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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Dezember 2015; 17:43
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VERWORTET:

> "Radikalisierung"

Also das "radikal" was mit der Radix, der Wurzel, zu tun hat, ist ja ein
alter Hut. Wenn man von den "Freien Radikalen" mal absieht, die zwar auch
recht aggressiv sind, aber halt eher in die Biologie und Chemie gehören, war
etwas oder jemand "radikal" lange Zeit ein Begriff dafür, ein Problem bei
der Wurzel zu packen. Daß man sich daran erinnert hat, ist wohl auch ein
Grund dafür, daß seit etlichen Jahren das Wort "extremistisch" statt
"radikal" im Gebrauch steht. Der heutige "Extremist" ist dabei genauso
zumindest potentiell gewalttätig wie der "Radikale" zu verstehen -- so
versteht man den Begriff nicht nur im Boulevard und am Stammtisch, sondern
mittlerweile auch in den "Qualitätszeitungen" und auf Universitätskanzeln.
So etwas wie "radikalpazifistisch" wird landläufig beinahe schon als
Oxymoron angesehen. "Radikale" und "Extremisten" sind immer gewalttätig.
Punktum! Das ist so wie mit den "Anarchisten", die sind das auch
prinzipiell, weil sie so gerne Bomben schmeissen. Außer in der
Kulturberichterstattung, da darf ein Künstler schon mal Anarchist oder
Extremist sein, das gilt dann als Lob.

Aber "radikal" war eben im politischen Bereich beinahe schon am Aussterben.
Doch die Rettung des Begriffs erfolgte durch die "Islamisten" -- die vor
zwanzig Jahren selbst noch ganz harmlose Islamwissenschaftler waren. (Ich
warte noch darauf, daß radikale israelische Siedler als "Judaisten"
bezeichnet werden -- aber das kommt schon noch. Auf "Christisten" werden wir
aber wohl bis zum St.Nimmerleinstag warten müssen, weil das holpert doch zu
sehr.)

Zurück zu den "Radikalen" -- oder besser "Radikalisierten". War zu Anfang
noch von "radikalisierten Muslimen" die Rede, wird das jetzt überhaupt
verkürzt: "Schütze von San Bernardino hatte sich radikalisiert" lautete
kürzlich die Schlagzeile im "Kurier"; in der "Kleinen Zeitung" hieß es zur
selben Geschichte: "Angreifer von San Bernardino möglicherweise
radikalisiert". Ergo ist "radikal" oder eben "radikalisiert" nicht mehr ein
Synonym für "gewaltbereit" (im staatlich nicht sanktionierten Sinne
natürlich) alleine, sondern für "muslimisch-gewaltbereit".

Die Sprache der Medien verkürzt natürlich -- und Headlines sind da noch
brutaler oder "radikaler" in der Verkürzung als die Kurzmeldungen auf
Twitter. Dennoch: Was hat die fundamentale Herangehensweise an ein Problem
mit gewalttätigen Verrückten zu tun, die sich auf Gott berufen? Noch dazu,
wo deren Ideologien gar nicht radikal oder "fundamentalistisch" sind,
sondern vor Widersprüchen nur so strotzen...

Weil mittlerweile bin ich auch radikalisiert: Wenn das Wort "radikalisiert"
in einem Zeitungstext in dieser Verwendung vorkommt, lese ich einfach nicht
mehr weiter. Da bin ich von jetzt an radikal.
*Bernhard Redl*
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