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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 6. April 2016; 15:30
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Recht / Moderne Zeiten:

> Der Bundestrojaner, nächster Anlauf

Seltsame Überwachungspläne des Justizministeriums
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Es bundestrojanert wieder mal. Aber ganz vorsichtig. Das Justizministerium
unter Wolfgang Brandstetter hat einen Entwurf einer Novelle der
Strafprozeßordnung herausgegeben um Telefonüberwachung und Lauschangriff
digital auszuweiten. Explizit beruft man sich dabei auf eine bereits 2007
eingesetzte interdisziplinäre Arbeitsgruppe, die 2008 zu dem Ergebnis kam,
daß ein solcher "Bundestrojaner" (oder "Online-Durchsuchung") rechtlich
nicht durchsetzbar sei.

Nachdem die Idee mit der Vorratsdatenspeicherung vom VfGH 2014 gekippt
worden ist, gibt es jetzt also einen neuerlichen Versuch an jene digitale
Kommunikation heranzukommen, die von Leuten ausgeht, die der Staat
verdächtig findet. Dabei hilfreich erscheint der IS, den man ja bis vor ein
paar Jahren noch nicht so richtig als Argument nutzen konnte. Jetzt findet
sich im Vorblatt des neuen Entwurfs Folgendes: "Die Sammlung von
stichhaltigem Beweismaterial, das eine (geplante) Reise ins Ausland zur
Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung ('foreign fighters') und
terroristischen Ausbildungen belegt, kann von den Strafverfolgungsbehörden
derzeit nur schwer bewerkstelligt werden, weil die Durchführungen von
Ermittlungen im Wege von Rechtshilfeersuchen, z. B. nach Syrien, nahezu
unmöglich ist. Wie bei den jüngsten Anschlägen offenkundig wurde, werden
diese Kommunikationswege aber auch zur Vorbereitung terroristischer
Straftaten im europäischen Raum und zur Koordinierung von Tätergruppierungen
verwendet."

Die argumentatorische Grundlage, warum so etwas jetzt aber wirklich
notwendig sei, obwohl man bisher auch ohne solche digitalen Abhörmaßnahmen
ganz gut zurechtgekommen ist, scheint damit also gegeben.

Polizeilicher Einbruch?

Und was ist da jetzt konkret geplant? Nachdem man eben angeblich aus
rechtlichen Gründen (eher sind da praktische Gründe zu vermuten) von einem
digitalen Einbruch zur Installation über das Internet Abstand genommen hat,
will man eine solche Überwachungssoftware jetzt direkt mit physischem Zugang
zum Kommunikationsgerät bewerkstelligen: "Soweit dies zur Durchführung der
Ermittlungsmaßnahme unumgänglich ist, ist es zulässig, in eine bestimmte
Wohnung oder in andere durch das Hausrecht geschützte Räume einzudringen,
Behältnisse zu durchsuchen und spezifische Sicherheitsvorkehrungen zu
überwinden, um auf das Computersystem zuzugreifen" (StPO §136a (2) in der
Fassung dieses Novellierungsentwurfs).

Was heißt das praktisch? Es sollen "Ermittler etwa bei Hausdurchsuchungen
die Möglichkeit haben, auf Handys oder Computern Überwachungssoftware zu
installieren. Alles nach Genehmigung durch einen Richter" formuliert das
"Die Presse" in Berufung auf den Justizminister. Da das aber praktisch wohl
nicht so laufen kann, weil von offiziellen Hausdurchsuchungen die
Betroffenen zu informieren sind und diese damit wüßten, daß sie verwanzt
sind, wird die obzitierte Novelle wohl eher so zu verstehen sein, daß die
Polizei einbrechen gehen darf.

12 Milliarden Euro?

Seltsam ist auch die Budgetierung dieses Gesetzes. Während nämlich Details
über diese Software nicht bekanntgegeben werden, stellt sich nämlich heraus,
daß bereits eine sehr genaue Kostenaufstellung möglich ist -- also
offensichtlich schon mit einem ganz bestimmten Anbieter Vorverträge gemacht
worden sein dürften. Veranschlagt werden für die Maßnahme im ersten Jahr
wegen der Implementierungskosten 550.000 Euro, für die Folgejahre jeweils
450.000 Euro an Lizenzgebühren. Projektiert ist das Ganze mit einer Laufzeit
bis 2045 -- was auch seltsam anmutet, denn auch mit Updates wird diese
Technik dann wohl schon seit 20 Jahren hoffnungslos veraltet sein. Dazu
kommt noch eine höchst skurrile Angabe, daß der Einfluß auf den
Schuldenstand der Republik bis 2045 dadurch 12.447 Millionen Euro ausmachen
würde. Nun ergibt die Summe aller Lizenzgebühren Kosten in der Größenordnung
eines Tausendstel dieses Betrags und man könnte daher meinen, es wäre ein
Tippfehler und es sind 12 Mio gemeint. Allerdings wird es in dieser
ministeriellen Aussendung tatsächlich als 2,1% des jährlichen
Bruttoinlandsproduktes ausgewiesen -- was eher bei 12 Milliarden hinkommt
und sich dann in der Größenordnung der Hypo-Pleite bewegt.

Natürlich nur gegen Terroristen

Von diesen Skurrilitäten einmal abgesehen, will man natürlich derlei
Grundrechtseingriffe nur in ganz argen Fällen machen -- das war schon 2007
so vorgesehen und bei der Vorratsdatenspeicherung auch und beim großen
Lauschangriff sowieso. D.h. also nur bei "Notwendigkeit zur Aufklärung eines
mit mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechens oder des
Verbrechens der kriminellen Organisation oder der terroristischen
Vereinigung (§§ 278a und 278b StGB)" heißt es in den Erläuterungen zum
Ministerialentwurf.

Da in Österreich das Anzünden von Mistkübeln oder die vermeintlichen
Verschwörungen von Tierschützern genau nach diesen Paragraphen verfolgt
werden, was entsprechende Ermittlungsmethoden rechtfertigte, kann man davon
ausgehen, daß auch dieser Bundestrojaner, der ja angeblich keiner ist, für
Zwecke eingesetzt werden soll, die mit dem behaupteten Zweck der Novelle
nicht viel zu tun hat.

Und leider ist zu befürchten, daß das diesmal wirklich so durchgeht und im
Nationalrat beschlossen wird. Die Polizei wird dann hoffentlich ein
Dankschreiben an den IS verfassen...
*Bernhard Redl*

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Der Ministerialentwurf (192/ME) am Parlamentsserver:
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00192/index.shtml

Erste Analyse von futurezone:
http://futurezone.at/netzpolitik/staatstrojaner-soll-450-000-euro-pro-jahr-kosten/190.204.430

Presse-Artikel: http://diepresse.com/home/4955053

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