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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Dezember 2016; 09:25
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Populismus:
> Von Verwaltern und Gestaltern
Über den Populismus der Populismuskritik
"Populismus" sollte das Wort des Jahres sein. Oder eigentlich das Unwort
2016. Ja, es ist nicht gerade neu, aber heuer fiel es so oft wie nie. Das
ist wohl auch der Grund, warum sich letzte Woche das Radiokolleg auf Ö1
damit befaßte. Allerdings wurde es dort -- in der von mir sonst
hochgeschätzten Sendereihe -- in einer Art behandelt, wie dort der Begriff
"populistisch" verstanden wurde. Populistisch nämlich. Denn wenn Populismus
das Politikmachen mit vereinfachenden Propagandabegriffen meint, dann gibt
es mittlerweile so etwas wie den Populismus der Populismuskritiker. Denn
plötzlich sind alle Populisten, die den jeweiligen Kommissionen für Wahrheit
und Weisheit widersprechen. Egal, ob es jetzt Donald Trump ist oder Evo
Morales, Beppe Grillo oder Viktor Orban, Norbert Hofer oder Pablo Iglesias,
Marie Le Pen oder Bernie Sanders. Wenns ein bisserl intellektueller sein
soll, redet man noch von Links- und Rechtspopulismus -- aber das ist dann
schon der Gipfel der Differenzierung.
Tatsächlich haben die genannten Führungspersönlichkeiten ja wirklich etwas
gemeinsam. Das ist aber nicht ihr politischer Stil und schon gar nicht sind
es deren Inhalte. Sie alle zusammen sind nur anders als der Rest der
politischen Elite. Sie sagen: 'Die Regeln für das politische Spiel haben
andere aufgestellt, warum sollen wir uns daran halten?' Sie wollen etwas
anders machen als bisher. Zugegeben, vieles was einige von ihnen anders
machen wollen oder tatsächlich schon machen, kann man nur als gequirlte
Scheiße ansehen, siehe beispielsweise Trump oder Orban. Aber das ist nicht
der Grund, weswegen sie als Populisten gelten.
Was macht also einen Populisten aus? Am Beispiel Alexis Tsipras ist das gut
erklärt: Bis vor kurzem galt der auch als Linkspopulist -- jetzt aber hat er
diese Punze verloren. Warum? Hat sich sein Agitationsstil verändert? Nein,
aber er tut jetzt brav wie ihm geheissen. Er bedient jetzt die Sachzwänge.
Das ist nämlich das eigentliche Schlüsselwort: "Sachzwang"! Nur wer die
Sachzwänge akzeptiert, darf sich sicher sein, kein Populist zu sein. Nur wer
sagt: 'Das ist halt so, da kann man halt nichts machen. Schauen wir eben,
daß wir das Beste dabei herausholen', kann darauf hoffen, von den Kolumisten
der bürgerlichen Qualitätszeitungen nicht in der Luft zerrissen zu werden.
Fukuyamas Wort vom "Ende der Geschichte" leuchtet da durch, das besagt, es
gäbe ein politisches System, das habe sich als das beste denkbare
herausgestellt und mittelfristig würde es sich überall durchsetzen. Der
globalisierte Kapitalismus habe gesiegt und das sei gut so. (Auch wenn das
Francis Fukuyama wortwörtlich so wohl nicht formuliert hat.)
Damit ist aber auch klar: Die "Sachzwänge" sind keine. Es sind Zwänge die
mit der "Sache" nichts zu tun haben. Die "Sachzwänge" sind keine
unabänderlichen Naturgesetze, sondern sie sind gewollt. Die Gesetze der
Thermodynamik sind echte Sachzwänge, der Schutz des akkumulierten Kapitals
aber nicht. Die Politik hat sich sukzessive -- vor allem in den heutigen
EU-Staaten -- selbst entmachtet. Der Staat sollte sich in die Wirtschaft
nicht mehr einmischen und lediglich die Rechtssicherheit für den
internationalen Handel gewährleisten. In den letzten drei Jahrzehnten wurde
mit Privatisierungen und Zollabbau der Weg geebnet für eine Politik, die
sich nicht mehr um Nationalökonomie kümmert, sondern um Standortsicherheit
in einer globalisierten Wirtschaft kämpft. Das sind dann eben die
"Sachzwänge". Nun gilt es "Kapital anzulocken", "die Finanzmärkte zu
beruhigen" oder ähnliches. Im Notfall heißt es hierkontinents noch: 'Wir
würden das ja gerne anders machen, aber das wäre EU-widrig'. Oder: 'Das ist
nicht mit den WTO-Übereinkommen vereinbar'. Und zwar kam das von derselben
classe politique, die diese EU-Bestimmungen oder die WTO selbst geschaffen
hat.
Die sich selbst so sehenden Nichtpopulisten agieren nur mehr als Verwalter
der von ihnen selbst kreirten "Sachzwänge". Sie wollen nicht mehr gestalten.
Ihr Gestaltungswillen beschränkt sich auf die Optimierung von
Austeritätspolitik.
Ja, viele der als Populisten verschrienen Politiker wollen auch nichts
anderes machen. Ja, viele von denen machen es der nach wie vor hegemonialen
politischen Kaste mit ihren "postfaktischen"* Behauptungen leicht, jene als
unseriös abzukanzeln. Nur: All diesen angeblichen Populisten ist gemein, daß
sie die Veränderung der politischen Parameter versprechen. Egal, ob es sich
jetzt um eine "konservative", also reaktionäre oder um eine
fortschrittliche, linke Revolution handelt, die von den "Populisten" in
Aussicht gestellt wird, das (für die Noch-Eliten) Gefährliche an ihnen ist,
daß sie eben dieses "Ende der Geschichte" nicht akzeptieren. Genau deswegen
schert man sie alle über einen Kamm -- man amalgamiert linke mit extrem
rechter Politik, damit jene etwas von deren Ekelfaktor abbekommen.
Würde der SPÖ-Chef heute nicht Christian Kern heissen, sondern Bruno
Kreisky, würden sich Reinhold Mitterlehner, Eva Glawischnig, Hans Rauscher
und Christian Ortner mit Grausen abwenden und unisono rufen: 'Pfui, was für
ein Populist!'
*Bernhard Redl*
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