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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. September 2016; 16:33
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Initiativen/International:

> WSF 2016: Schöner Erfolg trotz zahlreicher Hürden

Das Weltsozialforum (WSF), das von 9-14. August in Montreal in Kanada
stattfand, war ein Erfolg -- trotz zahreicher Hürden. 35 000 TeilnehmerInnen
und weit mehr als 1000 Veranstaltungen können sich sehen lassen.
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Ein WSF erstmals im "Norden" zu machen war zweifelsohne ein Wagnis:
Reisekosten, teurere Unterkünfte als im "Süden" und im "Osten", politische
Barrierren- etwa durch Visa-Verweigerung der kanadischen Behörden. Ein sehr
kompetentes junges Vorbereitungsteam vor Ort konnte die meisten dieser
Schwierigkeiten meistern. Und es gilt unmißverständlich zu sagen: Zumindest
EINMAL muß es möglich sein, ein WSF auch in einem imperialistischen Land
durchzuführen -- es gilt ja auch hier die Menschen für den Kampf gegen das
mörderische kapitalistische System zu gewinnen! Der Bogen der
Veranstaltungen (Seminare, Konvergenz-Treffen, große Konferenzen,.
kulturelle Events) war extrem breit, umfaßte alle wichtigen Fragen: von den
diversen -- kombinierten -- Krisen des Kapitalismus über die anstehenden
Präsidentschaftswahlen in den USA (die Kampagne von Bernie Sanders!),
Flüchtlinge, Frauen, Ökologie bis hin zu den aktuellen Kriegen, ob im Nahen
Osten oder in der Ukraine. Das Klima in den meisten Veranstaltungen war
konstruktiv -- nicht wenige TeilnehmerInnen (vor allem aus Kanada) wurden
zum ersten Mal mit den hier angeschnittenen Fragen in dieser Fundiertheit
konfrontiert. Im folgenden eine kleine Auswahl aus der Fülle interessanter
Veranstaltungen.

ERÖFFNUNGSDEMO

Bereits die Eröffnungsdemo war spektakulär. Rund 20 000 TeilnehmerInnen
zogen vom Park La Fontaine ins Zentrum der Stadt. Unter ihnen:
StahlarbeiterInnen aus Toronto (also aus dem mehrheitlich englischsprachigen
Teil Kandas), UmweltschützerInnen, NGOs wie Attac oder Friends of the Earth,
linke AktivistInnen verschiedenster politischer Strömung, und, und, und. Bei
der Abschlußkundgebung traten VertreterInnen indigener Völker auf und es
wurde der vor kurzem ermordeten honduranischen Menschenrechtsaktivistin
Berta Caceres gedacht.

CHINA

Drei ProfessorInnen von chinesischen Universitäten (Beijing und Hongkong)
gaben eine kritische Beschreibung der aktuellen Situation in China. Sie
erwähnten die enormen ökonomischen, sozialen und ökologischen Probleme, die
das Land nach dem "Öffungsprozeß" in den letzten Jahrzehnten erfährt. Ihre
zentrale Antwort auf auf die gegenwärtige Lage war "Wiederbelebung des
ländlichen Bereichs". Sie berichteten über die "countryside recovery
movement" und gaben konkrete Beispiele für die Tätigkeit dieser Bewegung,
der sie angehören: Erziehungs- und kulturelle Projekte, Studien,
internationale Kontakte. Der bekannte ägyptische Sozialwissenschafter Samir
Amin etwa nahm an einer ihrer Konferenzen teil.

In der Diskussion warf ich zwei Fargen auf: 1) Die enorme "Ausdehnung des
Kapitalismus in China" (Originalton der drei Professorinen) wird von einer
Partei praktiziert, welche den Kommunismus auf ihre Fahnen schreibt --
dieser Widerspruch sollte tiefer analysiert werden. 2) Die strukturelle
Verbesserung der Situation ist absolut notwendig -- aber was ist die
Stragegie der "countryside recovery movement" für die Städte und das gesamte
Land?

