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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Mai 2016; 01:50
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Wien/Polizei/Medien

> Spontane Polizeileistungsschau in Ottakring

Antifaschistisches Gedenken statt rechter Mahnwache am Yppenplatz


150 bis 200 AntifaschistInnen haben am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom
Nationalsozialismus, am Yppenplatz in Ottakring eine antifaschistische
Mahnwache an jener Stelle abgehalten, an der vor wenigen Tagen eine
54-jährige Frau ermordet wurde. Anlass der Versammlung war ein Aufruf der
rechtsextremen "Identitären Bewegung", die dieses schreckliche Verbrechen
für ihre rassistische und fremdenfeindliche Propaganda vereinnahmen wollte.
Die Identitären haben ihre Veranstaltung "nach Absprache mit der Polizei"
jedoch schon zwei Tage vorher offiziell abgesagt, wie sie am 6. Mai auf
Facebook verkündeten. Anstelle von "Identitären" tauchten ab ca. 19 Uhr
daher rund 150-200 AntifaschistInnen auf, um sicherzustellen, dass auch
wirklich keine Rechtsextremen an der Gedenkstätte aufmarschieren. Eine
rechte Mahnwache hat also an diesem Tag nie statt gefunden!

Nur zwischen 19:30 und 19:45 Uhr versuchten drei Identitäre von der
Neulerchenfelder Straße aus zum Yppenplatz zu gelangen, wurden jedoch am
Brunnenmarkt von AntifaschistInnen gestellt und vertrieben. Laut ersten
Medienberichten sollen dabei Baseballschläger und Feuerwerkskörper verwendet
worden sein - wofür sich allerdings keine ZeugInnen finden lassen. Ein
Pressesprecher der Polizei gibt gegenüber dem freien Journalisten Paul
Donnerbauer an, die "Baseballschläger" nur im Zusammenhang mit den Rechten
erwähnt zu haben. Darüberhinaus liegen der Polizei keine Meldungen über
Verletzte vor. Pyrotechnik wurden erst in der anschließenden Spontandemo in
der Neulerchenfelder Straße verwendet -- und zwar bengalische Feuer.

Spontandemo auf der Neulerchenfelder Straße

Gegen 19:45 Uhr, nach dem Aufeinandertreffen mehrerer AntifaschistInnen mit
Identitären am Brunnenmarkt, setzten etwa 150 Personen zur Spontandemo um
den Yppenplatz an (ca. 50 Personen blieben am Ort der Mahnwache). Nach
weniger als 20 Minuten, kurz nach 20 Uhr, traf die Demo wieder am Yppenplatz
ein.

Erste Streifenpolizisten wurden am Brunnenmarkt, kurz nach dem Start der
Spontandemo, auf die Versammlung aufmerksam. Im Verlauf der Demo trafen
weitere ca. 10 PolizistInnen zu Fuß und mit Streifenwägen am Ende der Demo
ein. Sie versuchten vergeblich zur Spitze der Demonstration zu gelangen und
forderten Verstärkung an - setzten aber sonst keinerlei Handlungen. Die
Demonstration gab dazu auch keinen Anlass - außer, dass sie "unangemeldet"
und damit in den Augen der Polizei "illegal" abgehalten wurde.

Eskalatives Verhalten der Polizei am Yppenplatz

Als die Demo gegen 20 Uhr wieder am Yppenplatz eintraf - mit mittlerweile
über 20 PolizistInnen im Anhang - wirkte die Stimmung relativ entspannt. Die
nächsten 30 Minuten verbrachten die anwesenden PolizistInnen eigentlich nur
mit Herumstehen an den Rändern der Versammlung -- während gleichzeitig immer
mehr Verstärkung eintraf. Ab 20:30 Uhr eskaliert die Situation aber völlig
unerwartet, als einige BeamtInnen in die Menge vordringen und eine Person
herauszerren -- und zwischen den Marktständen am Brunnenmarkt fixieren. In
der Folge eilen immer mehr Leute zum Einsatzort -- und auch die Polizei
schickt immer mehr Einheiten, um die herausgefischte Person "abzuschirmen".
Etwa 50 BeamtInnen sichern nun den Verdächtigen ab (angeblich ging es um
einen Vorfall mit einem rechten Provokateur, der AntifaschistInnen gefilmt
hat) -- und keine 10 Minuten später erfolgt ein weiterer Zugriff, diesmal
noch eine Spur brutaler. Diesmal soll es um "aggressives Verhalten" an der
Polizeikette gegangen sein, die den Brunnenmarkt verstellt.

Nun waren zwei Personen in einem Polizeikessel gefangen und die Polizei
verbrachte die nächsten 45 Minuten im Wesentlichen nur noch damit, diese
zwei Personen abzuschirmen. Einzig die Mittel der Abschirmung wurden
innerhalb weniger Minuten drastisch verschärft. Zunächst wurde eine
Hundestaffel hinter den Markständen positioniert, kurz daraufhin wurde ein
Radpanzer in der Veronikagasse gesichtet - und die Wasserwerfer waren wohl
nur deswegen nicht ebenfalls vor Ort, weil sie gerade an der Brenner-Grenze
Bereitschaftsdienst versehen haben.

