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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. September 2016; 12:36
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Kultur/Theater:
> Koch- bzw. Geschichtsstunde im Jahre 2116
Von *Sonja Frank* nach *Jura Soyfer*
Jura Soyfer (1912 Charkow - 1939 KZ Buchenwald, österr. Schriftsteller)
schrieb 1935 für Kabarett-Programme Geschichtsstunde im Jahre 2035, wo
Soyfer unsere Geschichtsverdrängung voraussah.
Heute werden Rechtspopulisten für viele salonfähig. Judenhass wird gegen
Islamophobie und EU-Feindlichkeit ausgetauscht und der Satz "Ihr werdet Euch
noch wundern" sollte genügend Warnung sein.
Angesichts dieser Tatsache und anderer grauslicher Entwicklungen zu immer
mehr autokratischen Ländern, der Handlungsunfähigkeit der EU sowie deren
geringer sozialer Kompetenz uva. Problemen, dachte ich mir unsere Zukunft
wird verträglicher, wenn wir sie humoristisch oder warnend zynisch
betrachten - mit der Hoffnung, dass jedes ungerechte System irgendwann mal
wieder kippt.
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Das Stück zeigt eine Wiener Schulklasse im "Vereinten Autokratischen Europa"
wo die Allgemeine Anti-Antifaschisten Partei (AAAFP) alleine regiert. Die
16-jährigen Lehrlinge in einer Wiener Berufskochschule sind schon ein wenig
aufmüpfig.
Die Wiener Sprache ist im Jahr 2116 noch etwas erhalten. Der SCHWARZGRUND
und der BLAUSTICH, beide aus Wien stehen entweder wie die Rotkreis aus
Berlin und die GRÜNTRIEB aus Budapest vor dem E-Herd, vor dem Arbeitstisch
oder vor der Abwasch. Der Dictaturogan aus Ankara kommt erst später.
Die PROFESSORIN OROPA sitzt vor ihrem Bildschirm in Graz und schaltet sich
erst in ein paar Minuten dem Klassenraum zu. Zeitweise durcheinander
blättert sie ihre Fragen durch und ist schon etwas nervös, ob der
zensurierende Direktor Gauwalter aus Wien auch zuschauen könnte.
SCHWARZGRUND (rührt den Milchbrei um und dreht sich zu BLAUSTICH) Du, ich
hab' gestern an urgeilen Flirt gehabt. Xandra heißt sie, a deportierte
Widerstandskämpferin und Filmemacherin, die scho a Weile am Mars lebt. Diese
Marsbewohnerinnen durt sind a klasse Kechinnen für grüne Speisen.
BLAUSTICH (Klopft sein Wienerschnitzel) Wie hast du de Xandra kennen
gelernt?
SCHWARZGRUND Bei an Ausflug auf'm Planet, di mi glei ins nächste Geruchskino
verzaht hat. Die Schauspieler hob'n an groben Superduft!
Verrat aber nix. I hob ma ihren Widerstandsfilm ang'schaut. Ihr Fülm
"Autokratie stinkt - Demokratie ist dufte!" sollt i nach Wien schmuggeln.
Des woar mi aber do zu gefährlich und hob glei mit ihr Schluss gemacht.
GRÜNTRIEB (Rührt ihr Gulasch um, überreicht dann SCHWARZGRUND einen Löffel
zum Kosten) I werd' dir was sagen! Ich hab' Angst, dass wir in Geschichte
abgeprüft werden, am End' über die gar feine Zeit vor 100 Jahr.
SCHWARZGRUND Ich wett' meine Spiderraketen gegen deinen schäbigen PC, dass
die Professorin heute nicht prüft.
(Es läutet. Die PROFESSORIN OROPA schaltet sich per Modern-Skyp zu.)
PROFESSORIN OROPA Rührt weiter! Wer fehlt noch?
GRÜNTRIEB Der Dictaturogan...
