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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 10. Februar 2016; 12:14
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Arbeit / Kapital /Debatte:
> Betrübliche Selbstverwaltung
Kommentar von Peter Moser (1) zu "Belegschaft, übernehmen Sie" von Markus
Koza in alternative 1-2/2016 (gekürzte Fassung in akin 3/2016)
Es ist erfreulich, dass die "Betriebliche Selbstverwaltung" (autogestion,
self-management, autogestione) nach langer Zeit wieder einmal in der
"Alternative" thematisiert und in der akin zur Diskussion gestellt wird. Es
ist jedoch betrüblich, dass dies meist erst anlässlich oder im Gefolge des
Scheiterns eines "normalen" Unternehmens stattfindet. So ist es auch jetzt:
Der Konkurs der "Zielpunkt"-Kette ist aktuell der Auslöser. Den betroffenen
ehemaligen Zielpunkt-Beschäftigten wird die Option einer
Belegschaftsübernahme - so kann man ziemlich sicher annehmen - leider kaum
helfen. Das liegt meines Erachtens in erster Linie daran, dass eine
Insolvenz- oder Konkurssituation eines Unternehmens doch die
betriebswirtschaftlich ungünstigste Situation für dessen Übernahme durch die
Belegschaft(en) ist. Nur einige dieser schlechten Voraussetzungen seien hier
beispielhaft angeführt: Wer übernimmt denn schon gerne einen
zahlungsunfähigen, illiquiden, verschuldeten Betrieb? Und auf der Grundlage
welcher Qualifizierung sollte denn ein Kapitalgeber einer Belegschaft
plötzlich Geld leihen? Und warum sollte etwa ein nicht gefragtes Produkt
oder eine unnötige Dienstleistung - das Nichterkennen derartiger
Sachverhalte fällt auch unter Managementfehler, die den Großteil der
Insolvenzgründe ausmachen - durch eine genossenschaftliche Betriebsform
plötzlich Sinn machen und Arbeitsplätze langfristig sichern? Solche und
einige andere Aspekte kommen im Beitrag von Markus Koza ein wenig zu kurz,
sie sollten jedoch nicht außer Acht gelassen werden.
Sich "genossenschaftlich" organisierende Belegschaften
Die "Genossenschaft" stellt (im österreichischen Genossenschaftsrecht)
lediglich eine Rechtsform dar, mit der das Eigentum am Betrieb geregelt
wird. Sie ist keine Festlegung der innerbetrieblichen Arbeitsverhältnisse
und der Mitsprache bei der Produktionsweise. "Genossenschaftlich" sollte
nicht mit "gemeinwohlorientiert" oder mit "solidarwirtschaftlich"
verwechselt werden. In genossenschaftlichen Betrieben finden sich
hierzulande kapitalistische Arbeitsverhältnisse wie in jeder anderen
Betriebsrechtsform. Ausschlaggebendes innerbetriebliches Kriterium für die
Förderungswürdigkeit sollte daher ein umfassendes Selbstverwaltungsstatut
sein.
Kapitalisierung des Arbeitslosengeld-Anspruchs
Wenn das Geld - wie im österreichischen Fall - von der
Arbeitslosenversicherung kommen sollte, dann scheint mir das von Markus Koza
vorgestellte Modell nur bedingt tauglich: Das Ziel jeder Versicherung ist
doch, den "Versicherungsfall" (hier die Arbeitslosengeldzahlung) so kurz wie
möglich zu gestalten. Was sollte die ALV also dazu motivieren, maximale
Arbeitslosengeldansprüche vorzeitig auszuzahlen für die Gründung eines
selbstverwalteten Betriebes, dessen Gelingen unsicher und für dessen
Scheitern sie auch noch das Risiko tragen soll, die Kosten für eine
Mindestabsicherung zu übernehmen? Die CFI-Konditionen in Italien sind da
doch realistischer: Drei Jahre Verlust der AL-Ansprüche der
Genossenschaftsmitglieder sind dort der Preis für die (vorzeitige)
Auszahlung der AL-Gelder.
