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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 5. Oktober 2016; 17:01
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Debatte:
> Liebe deinen Wutbürger!
Roland Düringers Partei ist eine Catch-All-Party. Sie beruht auf der
Stimmungslage, die die klassischen Staatsparteien befördert haben. Und sie
zeigt, wie der scheindemokratische Konsens in der Mitte unserer Gesellschaft
erodiert. Doch diese Erosion ist nicht prizipiell schlecht.
Eine Antwort auf Christoph Baumgarten.
Von *Bernhard Redl*
Vieles, was Christoph Baumgarten in seinem Anti-Düringer anspricht, ist
völlig richtig. Nur: Deswegen ist Düringers Projekt noch lange nicht rechts.
Der Unmut, den Düringer formuliert, ist diffus. Aber dieser Unmut ist
bereits in der Gesellschaft; Düringer fördert ihn nicht, er präsentiert ihn.
Dabei geht ihm natürlich die Dialektik ab. "Für den Metaphysiker sind die
Dinge und ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, vereinzelte, eins nach dem
andern und ohne das andre zu betrachtende, feste, starre, ein für allemal
gegebene Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in lauter unvermittelten
Gegensätzen: seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist vom
Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es existiert nicht: ein Ding
kann ebensowenig zugleich es selbst und ein andres sein. Positiv und negativ
schließen einander absolut aus; Ursache und Wirkung stehen ebenso in starrem
Gegensatz zueinander. Diese Denkweise erscheint uns auf den ersten Blick
deswegen äußerst plausibel, weil sie diejenige des sogenannten gesunden
Menschenverstandes ist." Man entschuldige, wenn ich da jetzt etwas
bonmothaft aus dem "Anti-Düring" von Friedrich Engels zitiere, aber dieses
Zitat kann man sowohl als eine Zusammenfassung von Christophs Text sehen als
auch eine Kritik an diesem.
Düringer = FPÖ = böse
Die Gleich- oder zumindest Nahestellung mit der FPÖ ist nicht grundfalsch.
Nur: Das was Düringer mit der FPÖ verbindet, sind nicht die schlechtesten
Aussagen der FPÖ. Diese Nahestellung zur FPÖ diffamiert Düringer nur, wenn
man die FPÖ als grundböse und alle ihre Aussagen als generell falsch
ansieht. Tatsächlich formuliert die FPÖ -- entgegen ihrer wirklichen
Inhalte, die man aber nur in Burschenschafterschriften findet oder in der
Praxis, wo FPÖler tatsächlich Regierungsverantwortung tragen -- sozialen
Protest. Dieser strotz zwar vor Vereinfachungen, ist aber eben nicht
grundfalsch. Düringer greift denselben Unmut auf, ja, aber dieser Unmut ist
weder in allen Fällen abzulehnen noch von Düringer erfunden.
Düringers Partei ist jetzt der große Hype, wird aber wahrscheinlich nicht
die österreichische Parteienlandschaft umwälzen. Aber es ist ein
Anhaltspunkt, sich mit diesem Unmut zu beschäftigen, den man eben nicht der
extremen Rechten überlassen darf. Wenn Düringers Wischi-Waschi-Grant-Partei
jetzt so beliebt ist, riecht die Kritik der Linken an ihm auch ein bisserl
nach Eifersucht. Denn diese Linke verkiefelt es schwer, daß da jemand als
Ein-Mann-Show mehr Publicity zusammenbringt als sie selbst. Die Unfähigkeit
unserer Linken, Ähnliches auf die Beine zu stellen liegt sicher auch an
komplizierten Inhalten und immer noch nachwirkendem Antikommunismus. Aber
vor allem liegt es an unserer Unfähigkeit, den Verlierern und vor allem
denen mit Existenzängsten sowie auch jenen, denen das Unbehagen in der
Kultur unerträglich wird, ein Narrativ anzubieten.