DICTATUROGAN (stürzt in die Klasse und sieht die Professorin am Bildschirm
noch nicht.) Allah sei Dank, dass die Depperte noch nicht da ist!
PROFESSORIN OROPA (hämisch grinsend vorm Bildschirm) Guten Morgen, Herr
Dictaturogan. Wer ist deppert? Wieder zu spät gekommen!
DICTATUROGAN Sorry, mei Deitsch ist no net perfekt, ich meinte die Debate
hat no net angefangen. Bitte, ich bin um 8 Uhr von zu Hause weggeflogen.
PROFESSORIN OROPA So ein Schmäh. Sie wohnen in Ankara und wollen mir doch
nicht einreden, dass Sie von Ankara bis Wien mehr als eine Viertelstunde
fliegen.
DICTATUROGAN Bitte, es war eine Verkehrsstörung. Der Flug ist mit einem
Spiderflieger zusammeng'stessen.
PROFESSORIN OROPA Natürlich! Wer ist an allem schuld? Fliegende
Comicsfiguren! (Die Klasse lacht dröhnend.) Waschen Sie das Geschirr ab,
Dictaturogan! Noch heute wird ihr Vater ein SMS erhalten. (Dictaturogan geht
zerknirscht zur Spüle, und die Professorin setzt fort) Frau Rotkreis, wo
seid ihr das letzte Mal stehengeblieben?
ROTKREIS Beim Herd.
Sorry nein, bei Wiener Geschichten in den 10er Jahren des 21. Jahrhunderts.
Die letzten Worte des Direktors Gauwalter waren: "Diese zu helle Zeit
erhielt später mit Recht von unseren Historikern den Namen: BreakAge".
PROFESSORIN OROPA Ausgezeichnet! Bevor wir fortsetzen, werde ich den
Abschnitt prüfen. BLAUSTICH, treten Sie vor!
BLAUSTICH Bitte, nicht. Mir ist gestern abend der Computerchip im Hirn
entfernt worden.
PROFESSORIN OROPA Plumpe Ausrede. Also, bei den EZB-Akten der Jungen
Griechen und bei den Germanen haben Sie versagt. Wir werden sehen, ob Sie
die Alten Wiener besser kapiert haben. Was können Sie mir über die 10er
Jahre des 21. Jahrhunderts so ganz im Allgemeinen sagen?
BLAUSTICH Die 10er Jahre des 21. Jahrhunderts ... fallen .... fallen ...
PROFESSORIN OROPA Nun, wohin fallen sie?
BLAUSTICH ... fallen in das Zeitalter der Ohnmacht.
PROFESSORIN OROPA (ängstlich) Wenn des unser Direktor hören tät. (Bestimmt)
Ins Zeitalter der Aufklärung, wenn schon.
BLAUSTICH Ach ja, die Herrscher waren freundlich aber falsch aufgeklärt. Sie
nahmen dem Volk die sogenannte Pressefreiheit ab, die Bauern wurden von der
EU und die Kirchen samt Gänger vom Bargeld befreit, außerdem wurden alle
Orden aufgelöst.
PROFESSORIN OROPA Na bummsti!
BLAUSTICH Der Grundsatz der Regierung war .. . war ...
PROFESSORIN OROPA (heimtückisch) Nun, mein Sohn?
BLAUSTICH Jeder soll gusch sein.
PROFESSORIN OROPA Sieh an, sieh an! Liegt da nicht eine kleine Verwechslung
vor? Frau Rotkreis, klären Sie Ihren Kollegen auf!
ROTKREIS (ratscht) Der Blaustich verwechselt diese Zeit mit der
Biedermeierzeit.
PROFESSORIN OROPA So ist es! Blaustich, erklären Sie mir: Wie gehorchten die
Medienberater und Historiker, funktionierten die gut?
BLAUSTICH (stur) Ha, hob i do recht g'habt mit dem Zeitalter der Ohnmacht.