Zurück nach Österreich und zum vorgeschlagenen "Insolvenzrecht NEU": Wenn
eine Einschätzung der Arbeitsmarktsituation ergeben sollte, dass die wegen
der Insolvenz arbeitslos gewordenen Beschäftigten rascher als die gesamte
Anspruchslaufzeit wieder Arbeit bekommen und dadurch wieder zu Einzahlenden
in die ALV würden, dann gibt es nicht den geringsten Grund für die
Versicherung, maximale Arbeitslosengeld-Ansprüche für ein
Belegschaftsunternehmen kapitalisieren zu lassen. Und wie sollte denn
gegenüber den anderen ALV-Einzahlenden (Arbeitgeber und -nehmer!)
glaubwürdig nachgewiesen werden, dass hier Arbeitslosengelder quasi als
zinsenlose Kredite am Kapitalmarkt vorbei zur Tilgung von Schulden des
insolvent gewordenen Vorläuferunternehmens und zur Befriedigung von
Gläubigerinteressen herangezogen würden? Angesichts solcher gar nicht schwer
vorstellbarer Praktiken, die an der ursprünglichen Sinnhaftigkeit und
Zweckbindung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen vorbeigehen würden,
scheinen die anderen von Markus Koza vorgeschlagenen Finanzierungsformen
schon eher überlegenswert, wenngleich auch fragwürdig.
Öffentliche Hand als Finanzier?
Es geht um billiges, für die Weiterführung des Unternehmens notwendiges
Kapital, das von Banken kaum zu bekommen ist. Erschwerend ist der Umstand,
dass das Unternehmen insolvent wurde, vermutlich Schulden hat und das neue
Belegschaftsmanagement außer seiner Arbeitskraft und der Übernahmewilligkeit
sehr wahrscheinlich keine Kreditwürdigkeit besitzt. Der Ruf nach der
öffentlichen Hand, die als Finanzierungsinstitut zum Nulltarif tätig werden
solle, ist daher naheliegend. Derartige Rufe blieben aber in den letzten
Jahrzehnten unerhört. Die meisten der allenthalben für eine
Belegschaftsübernahme infrage kommenden konkursbedrohten KMU sind nämlich
nicht "too big to fail", werden also von unseren politischen Repräsentanten
als nicht systemrelevant erachtet und können daher nicht mit Gaben aus dem
von Steuern gespeisten Füllhorn rechnen. Das ist -- noch immer -- das
Privileg von Banken, auch wenn diese sich weit von ihrer ursprünglichen
ökonomischen Funktion entfernt haben.
Die im Koza-Artikel erwähnte Entschließung des Europäischen Parlaments, dass
die Mitgliedsstaaten doch Belegschaftsübernahmen und deren begünstigte
Finanzierung fördern sollten, ist gewiss löblich; maßgeblich waren jedoch
bislang die Richtlinien und Empfehlungen der EU-Kommission in Brüssel. Dort
verbeugen sich unsere gewählten Politiker vor dem Wettbewerbskommissar, der
im Falle zinsenloser, nicht rückzahlbarer Kredite (das ist bei Förderungen
meistens so) sofort mit Sanktionen wegen Wettbewerbsverzerrung aufschreit
und womöglich die Sanktionierung des Staates wegen Benachteiligung der
(durch Steuergelder geretteten) Banken bei deren Kreditgeschäft einfordert.
Was ist also vor diesem Hintergrund heute von der "öffentlichen Hand"
hinsichtlich Unterstützung, Förderung von Belegschaftsinitiativen zu
erwarten? Sie, die "öffentlichen Hände" hätten einen unvergleichlich
größeren Argumentationsnotstand als sie bei der Übernahme der Pleitenkosten
für die heimischen, systemrelevanten Großbanken haben!
Was bleibt? Wer könnte noch als Finanzier angedacht werden? Zahlen nicht
alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich eine
Arbeiterkammerumlage? Die AK ist eine Selbstverwaltungskörperschaft.
