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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. September 2016; 12:46
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Wahlen:
> Wenn NGOs Wahlempfehlungen abgeben
Nichtregierungsorganisationen nutzen gerne Wahlen, um Lobbydruck auf die
KandidatInnen auszuüben. Parteien oder Einzelpersonen kandidieren aber
zumeiste für Vertretungskörper, bei denen Entscheidungen in vielen
Themenbereichen gefragt sind, während NGOs deren Unterstützung von einer
sehr eingeschränkten Sicht der Dinge abhängig machen. Das kann mitunter zu
recht peinlichen Statements führen, wie man im Mai exemplarisch von
Greenpeace erfahren durfte. Da versandte die Umweltorganisation unter dem
Namen deren Mitteleuropa-Geschäftsführer Alexander Egit folgendes aus:
"Die bevorstehende Bundespräsidenten-Wahl wird richtungsweisend für
Österreich sein. Erstmals seit 1955 hat es keiner der Kandidaten aus den
Regierungsparteien in die Stichwahl geschafft. Für die Kampagne gegen TTIP
und CETA bedeutet das eine große Chance, denn die Bundesregierung lässt
weiterhin keine klare Linie bei TTIP und CETA erkennen. Ideologisch trennen
Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer Welten. Beim Thema TTIP und CETA
sind sie sich aber einig: Beide haben sich entschieden gegen die Abkommen
ausgesprochen. Jede zusätzliche Stimme bei der Stichwahl ist auch eine
Stimme gegen TTIP und CETA. Vor allem aber ist die Teilnahme an der Wahl ein
ganz wichtiges Instrument zur Stärkung der Demokratie und zur aktiven
Mitgestaltung unseres Landes - und damit auch Europas. In turbulenten Zeiten
wie diesen ist das wichtiger denn je. Als politisch unabhängige Organisation
gibt Greenpeace generell keine Wahlempfehlungen ab. Doch aus den genannten
Gründen bitte ich Sie: Nutzen Sie Ihr demokratisches Grundrecht - gehen Sie
am 22. Mai wählen!"
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Das stieß so Manchem ungut auf, unter anderem antifaschistischen Aktivisten,
der sich schon im Mai darüber echauffierte und jetzt in einem Brief noch
einmal nachstieß:
"Sehr geehrter Herr Egit! Ich habe Ihnen schon im Mai anlässlich Ihrer
Aussendung zur ersten Präsidentschafts-Stichwahl geschrieben. Herr Korbei
aus Ihrem Service Team hat daraufhin meinem Wunsch entsprochen, mich aus
Ihrem Verteiler zu entfernen, von Ihnen selbst habe ich aber keine
Stellungnahme bekommen - Entweder mein Anliegen wurde nicht an Sie
weitergeleitet oder Sie haben eine Antwort für unnötig befunden. Daher wende
ich mich jetzt, da die Wiederholung der Stichwahl bevorsteht, erneut an Sie,
werde dieses Schreiben aber gleichzeitig in Netzwerken gegen
Rechtsextremismus verbreiten - in der Hoffnung, dass das die Chancen auf
eine Antwort von Ihnen erhöht.
Ich hoffe, dass ich Sie mit folgenden Argumenten davon überzeugen kann, vor
der Wiederholung der Präsidentschaftsstichwahl keine vorgeblich neutrale
Wahlempfehlung für Hofer und Van der Bellen mehr zu geben, um die Regierung
bei einem Thema unter Druck zu setzen:
1) Sie schreiben: 'Als politisch unabhängige Organisation gibt Greenpeace
generell keine Wahlempfehlungen ab.' Sie fühlen sich also wegen "politischer
Unabhängigkeit" verpflichtet zwischen einem demokratischen und einem
rechtsextremen Kandidaten neutral zu bleiben. Offenbar verbietet es Ihnen
dieselbe "politische Unabhängigkeit" aber nicht dazu aufzurufen, einen der
beiden Kandidaten, also den Grünen oder den Rechtsextremen, zu wählen, um 2
andere Parteien, nämlich die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP bei einem
bestimmten Thema unter Druck zu setzen. Hier von parteipolitischer
Unabhängigkeit von Greenpeace zu schreiben ist daher völlig unglaubwürdig.
Sie hätten genau so gut irgend ein anderes umweltpolitisches Thema suchen
können, bei dem die FPÖ die Standpunkte von Greenpeace nicht teilt, und dann
zur Wahl aller anderen Kandidat_innen aufrufen können, um die Partei von
Herrn Hofer unter Druck zu setzen, ihre Position zu ändern. Mir wäre es noch
nicht aufgefallen, dass die FPÖ eine ökologisch besonders fortschrittliche
Partei wäre, denken Sie z.B. nur an den Autoverkehr. Sie haben sich halt für
ein anderes Thema und andere Parteien entschieden. Aber diese Entscheidung
können Sie nicht als parteipolitisch neutral verkaufen.