PROFESSORIN OROPA Falsch! Passen Sie doch auf. Wir reden jetzt schon über
die Medienwelt. Das online Filmwerk "Geschichte Wiens im BreakAge" erklärt
uns, dass jahrelang eine besser geregelte Quotenwelt versprochen wurde. Die
Quoten müssen daher noch miserabel funktioniert haben. Sie stinkfauler
BLAUSTICH. Jetzt schälen S' die Erdäpfel weiter!
Nun Herr Dictaturogan! (DICTATUROGAN tritt vor.)
DICTATUROGAN (flüstert zu Rotkreis) Rotkreis, hülf ma! Ich hob kan Dunst.
PROFESSORIN OROPA Nun. Dictaturogan, die Regierungsprinzipien in den 10er
Jahren vorigen Jahrhunderts hießen kurzgefasst: Mundaufreißen.
SCHWARZGRUND Meinen Sie mich?
PROFESSORIN OROPA Na, jetzt net Sie schon wieder! Nun soll mir der
Dictaturogan etwas über das Bankenleben erzählen.
DICTATUROGAN (während ihm Rotkreis einsagt) Das Bankleben .... der Kurden,
sorry, der Wiener jener Zeit stand knapp vorm Aussterben. Aber die
Depression wurde durch Abräumen der Kunden und Stilllegen des Euros schnell
überwunden. Auch nach leeren Konten verlor die Bevölkerung nicht ihren
Optimismus.
PROFESSORIN OROPA Hm.
DICTATUROGAN Optimismus. Die allgemeine Überzeugung der Medien war: Es geht
abwärts.
PROFESSORIN OROPA Wirr, war das wirklich die Stimme der Medien? Wurde hier
nicht vorher eingesagt?
DICTATUROGAN Mir?
PROFESSORIN OROPA Ja, wem denn sonst?
DICTATUROGAN (während ihm Rotkreis dennoch weiter einsagt) Also, nein, es
ging aufwärts. Das Vertrauen wurde doch durch die Redlichkeit der Politiker
gestärkt.
PROFESSORIN OROPA Hmmm.
DICTATUROGAN Das Verhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer war geil. Der
Geiz brachte Wohlstand und Frieden ... (verzweifelnd) bitte, die Rotkreis
sagt mir falsch ein.
PROFESSORIN OROPA (zögernd, ob der Direktor zuschaltet) Hmm. Warum lernen
Sie denn nichts? Merken Sie sich: Über die Wirtschafts- und Medienkonzerne,
usw. gab es damals nur eine Meinung .... Die Klasse ist ein Saustall! Ja, wo
war ich denn nur? ... Und über die Bankmanager konnte man dasselbe sagen,
nämlich ...
ROTKREIS (zeigt auf SCHWARZGRUND) Er ruiniert meinen Topf, und jetzt rinnt
alles aussi!
PROFESSORIN OROPA Was ist jetzt schon wieder passiert?
ROTKREIS Der SCHWARZGRUND hat wieder seine Pistole mit und a Loch da eineg'schossen!
PROFESSORIN OROPA SCHWARZGRUND, schämen Sie sich. Schon wieder muss ich das
dem Direktor melden! Nun zu Ihnen, Herr Dictaturogan, gehen Sie in sich! War
es zu jener Zeit den Alten Wienern gelungen, die Kräfte der linken Medien zu
bändigen?
DICTATUROGAN Ja, ja.
PROFESSORIN OROPA Falsch, Dictaturogan. Unser Historiker Kobold vermittelt
uns, dass es damals im Fernsehen noch unzuverlässige aufrührerische Elemente
gab. Die Debatten fanden aber ein Ende. Nun Sie SCHWARZGRUND!
SCHWARZGRUND (zu BLAUSTICH leise) Verflucht, ich hab' nichts gelernt.
BLAUSTICH Gar nix?
