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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. Oktober 2016; 17:59
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Fremd in Ö:
> Als Ramid vor Menschenfeinden floh und bei anderen Menschenfeinden landete
Rami ist 26 Jahre alt und stammt aus Syrien. Ich habe ihn zweimal getroffen.
Einmal im Sommer 2015, als er gerade tausende Kilometer zu Fuß, auf
Schlauchbooten und in Güterzügen hinter sich gebracht hatte, und ein zweites
Mal vor ein paar Wochen. Bei unserem ersten Zusammentreffen war er noch von
der Flucht gezeichnet, müde, und ausgezehrt, aber auch zufrieden, es nach
Österreich geschafft zu haben. Im Gespräch mit ihm fiel mir der Gegensatz
zwischen seinem Lächeln und seinen Augen auf. Er hatte Augen, wie man sie
oft bei Refugees sieht, aber auch bei Kriegsberichterstatterinnen oder
Veteranen. Es klingt nach einem Klischee, klar, aber wenn die Augen eines
Menschen zu viel Schreckliches sehen, wirken sie älter als sie sein sollten,
trauriger, tiefer, ein bisschen abwesend, über das unmittelbare Jetzt
hinwegblickend. "Like black holes in the sky". Fast das Letzte, was er in
Syrien gesehen hatte, bevor er floh, war ein Nachbar, dem vor seinen Augen
in den Kopf geschossen worden war
Als ich Rami ein Jahr später wieder traf, war er körperlich fitter, wirkte
aber psychisch wesentlich angeschlagener. Auch seine Augen wirkten anders.
Der Blick war fahriger, flackernder, härter. Aus der Freude, erfolgreich der
Kriegshölle entronnen zu sein, war Enttäuschung über ein Land geworden, das
ihm einst ein Synonym für "Menschenrechte und Kultur" gewesen war, in dem
nun aber alle nur mehr darüber redeten, ob Araber womöglich durchwegs
gefährliche Leute, Terroristen gar seien, was Flüchtlinge alles tun müssten
oder nicht tun dürften und wie rasch man sie wieder loswerden könne. Das, so
Ramid, sei alles, worüber Österreicher mit ihm sprächen, während sich in
Syrien die Leichenberge auftürmten. Der Westen, und zu dem gehöre Österreich
ja wohl, schaue dabei zu und fühle sich dann auch noch moralisch überlegen.
In St. Pölten, wo Ramid in einem Flüchtlingsheim lebt, geht er oft
spazieren, denn was anderes darf der studierte Jurist ja nicht machen.
Vielleicht noch ein bisschen in der Heimküche helfen. Während Ramid durch
eine niederösterreichische Kleinstadt läuft oder Kartoffeln schält,
interessiert sich niemand für die Wut, die in ihm immer größer wird, eine
Wut, die sich aus der Gleichgültigkeit eines Landes speist, dessen Politiker
immer von "Hilfe vor Ort" schwafeln und dann genau gar nix unternehmen. Eine
Wut, die von der Arroganz von Menschen ausgelöst wird, denen Ramid immer
wieder aufs Neue erklären muss, dass er kein Islamist und schon gar kein
Terrorist ist. Eine Wut, die auch von den Schlägen mazedonischer
Grenzschützer herrührt, von den nächtlichen Märschen durch kalte Wälder auf
der Flucht vor europäischen Polizeieinheiten, von der Gewalt in
improvisierten Lagern, von Hunger und Durst und dem täglichen kalten
Dosenfisch, den es im Lager Traiskirchen zu essen gab. Und von der ständigen
Ungewissheit. Wird der Asylantrag angenommen? Lebt die Familie noch? Sind
Freunde und Bekannte unter den jüngsten Opfern der Bombardierungen?