Belegschaften selbstverwalteter Betriebe geben nicht zwangsläufig ihren
Arbeitnehmerinnenstatus auf. Die WKO hat ein eigenes "Gründerservice". Wäre
es nicht naheliegend, die Arbeiterkammer an eine ihrer grundsätzlichen
Zweckbestimmungen zu erinnern und politisch von ihr die finanzielle
Beteiligung bei Belegschaftsinitiativen einzufordern? Das klingt zwar naiv,
aber angesprochen wird hier eine Interessenvertretung, die ausschließlich
von ihren Mitgliedern finanziert wird, deren gewählte Repräsentanten nur
diesen gegenüber verantwortlich sein sollten ...
Beratung und Förderung von Selbstverwaltungsbetrieben
Die im Alternative-Artikel von Markus Koza erwähnte ÖSB (2) hatte neben
vielen anderen Funktionen auch die Beratung von Belegschaftsinitiativen als
Tätigkeitsfeld. Diese Unterstützung war in gewissem Ausmaß für die
interessierte Belegschaft kostenlos; soweit ich mich erinnere, wurden die
aus dieser Funktion der ÖSB entstehenden Aufwendungen von der Gewerkschaft
der Privatangestellten gedeckt. Da war nicht die "öffentliche Hand" im
Spiel. Dieses Tätigkeitsfeld hatte in der ÖSB jedoch ein Ablaufdatum gegen
Ende der 1990er Jahre. Immerhin gab es damals Kräfte in der Gewerkschaft,
die sich mit dem vom ÖGB jahrzehntelang beharrlich verweigerten Thema der
selbstverwalteten Betriebe befassten und ihm eine gewisse, wenn auch
stiefmütterlich als "experimentelle Arbeitsmarktpolitik" qualifizierte
Bedeutung zugemessen haben. Die leider nur temporäre Einrichtung der
Beratungstätigkeit macht dennoch deutlich, dass es sich beim Aufbau von
Selbstverwaltungsunternehmen nicht um "Feuerwehraktionen" zur Rettung
insolvent gewordener "normaler" Betriebe handelt.
Insolvenz, Betriebspleite, Konkurs, plötzliche Arbeitslosigkeit mögen zwar
als Anlässe tauglich sein, Belegschaftsübernahmemodelle anzudenken, die
thematische Verschränkung mit der Diskussion alternativer Betriebsformen
leidet meines Erachtens jedoch unter der jeweils aktuellen Not- bzw.
Zwangssituation des drohenden oder schon eingetretenen Arbeitsplatzverlusts.
Die Schwierigkeiten bei der Entwicklung alternativer, solidarischer
Arbeitsverhältnisse, Fragen der Arbeitsteilung, der Verantwortlichkeit, der
Lohnfindung, der Abbau verinnerlichter alter Herrschaftsverhältnisse usw.
usw. kommen dabei zu kurz.
Anmerkungen:
(1) Peter Moser erarbeitete als Betriebsrat mit der Belegschaft des
Instituts für Stadtforschung, das im mehrheitlichen Eigentum der Stadt Wien
stand, in den Jahren 1989/90 zuerst ein Übernahmekonzept, dann ein
Gründungskonzept für einen Selbstverwaltungsbetrieb aus. Dieser
Forschungsbetrieb, die SRZ Stadt+Regionalforschung GmbH, bestand bis Ende
2008.
(2) Sowohl beim Übernahmekonzept als auch bei der Erarbeitung des
Gründungskonzeptes 1990 wurde das SRZ von der ÖSB (als "Österreichische
Studien- und Beratungsgesellschaft" gegründet, heute eine
Unternehmensberatung) kostenlos beraten; auch einige Jahre später erhielt
das Unternehmen noch einmal eine Beratungsunterstützung durch die ÖSB.
[Anmerkung der Redaktion: Die ÖSB wird nur in der Langfassung von Koza
erwähnt, nicht in der gekürzten in der akin.]
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