SCHWARZGRUND (Leise) Von den Alten Wienern gar nichts, nur von den Polen. Ah
was, ich sag' ihr halt alles von Polen auf, wenn sie mich fragt. Is eh
wurscht.
PROFESSORIN OROPA Na wird's, Herr Schwarzgrund? Was können Sie mir über das
Land der Alten Wiener sagen?
BLAUSTICH (Hält einen Finger vor den Mund) Pst, Schwarzgrund! Net die Polen!
SCHWARZGRUND (Leise) Wenn ich aber nix anderes kann, Blaustich!
(Laut) Des Land der Alten Wiener war fast ein Reich. Es regierte die
Priesterkaste, die Waffenverkäufer und die Gerechtigkeitspartei. Aber die
Stärksten marschierten in voller heterogener Skinhead-bemalung herum, trugen
sonderbaren Federschmuck, sogar Kornblumen auf ihren Glatzen, befetzten sich
untereinander - richtig leiwand. Die anderen hatten in Wirklichkeit noch
viel zu viele Rechte zum Reden, denn das Land war noch nicht richtig
integriert in unser AAAFP- System. Die rechte Bevölkerung war richtig arm.
PROFESSORIN OROPA Besser als sonst.
BLAUSTICH (Leise zu SCHWARZGRUND) Wahrscheinlich hat sie nicht richtig
zugehört. A richtiges Masel hast g'habt.
SCHWARZGRUND (zu BLAUSTICH) Aber jetzt is aus. Ich hab' gor kan Schimmer.
PROFESSORIN OROPA SCHWARZGRUND, was können Sie mir über das Kulturleben von
damals sagen?
SCHWARZGRUND Nix, außer dass viele beten gangen sind ... in Kirchen und
Moscheen.
PROFESSORIN OROPA Besser. Schwarzgrund, mit Ihnen geht es aufwärts. Na
Grüntrieb, was ist mit Ihnen? (GRÜNTRIEB tritt vor.) Ham S' was gelernt?
GRÜNTRIEB Ja, ein bisschen.
PROFESSORIN OROPA Beschreiben S' uns dieses Bild.
GRÜNTRIEB (antwortet erst stockend, dann eifrig) Des Büld zeigt uns ... a
sportliches Ziel der Alten Wiener, a sogenanntes Wandermatch ... sorry, ich
meinte Icematch ...
Und da die kriegerisch bemalten johlenden Fans. Und schon damals sah jeder
Wiener im anderen einen Heilkünstler. Sie schrien "Ski heil" oder besser
"Schlag heil". Hier sehen wir auch den freudigen Ausbruch eines blutigen
Fankrieges zwischen den Anhängern der Sekte Rapid und der Hakoah ....
PROFESSORIN OROPA (winkt ab, hält sich die Ohren kurz zu) Des hab i net
gehört ... diese Sportler hat's nie gegeben, aber weiter.
GRÜNTRIEB Am Ende zelebrieren jüngere Wiener in neofarbenen Trikot Leiberln
den Vogerltanz, aber zwei von den Alten beginnen eben mit der notwendigen
Menschenopferung, indem sie einen eigens dazu nominierten Linienrichter
abschlachten.
PROFESSORIN OROPA Gut, gut, mein Kind. Die Alten Wiener waren auch starke
Glotzenverehrer. Welchen deutschsprachigen Sender sahen zum Beispiel Ihre
Großeltern emsig?
GRÜNTRIEB Bosch mit Kabeljau.
PROFESSORIN OROPA Wie bitte? Net eisig, sondern emsig!
GRÜNTRIEB (grantig) Also net Bosch, dann halt Atomic!
PROFESSORIN OROPA Da bringen Sie zwei verschiedene Marken durcheinander. Die
Sender hießen aber: ORF und der andere ARD. Aber schon damals - vor hundert
Jahren - war der Unterschied unbedeutend. Gut, gut. Gab es damals nicht
Gegensekten gegen diese Glotzenverehrung? ... Na, wissen Sie nicht, was ich
meine? Die zornigen Kabarettisten, die in Kellern und Cafes trotz Widerstand
Feste zelebrierten!