2) Parteipolitische Neutralität ist aber selbst im Hinblick auf TTIP und
CETA gegenüber Hofer und der FPÖ unangebracht. Denn wenn eine Partei und ihr
Kandidat Distanz zu Nationalsozialismus und Rechtsextremismus vermissen
lassen, ist es eine Frage der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, dieser
Partei nicht wegen der Übereinstimmung in einer Sachfrage durch Beihilfe zu
Wahlerfolgen den Weg an die Macht im Staat zu erleichtern. Hätten Sie damals
auch einen angeblich neutralen Wahlaufruf u.a. für die Nazis gegen die
damalige Reichsregierung verfasst, wenn Ihnen die NSDAP umweltpolitisch
etwas versprochen hätte? Eine Organisation, die aufgrund eines Einzelziels
jede gesamtgesellschaftliche Verantwortung über Bord wirft, ist um nichts
besser als Konzerne, die für das Einzelziel Profitmaximierung jede
gesamtgesellschaftliche Verantwortung ablehnen und die Umwelt zerstören oder
soziale Standards missachten. Solche Konzerne werden von Greenpeace
kritisiert - nun bitte ich Sie eindringlich, Ihr eigenes Vorgehen kritisch
zu überdenken! Sonst müsste ich Greenpeace aus meiner Liste seriöser
Organisationen streichen.
3) Beurteilen Sie eigentlich alle Politiker_innen (auch solche der
Regierungsparteien) nur nach ihrem Gerede oder gilt das nur für Herrn Hofer?
Er sagt etwas und das reicht Ihnen? Das wäre eine Naivität, die ich Ihnen
nicht unterstellen mag. Sie wissen, dass Herr Hofer seit Jahrzehnten
FPÖ-Funktionär und damit nicht nur für sein Gerede, sondern auch für die
umweltpolitischen Taten der FPÖ mitverantwortlich ist, zum Beispiel während
der Schwarzblauen Regierung. Und wie schnell sich die Worte von Herrn Hofer
je nach Meinungsumfragen ändern können, zeigte sich ja z.B. gerade an seiner
EU-Wende nach dem Brexit. Also nochmals: Beurteilen Sie Herrn Hofer im
Gegensatz zu anderen Politiker_innen tatsächlich nur nach seinen jeweils
aktuellen Wortmeldungen und, wenn ja, warum?
4) Dieses Argument möchte ich am liebsten gar nicht schreiben, da ich hoffe,
dass Sie die Argumente 1-3 zu einem Umdenken bewegen konnten. Sollten Sie
aber weiter der Meinung sein, dass Ihre Organisation keinerlei
gesamtgesellschaftliches Interesse zu berücksichtigen hat und mit nur
scheinbarer parteipolitischer Neutralität und naivem Glauben an die Worte
von rechten Populisten Politik im Eigeninteresse machen soll, dann könnten
Sie mit Ihrer Vorgangsweise bei der Präsidentschaftswahl möglicherweise auch
diesem falsch verstandenen Eigeninteresse schaden. Denn ich glaube nicht,
dass Greenpeace in seiner ganzen Themenbreite langfristig und nachhaltig
seine Unterstützer_innen hauptsächlich in der Anhängerschaft des
Rechtsextremismus finden kann. Andere werden sich aber vielleicht wie ich
enttäuscht von Ihnen abwenden. Niemand erwartet, dass Sie sich in eine Wahl
einmischen, aber tun Sie es bitte auch nicht durch die Hintertür für
diejenigen, die sich selbst außerhalb der demokratischen Vielfalt
aufstellen. Sie wissen ja, der Tag der Niederlage der Nazi-Massenmörder ist
für Herrn Hofer kein Tag der Freude.
Mit freundlichen Grüßen und großer Hoffnung auf einen Umdenkprozess
Gustl Faschang"
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Nachdem Faschang seinen Brief in seinem Newsletter veröffentlichte,
reagierte Greenpeace. Faschang teilte jetzt mit, daß er telefonisch
informiert worden sei, "dass von Greenpeace keine Aussendung /
Wahlempfehlung zur Wiederholung der Präsidentschafts-Stichwahl geplant ist".
Unabhängig von diesem konkreten Fall steht aber weiter die Frage im Raum, ob
NGOs nicht etwas vorsichtiger sein sollten, wenn sie sich in Wahlkämpfen
engagieren.
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