Polizei-Parade

Vor allem der Lärm des Polizeihubschraubers, der ohne erkenntlichen Grund 20
Minuten über dem Yppenplatz geschwebt ist, hat fast das ganze Grätzel auf
die Straße getrieben -- und für ein großes Unsicherheitsgefühl gesorgt. Dass
in der Veronikagasse ein Panzer der Polizei steht, sprach sich schnell
herum. Viele nutzten die Gelegenheit für Handyfotos. Der 8. Mai geriet
zusehends zu einer Leistungsschau der Wiener Polizei.

Anlass für all diese Aufrüstung gab es trotz der zwei Zugriffe in der
Versammlung am Yppenplatz keinen mehr. Laut orf.at soll die Polizei nicht
gewusst haben, dass die Identitären ihre Versammlung abgesagt haben. Den
Einsatz eines Radpanzers und einen Hubschraubers erklärt er mit Hinweisen
auf "bewaffnete Demonstranten", die die Polizei erhalten hätte. Ab 21:15 Uhr
zog die Polizei ihre Armada aus den Straßenzügen rund um den Yppenplatz
allmählich ab, auch der Polizeihubschrauber war verstummt und die
Panzerfahrer legten ihre Kampfausrüstung wieder ab. Es gab keine
Sachbeschädigungen oder Festnahmen.

Einige PolizistInnen blieben auch danach noch zur Beobachtung am und um den
Yppenplatz präsent, während sich die VersammlungsteilnehmerInnen wieder mehr
inhaltlichen Themen als der Polizeibelagerung widmen konnten.
(Jonas Reis für wientv.org, am 9.5., 00:26/bearb.)

*
Quelle:
https://wientv.org/antifaschistisches-gedenken-statt-rechter-mahnwache-am-yppenplatz
Paul Donnerbauers Reportage über die Ereignisse und die seltsame
Informationspolitik der Polizei:
http://www.vice.com/alps/read/der-grosseinsatz-der-polizei-in-ottakring-am-8-mai-wirft-einige-fragen-auf
*

> Was sonst noch auffiel

Eine erste schriftliche Stellungnahme der Polizei erfolgte erst am nächsten
Tag um 6:45. Und da tauchten wieder die Baseballschläger auf: "Am 08.05.2016
kam es gegen 20:00 Uhr im Bereich Brunnengasse (16. Bezirk) zu einer
unangemeldeten Ansammlung von ca. 120 Menschen. Die teilweise vermummten
Personen zogen lärmend rund um den Yppenplatz, es wurde eine Vielzahl an
Bengalen gezündet und gegen parkende Autos getreten. Einige Teilnehmer
dürften auch mit Baseballschlägern bewaffnet gewesen sein. (...) Um mögliche
Angriffe auf Leib und Leben, aber auch um Sachbeschädigungen hintanzuhalten,
wurde ein Großaufgebot an Polizeikräften im 16. Bezirk zusammengezogen.
Unter Einsatz mehrerer Polizeidiensthunde konnte die Menschenmenge am
Brunnenmarkt angehalten werden. Die teilweise sehr aggressiven Teilnehmer
dieser Versammlung attackierten auch die eingesetzten Polizeikräfte, zwei
Personen wurden festgenommen. Durch die große Polizeipräsenz löste sich die
Menschenmenge gegen 22:15 auf."

Ein Lokalaugenschein der akin gegen 21 Uhr zeigte ein anderes Bild: Das
Viertel war von anscheinend recht willkürlichen Sperrketten durchzogen,
Polizisten schirmten linke Demonstranten von anderen linken Demonstranten
ab, Polizeiautos standen verstreut bis hinunter zur Hernalser Hauptstraße
herum und deren Besatzungen versuchten den verwirrten Anrainern zu erklären,
was sie da eigentlich tun -- was sie selber nicht so ganz genau wußten --
und daß man da und dort nicht durchgehen könne. Frage: "Was ist hier los?"
Antwort des Beamten: "Das ist eine Auseinandersetzung zwischen links und
rechts." Doch rundherum waren nur linke Demonstranten zu sehen. Frage: "Und
wo ist rechts?" Diese Frage konnte der Beamte leider nicht beantworten.

Was zu erwarten war, war eine Aussendung der FPÖ. Die nutzte den völlig
überzogenen Polizeieinsatz als Begründung um nach noch mehr Polizei zu
rufen: "Ottakring wurde gestern Schauplatz einer nahezu
bürgerkriegsähnlichen Szenerie. Wenn ein Polizeipanzer und ein Hubschrauber
eingesetzt werden müssen, weil die Wahrscheinlichkeit einer gewaltigen
Eskalation gegeben ist, müssten bei allen Politikern die Alarmglocken
schrillen", so die freiheitliche Nationalratsabgeordnete und
FPÖ-Bezirksobfrau von Ottakring, Dagmar Belakowitsch-Jenewein.
(akin)

Link zur polizeilichen Presseaussendung:
http://www.polizei.gv.at/wien/presse/aussendungen/presse.aspx?prid=4C6A552B555146384A30513D

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Zum Themenkreis Wiener Außenbezirke, Kriminalität und Ausländerhatz siehe
auch: Letzte Worte



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