GRÜNTRIEB Ah, die Kleinkunstbühnen, oder meinen Sie NGOs, Gewerkschafter,
Sozialisten, Kummerln, Juden oder Greenpeace.
PROFESSORIN OROPA Ja, freilich alle. (SCHWARZGRUND zeigt inzwischen auf) Was
wollen Sie, Schwarzgrund?
SCHWARZGRUND Bitte, mein Opapa Peter war auch bei so einer Truppe. Sie
versammelte sich im Grünen Keller tief unter der Wipplingerstraße, und ihr
Guru hieß Pils oder Krügerl, die sogar Flugblätter vom Dach eines Theater
geworfen haben oder Menschen niedergestochen haben.
PROFESSORIN OROPA Dränglen Sie sich nicht schon wieder auf. Des waren
richtigerweise die "Kulturfaschisten". Sagen Sie mir, Frau Grüntrieb,
bestand bei den Alten Wienern noch die Einrichtung der Folter?
GRÜNTRIEB Aber, ja. Die wichtigste Foltermethode war der Wahlgang 2018 oder
die TV Duelle der Bundespräsidenten im Jahr 2016. Der Historiker Kobold
nennt dies "überaltete Strukturen, peinlicher Kindergarten".
PROFESSORIN OROPA Richtig. Ich zeig' Euch Aufnahmen über unsere notwendigen
Aktivitäten des beginnenden BreakAges. Den Wählern wurde ein Stift in die
Hand gedrückt, und sie mussten unter Live YouTube Übertragung ihren Namen
schreiben - so lange bis das Kreuzerl an der richtigen Stelle passte. Dieses
Bild zeigt uns eine Alte Wienerin beim Wählen. Sie sehen, diese Idiotin hat
sich ihre Finger wund gemalt und weiß nicht mehr, ob sie a Weiberl oder a
Lesbe ist.
DICTATUROGAN Furchtbar - ging des net brutaler!
PROFESSORIN OROPA Der Mensch muss doch bisserl ein Waserl sein können.
SCHWARZGRUND Brrr ... dieses BreakAge! So a Jahrzehnt!
PROFESSORIN OROPA Nun, Grüntrieb, noch eine Frage: Wovon ernährten sich die
Alten Wiener?
GRÜNTRIEB Sie ernährten sich von Kommerz, Waffenhandel, Landtourismus und
Viehzucht, sowie von Wissenschaft, Räuberei und vom Verkehr.
PROFESSORIN OROPA Etwas genauer! Wer ernährte sich von Aalzucht?
GRÜNTRIEB Des kennten sicher die überschuldeten nach Kärnten ausgewanderten
Bankdirektoren gewesen sein.
PROFESSORIN OROPA Wovon lebten die übrigen?
GRÜNTRIEB Durch Kunst, denn es war ein Kunststück, damals zu leben.
PROFESSORIN OROPA Na, es ist genug Grüntrieb. Brav wie immer! (auf die Uhr
schauend, zeigt wieder Richtung BLAUSTICH) Na, bei Ihnen wird's ja
hoffentlich flott gehen. Waren die Alten Wiener ein reines Volk?
BLAUSTICH Bitte, ja. Die Lieblingsausdrücke der Alten Wiener hatten alle
etwas mit Reinigung zu tun. So zum Beispiel "gehn' S' baden", "putz di" oder
badeten Flüchtlinge "I reib ina ane falls Sie no a mal auftauchen". Statt
der uralten Grüße "Freundschaft" oder gar "Freiheit" gings in diesem
Jahrzehnt mehr um die Reinlichkeit oder Reinheit.
