitteln. Dünnt man aber
sukzessive die politische Basis aus in einer medialisierten Demokratie, ist
diese Vermittlung nicht mehr möglich und der Raum für den Rechtsextremismus
wird größer. Die Grünen haben diesen Raum der Vermittlung nie in ihrer
Geschichte füllen können und die SPÖ hat ihn aufgegeben. Mehr noch als das
sozialdemokratische Lager zerbricht der Konservativismus -- ein Vorbote des
regierenden Rechtsextremismus. Sichtbar wird das bei der Fraktionierung
innerhalb der ÖVP und im Wegdriften der Landbevölkerung zur FPÖ. Die eine
Fraktion versucht den Status Quo zu retten, die andere sich dem
Rechtsextremismus, Autoritarismus und Faschismus anzudienen.
7. Wenn auch die österreichische Linke inner- und außerhalb der Grünen und
SPÖ nicht unbedingt ein Hort von Gesegneten ist, ist doch auch klar, dass
seit dem Ausbruch der Krise 2007/2008 eine Neuorganisation der
österreichischen Linken ausständig ist. Das Kartell-Parteiensystem liegt in
Trümmern. Figuren wie Kern und Glawischnig richten halt noch immer eine
bunte Fassade davor auf. Hinter diese Fassade ist aber ein Schutthaufen. Ob
die Grünen Teil einer demokratischen Erneuerung und eines linken Aufbruchs
sein werden, um diese Frage werden sie nicht herumkommen, selbst wenn sie
andere Wege gehen sollten.
*Cengiz Kulac* (Blog, gek)
Volltext:
https://cengizkulac.com/2016/12/13/7-punkte-zu-populismus-die-gruenen/
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