Düringer spricht alle an. Damit ist er Spiegelbild der heutigen Politik, die
eben -- wohlgemerkt: in ihrer öffentlichen Darstellung -- nicht mehr so
stark von Klientelvertretung geprägt ist und für die Ideologie als pfui
gilt. Regierungspolitik ist heute nicht mehr, den Staat nach Überzeugungen
umzugestalten, sondern eine Verwaltung nach Sachzwängen zu organisieren, die
als unveränderbar gelten. Oppositionspolitik ist, daß die Regierung alles
falsch macht. allerdings ebenfalls, ohne jene Sachzwänge in Frage zu
stellen. Die Inhaltslosigkeit Düringers beruht genau auf diesen
"postpolitischen" Verhältnissen. Sein Narrativ ist diffus und beruht
natürlich auch auf Gefühlen. Es ist das Gefühl, einsortiert, gezählt,
abgestempelt, überwacht, gegängelt und funktionalisiert zu werden. Dieses
Gefühl hat aber in unserer durchorganisierten Gesellschaft seine
Berechtigung und es ist auch nicht ganz unverwandt mit der Kritik an der
entfremdeten Arbeit oder ganz allgemein an der Entfremdung. Unser
Gesellschaftswesen schreibt zwar alles vor mittels Gesetz oder Moral,
erklärt einem aber immer häufiger, daß man selber schuld ist, wenn man auf
die Goschen fällt. Der Sozialstaat wird demontiert und dafür der
Polizeistaat aufgebaut und mehr noch die Polizeigesellschaft. Zur Ablenkung
davon gibt es das Spektakel und die Konsumvertrottelung. Aus Düringers vagen
Andeutungen kann man die Kritik an diesen Entwicklungen herauslesen. Seine
Inhaltslosigkeit ist nicht links. Stimmt. Dazu gehört schon ein bisserl
mehr. Aber was ist daran, bitte, "rechts"?
Rinks und Lechts
Die Begriffe links und rechts verschwimmen immer mehr im sich als links
verstehenden Diskurs -- heute ist ein jeder, der oppositionelle Inhalte
formuliert, gleich rechts, wenn er nicht eindeutig links ist. Und eindeutig
links ist man heute nicht mehr, wenn man sich an einer materialistischen
Weltanschauung orientiert, die Entmachtung des Kapitals fordert, sich in
Dialektik übt und den militärisch-industriellen Komplex kritisiert,
sondern -- bösartig formuliert -- ständig wegen irgendwas betroffen ist,
sich vegan ernährt, sich für feministisch erklärt und jeden FPÖ-Wähler für
einen Nazi hält. Kapitalkritik hingegen gilt heute schon eher als Indiz, daß
jemand rechts sei.
Die Aussage, daß Düringers Partei willkommen zu heissen sei, weil sie der
FPÖ Stimmen wegzunehmen vermag, ist auch nicht völlig daneben; allerdings
nicht als wahltaktisches Argument, denn diesbezüglich hilft es höchstens,
die Mehrheit der SPÖVP zu erhalten. Vielmehr gibt Düringer den Wählern eine
Option, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, ohne deswegen eine
rechte oder rechtsextreme Partei wählen zu müssen. Allenfalls könnte man
Düringer vorwerfen, daß er das Unmutpotential im Land kanalisiert anstatt es
zu mobilisieren. Das allerdings kann der organisierten Linken in Österreich
wieder nur recht sein, weil sie sich in ihrer Mehrheit mehr vor Veränderung
fürchtet als sie herbeiführen zu wollen.
Düringers Partei und auch all die anderen Wutbürger inclusive der
Verschwörungstheoretiker sind -- mehr noch als die FPÖ und ihre Pendants in
anderen europäischen Ländern -- ein Symptom einer Hegemonie, die unter
Entbürokratisierung und Liberalisierung nur das Enfesseln der Kräfte von
Machtgruppen, speziell des Kapitals, versteht. Der einzelne Bürger, den man
früher als Proletarier verstanden hätte, sucht hingegen nach Kräften, die
die Allmacht des Staates in Frage stellen. Der Wutbürger ist der Versuch
eines Individuums zur Selbstermächtigung, das das uneingelöste Versprechen
der Demokratie ernstnimmt. Daß dieser Wutbürger dabei auch oft viel Blödsinn
produziert, ist evident. Aber was macht die organisierte Linke? Anstatt
diesen Wutbürger -- bei Akzeptanz aller Unterschiede -- prinzipiell einmal
als potentieller Bündnispartner ansehen zu wollen, fürchtet sie sich vor ihm
und flüchtet lieber in die Arme der Sozialdemokratie, anstatt das Risiko
einzugehen, sich affirmativ mit Veränderungspotential auseinanderzusetzen.
Feindbilder
Christoph wirft Düringer vor, daß er mit Feindbildern arbeite -- ähnlich der
FPÖ. Und? Immerhin sind diese Feindbilder ganz andere. Auch der Klassenkampf
kennt Feindbilder -- wenn der Ausbeuter den Klassenkampf von oben führt, ist
er dann nicht der Feind? Bei Düringer ist das Feindbild auch diffus, fast
schon konfus zu nennen. Klassenkämpfer scheint er eher nicht zu sein. Doch
die Kritik an einer benennbaren Herrschaft ist per se nicht falsch.