Um ehrlich zu sein: die erste Frage wurde schlicht umgangen. Die zweite
wurde nur äußerst ungenügend beantwortet: ja, Kontakte zu den Millionen
"WanderarbeiterInnen", die vom Land kommen und in den Städten oft unter
erbärmlichen Bedingungen leben sind notwendig, es gibt sogar eine Museum von
ihnen, manche von ihnen sind Poeten etc.

Ich hatte in keiner Weise den Eindruck, daß hier eine köhärente Position
entwickelt wird, die die zahllosen Aktivitäten und Kämpfe auf dem Land und
in den Städten kombiniert.

FRIEDEN

Unter dem Titel "Endloser Krieg: Ist das der Beginn eines dritten
'Weltkriegs'?" veranstaltete transfom! ein Seminar. Einleitende Statements
gab es u.a. von den SozialwissenschaftlerInnen Phyllis Bennis und Gilbert
Achcar, dem Friedensaktivisten Reiner Braun und dem Europaabgeordneten der
deutschen Linkspartei Helmut Scholz.

Die Seminar war durch zwei Schwerpunkte gekennzeichnet: a) theoretische
Erfassung der gegenwärtigen Periode, der Natur ihrer Kriege, die
Unterschiede zur früheren "bipolaren" Weltordnung; b) Stand der
gegenwärtigen Anti-Kriegsaktivitäten und die Notwendigkeit einer --
erneuerten -- globalen Friedensbewegung.

Naturgemäß gab es beim ersten Punkt unterschiedliche Einschätzungen. Gilbert
Achcar brachte wichtige Differnzierungen ein, etwa die -- oft umschiffte --
Tatsache, daß es sich bei den BRICS-Staaten um keine einheitliche politische
Formation handelt oder, daß das heutige Rußland in keiner Weise mit der
ehemaligen nichtkapitalistischen Sowjetunion verglichen werden kann.

Etliche TeilnehmerInnen unterstrichen die Notwendigkeit einer unabhängigen
Friedensbewegung, also einer, die sich sich nicht in eine fatale
"Lager"-Logik pressen läßt -- nach dem Motto, wenn ich den US-Imperialismus
und die Nato bekämpfe, muß ich mit Putin & Co. in einem Boot sein...

BILANZ UND ZUKUNFT DES WSF

Das WSF wurde auch von der Bevölkerung Montreals durchaus freundlich
aufgenommen. Wenn ich mit BewohnerInnen der Stadt ins Gespräch kam und dabei
das WSF erwähnte, stieß ich oft auf positives Interesse. Obwohl sein
fortschrittlicher, ja linker Charakter offensichtlich war, sind mir keine
negativen Zwischenfälle oder Anpöbelungen (wie in unseren Breitegraden
durchaus üblich) bekannt. Offizielle Medien brachten vor und während des
Forums Berichte, selbst Gratiszeitungen wie "metro" machten Interviews mit
OrganisatorInnen bzw. TeilnehmerInnen des Forums.

Es läßt sich also insgesamt eine positive Bilanz ziehen. Wenn solidarische
Kritik angebracht ist, dann vor allem zu einem Punkt: wie schon so oft
gelang es nicht, sich schließlich auf ein, zwei zentrale Thematiken zu
verständigen, die kampagnenmäßig global VON ALLEN GRUPPIERUNGEN GEMEINSAM
umgesetzt werden. Dieses Manko war auch im Internationaten Rat des WSF zu
spüren, der gleich im Anschluß an das WSF tagte. So konnte zwar nach
langem -- fomalen -- Hin und Her eine Verurteilung des "kalten Putsches" in
Brasilien durch eine Vielzahl von Organisationen erreicht werden, für die
Organisierung konkreter Aktionen gegen den Putsch blieb jedoch keine Zeit
mehr übrig.

Der nächste Internationale Rat wird -- aller Voraussicht nach -- im
kommenden Jänner in Porto Alegre in Brasilien zusammenkommen. Bis dahin und
während seine Tagung wird es einer gründlichen Debatte bedürfen, wie das WSF
wieder kollektiver AKTEUR werden kann.

*Hermann Dworczak*



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