Ich fühlte mich zusehends elend bei diesem zweiten Treffen mit Ramid. Ich
spürte seine Wut und die ansteigende Verzweiflung und ich wusste, dass es
viele wie ihn gab. Menschen, die schwere Traumata mit sich herumschleppen,
denen aber niemand bei der Aufarbeitung hilft. Das ist gefährlich. Zwischen
all dem xenophoben Gebrüll der Menschenfeinde und der Politiker, die meinen,
die Menschenfeinde wären Die Mehrheit, gehen Menschen psychisch kaputt und
keiner hilft ihnen. Manche von diesen Menschen fangen an zu saufen und
nehmen Drogen. Andere verlieren langsam den Verstand und drehen irgendwann
durch. So wie jener junge Syrer, der in Wien kürzlich versuchte, sich vor
eine Straßenbahn zu werfen und der danach auf die Zuggarnitur kletterte, um
nach den Stromkabeln zu greifen. Angeblich hat der Mann gerade erfahren,
dass seine Familie einem Bombenangriff der syrischen Regierungstruppen zum
Opfer fiel. Aber selbst falls das nicht der Fall war, kann schon die
ständige Sorge, können die Posttraumatischen Belastungsstörungen so eine
Verzweiflungstat auslösen. Es ist das letzte Aufbäumen von Menschen, denen
niemand zuhört und die von dem Land, in dem sie Schutz suchten, nur als
Belastung wahrgenommen werden. Es ist ein Schrei: "Hier bin ich, ich bin ein
Mensch, keine Nummer in der Statistik".
In Reaktion auf die desperaten Handlung des Flüchtlings in Wien erreichte
die FPÖ einen neuen Tiefpunkt an Inhumanität. FPÖ-Chef Strache postete ein
Video des Vorfalls und schaute dann ohne einzugreifen zu, wie seine
Facebook-Fans darum wetteiferten, wer auf die Verzweiflung eines Menschen
grausamer reagieren kann. Wer versuchte, der Lynchstimmung mit sachlichen
Argumenten oder auch nur mit Aufrufen zu mehr Menschlichkeit
entgegenzuwirken, wurde gelöscht oder gar blockiert, Mordaufrufe blieben
stehen. Das ist fast alles, was man über diese FPÖ wissen muss. Sie lassen
Leute, die andere dafür umbringen wollen, weil sie einen Nervenzusammenbruch
haben, gewähren und bringen die zum Schweigen, die mit Menschen menschlich
umgehen möchten. Da braucht es gar keine tiefe politische Analyse mehr, da
muss man keine Parteiprogramme wälzen. Das wurde alles schon gemacht und
brachte keine anderen Ergebnisse als jenes, das nach Lektüre der
Facebookauftritts von Strache herauskommt: Die FPÖ ist eine
menschenfeindliche Bewegung. Noch hat diese Partei keine Mehrheit, aber sie
kommt ihr schon gefährlich nahe. Man sollte nicht wollen, dass die FPÖ
Österreich regiert, und man sollte mit allen legalen Mitteln versuchen, das
zu verhindern. Dazu braucht man nicht einmal "links" zu sein, es reicht, ein
Mensch zu sein.
Ich weiß nicht, wie es Ramid heute geht. Ob er wieder herausgefunden hat aus
der seelischen Not oder ob er immer tiefer darin versinkt. Vielleicht hat er
jemanden gefunden, der ihm nicht nur zuhört, sondern ihn sogar versteht?
Vielleicht denkt er an Suizid? Der Zufall spielt da schon auch eine gewisse
Rolle, aber entscheidender sind die Lebensbedingungen, und die sind nicht
vom lieben Gott gemacht, sondern von uns allen. Politiker, die aus Feigheit
vor den Unmenschen eine unmenschliche Politik betreiben und mit Menschen
verfahren, als wären sie Gepäckstücke, machen sich mitschuldig an
vermeidbarem psychischen Elend und letztlich auch an Verzweiflungstaten. Und
dieses psychische Elend betrifft nicht alleine Refugees, es betrifft uns
alle. Alle, die noch fühlen wie Menschen statt wie Mörder. Es gibt ein Zitat
eines gewissen Jesus von Nazaret. "Was ihr für einen meiner geringsten
Brüder getan habt, das habt ihr mir getan". War ein kluger Mann, dieser
Jesus, denn er wusste offenbar, dass sich niemand sicher fühlen kann,
solange Minderheiten misshandelt werden.
(Bernhard Torsch auf seinem Blog)
https://lindwurm.wordpress.com/2016/10/16/als-ramid-vor-menschenfeinden-floh-und-bei-anderen-menschenfeinden-landete/
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