PROFESSORIN OROPA Ei, Blaustich, Sie schauen unser bestes Propagandawerk
"Reinheit"! Strebsam! Sind Sie schon dort im Film bis zum Ruf der
EZB-Manager gekommen, wo sie sich untereinander angefeuert haben wie u.a.
"Sind Sie a schon Pleite?"
Aber jetzt noch eine Frage an Grüntrieb: Was können Sie mir über
Wahlprognosen der damaligen Zeit berichten?
GRÜNTRIEB 2018 machte ein Bierbrauer eine merkwürdige, aber freudige
Entdeckung. Er fand beim Tanzen im gärenden Bierschaum die richtigen
Wahlprognosen. Die anderen aber, die letzten zwölf Wiener, deren oranger
freier Radioapparat aus dem Fenster geschmissen wurde, konnten freilich
nicht solchen Jubeltanz mitmachen. Im Spital wurde festgestellt, dass diese
Kranken noch immer an faire Radioberichte glaubten. Die Politiker gaben
ihnen den Namen Radioten und schufen ihnen ein Asyl am Steinhof.
PROFESSORIN OROPA Was verstand man damals unter einem Brexit, Blaustich?
BLAUSTICH (hat nicht aufgepaßt) Hm... Brexit ... Die Briten haben
stillhalten müssen.
PROFESSORIN OROPA Diesen Vorgang verwechseln Sie mit einer Notverordnung.
Nun Grüntrieb, was ist eine Notverordnung?
GRÜNTRIEB (traurig) Eine Notverordnung ... eine Notverordnung war ... ist ..
(BLAUSTICH meldet sich.)
PROFESSORIN OROPA Na, Blaustich, wissen Sie doch noch etwas?
BLAUSTICH Ja, mei' Opa hat des ungefähr gewusst: Die Erlassung einer
Notverordnung setzt den Vorschlag der österreichischen Regierung im
Einvernehmen mit dem ständigen Unterausschuss des Hauptausschusses des
Nationalrats voraus.
PROFESSORIN OROPA (winkt entzetzt ab) Also Blaustich. Merkwürdig. Auch die
besten Lehrlinge verstehen das nicht mehr - kein historisches
Einfühlungsvermögen.
Mehr zum Reinigungsthema sollt ihr wissen: Die Allgemeine
Anti-Antifaschisten Partei (AAAFP), wo mein Großonkel aus Berlin eine
wichtige Rolle spielte, konnte mit ihrem Superreinigungsmittel alle Elemente
entfernen, die nicht ihrem Willen folgten. Sie sagen bis heute, dass nur sie
allein das Volk repräsentieren, daher mussten sie ja gründlich reinigen. Sie
entfernten seifenfrei, pH-neutral sowie leicht schäumend vorm Mund die
Ungewollten, den Verfassungsgerichthof und alle anderen Parteien und
verliehenen dem Neuen Staat einen Urglanz und Gloria.
Dictaturogan, gab es noch Parteien, die nicht dieser Meinung waren?
DICTATUROGAN Nein, denn alle waren einer Meinung.
PROFESSORIN OROPA Richtig. Und zwar welcher Meinung, Fräulein Rotkreis?
ROTKREIS (gelangweilt) Des, haben wir doch eh schon hinter uns.
PROFESSORIN OROPA Ei, ei, warum denn das?
ROTKREIS Bitt'schön, des habn' Sie uns schon tausende Male beigebracht.
PROFESSORIN OROPA Wie gewöööhnlich. Rühren Sie nur beim Kochen kräftig
weiter, aber hier wird nicht aufgemuckt, sonst melde ich ihr Verhalten.
Ich fahre jetzt in meinem Vortrag fort: Eines Tages geschah etwas
Unerwartetes. Die Alten Wiener verloren ihre sprichwörtliche Gemütlichkeit,
und sie wollten einen eigenen Freistaat Wien gründen, aus dem letztlich
etwas ganz anderes geworden wäre.
(Die Pausenglocke läutet.)
Dazu mehr in der nächsten Stunde.
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