Regierung und Kapital sind nun mal keine unpersönlichen Prinzipien, sondern
deren Vertreter haben Name und Adresse und verfolgen vitale Interessen. Sie
sind nicht deswegen so, weil ihnen niemand erklärt hätte, daß Ausbeutung
böse sei. Und sie üben ihre Macht direkt und indirekt auf die Verhältnisse
in diesem Land und auf der ganzen Welt aus. Wenn Düringer von "Arschlöchern"
im Parlament spricht, so mag das sehr undifferenziert sein und vor allem
undefiniert -- Arschlöcher sind ja immer die anderen. Doch sitzen halt im
Parlament tatsächlich viele, die ich auch als Arschlöcher bezeichnen würde,
weil sie sich an den Interessen des Kapitals orientieren und Polizei und
Militär aufrüsten, aber an einer demokratischen Auseinandersetzung nicht das
geringste Interesse haben.
Christoph bemüht auch den allseits beliebten Vergleich Düringers mit Beppe
Grillo, ohne diesen Vergleich ernsthaft zu relativieren. Auf den ersten
Blick scheint die Ähnlichkeiten zu passen: Zwei Komiker und Kabarettisten,
die mittels eines Blogs die Richtung bestimmen, sich selbst als spiritus
rector inszenieren und eine indifferente Systemkritik üben. Nur: Grillo hat
sich sehr schnell als Feind der Gewerkschaften und als Fan von weisen
Industrie-Patriarchen herausgestellt -- das kann man (zumindest beim
bisherigen Entwicklungsstand) von Düringer wirklich nicht behaupten.
Wenn Düringer einmal konkret wird, redet er auch oft viel Stuß. Das
Anstreifen an Verschwörúngstheorien ist nervig. Aber ich mag die Narren,
die, die nicht vernünftig sein wollen und neue Blickwinkel auf die Welt
suchen. Erst solche Leute machen Antithesen zu hegemonialen Sichtweisen
möglich. Nur dadurch kann sich das Denken ändern -- Dialektik hat man das
früher einmal genannt. Das war einmal ein intellektuelles Instrument, das
die Linke sehr geschätzt hat. Natürlich führt Düringer nur einen diffusen
Widerspruch im Mund und kann besser Emotionen als
dialektisch-materialistische Analysen formulieren. Das kann man allerdings
auch einem nicht unerheblichem Teil der Linken und vor allem dem
etablierten, sich als linksliberal ansehenden, falterlesenden und
grünwählenden Bürgertum vorwerfen. Da wird auch nicht mehr analysiert,
sondern hauptsächlich Empörung formuliert -- die Politik der Gefühle hat die
gesamte Gesellschaft erfaßt und ist kein Alleinstellungsmerkmal der Rechten.
Protest und Karikatur
Düringers Rundumschläge sind in ihrer diffusen Globalität einer Politik- und
Konsumverdrossenheit fundamental systemkritisch. Genau diesen
Fundamentalismus haben wir in diesem Land nötig, wenn auch vielleicht ein
wenig konkreter. Auf alle Fälle ist eine solche Systemkritik nicht
antidemokratisch. Düringers Guru-Attitüde mag dabei störend wirken,
allerdings ist sie vor allem der Tatsache geschuldet, daß die mediale
Auseinandersetzung Einzelfiguren braucht, an denen sie sich reiben kann. Daß
Düringers Partei kein Programm hat und er selbst das Programm zu sein
scheint, ist nichts anderes als eine Karikatur der Verhältnisse in den
etablierten Parteien. Denn deren Parteiprogramme sind zwar
niedergeschrieben, aber niemand liest sie und deren Spitzenpersonal
orientiert sich auch nicht daran. Programme kann man nämlich nicht
interviewen oder zu Talkshows einladen. Also wozu sich die Mühe machen,
Programme zu formulieren, die ab ovo Altpapier sind?
Düringer bezeichnet seinen Blog selbst "als künstlerisches Projekt".
Vielleicht ist das auch seine Partei. Möglicherweise steht er damit sogar
Martin Sonneborns "PARTEI" näher als man auf dem ersten Blick glauben mag.
Egal, es ist auf alle Fälle eine öffentliche Intervention, die Unmut
formuliert und -- im Gegensatz zur systemimmanenten FPÖ und so vage sie auch
immer sein mag -- prinzipielle Systemkritik übt.
Und davon brauchen wir ganz dringend mehr.
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