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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. November 2015; 17:22
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Paris/Medien:

> #JeSuisDoctorWho

Es gibt sie doch: Kluge Kommentare nach den Pariser Anschlägen -- und
hilfreiche Geschichten aus der Populärkultur.
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"Terror" -- gerade im Frankreich müßte man ja wissen, woher das Wort kommt.
Der "Terreur", also der "Schrecken" war das Mittel der Herrschaft
Robespierres. Es beschrieb also den Staatsterror, die Herrschaftsform
mittels Angst und Verunsicherung, jeder war jedermanns Feind, weil jeder
jeden auf die Guillotine bringen konnte; eine besonders perfide Form des
divide et impera.

Doch nur wer sich schrecken läßt, ist auch davon beeinflußbar. In Frankreich
hat das jetzt wieder wunderbar funktioniert -- das Denken der Mehrheit
scheint bereits vom IS beherrscht.

Ich habe jetzt etliches an Kommentaren in deutschsprachigen Medien gelesen.
Einige sind brunzdumm, aber viele davon warnen erfreulicherweise vor
hysterischen Reaktionen. Zum Beispiel schreibt Sibylle Hamann in der Presse:
"Die Terroristen wollen, dass wir uns verhärten, damit wir dem Feindbild,
das sie von uns zeichnen, ähnlicher werden: abweisend, egoistisch, ignorant
gegenüber den Problemen anderer Weltgegenden, mit allen Mitteln jeden
kleinen eigenen Vorteil verteidigend, auf Kosten aller anderen Menschen. Die
Terroristen wollen, dass wir eine Fratze zeigen, weil man diese Fratze noch
besser hassen kann. Die Terroristen wollen, dass bei uns Misstrauen und
Zwietracht wachsen. Sie wollen uns dazu bringen, dass wir in jedem, der sich
in der U-Bahn neben uns setzt, einen potenziellen Gewalttäter wittern. Sie
freuen sich, wenn wir einander belauern, beobachten, belauschen, überwachen,
bespitzeln und einander das freie Denken und Sprechen verbieten."

Allerdings greift dieser Kommentar noch viel zu kurz. Das ist zwar sicher
ein Teil der Strategie dieses Terrorismus, aber die Analyse verharrt im
Eurozentristischen: Es gehe um einen Angriff auf unsere Lebensart, heißt
das. Aber das ist nicht ganz der Punkt. Die beiden besten Kommentare zum
Thema, die ich gefunden habe, stammen nicht aus österreichischen oder
deutschen Zeitungen, sondern wo ganz woanders her.

Der eine ist von Florian Hauschild und wird von einem ganz bösen Medium
verbreitet, nämlich "Russia Today", das ja als "Putin-Fernsehen" verschrieen
ist. Der Autor beruft sich in seiner Analyse auf den Soziologen Peter
Waldmann, der meint, Terror wäre keine militärische, sondern eine
Kommunikationsstrategie. Hauschild schreibt:

"Die eingesetzte Gewalt ist nicht als irrationaler Akt blutrünstiger Irrer
zu verstehen, sondern viel mehr eine -- aus Sicht der Terroristen --
rational und wohl kalkulierte Schockbotschaft mit dem Ziel, den
angegriffenen Feind zu einer von Emotionen geleiteten Überreaktion zu
provozieren, die einerseits im Inneren der attackierten Gesellschaft,
Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit einer freien
Gesellschaftsordnung offenbart und verstärkt und im Außen Sympathisanten für
den terroristischen Kampf mobilisieren soll. Schon die RAF definierte als
ihr Ziel, den Staat zu harten Reaktionen zu provozieren, die dann wiederum
die Bürger dazu bewegen sollten, den immer repressiver werdenden
Staatsapparat abzulehnen. Es gilt: Der Terrorismus spielt immer über Bande.

So auch in der Gegenwart: Was wird ein junger Syrer wohl tun, der aufgrund
französischer Bombenangriffe seinen Bruder verliert? Den IS verdammen oder
sich diesem anschließen, um sich an dem verhassten Mörder seines
Familienmitgliedes zu rächen?

Die Antwort ist klar. [...] Die bisherigen Mobilisierungs- und
Rekrutierungserfolge des IS belegen, dass diese Strategie bisher bedrückend
erfolgreich war."

Damit kommt aber noch ein anderer Verdacht auf -- und das ist jetzt mein
Senf: Daß die Anschläge ausgerechnet wieder in Paris und nicht zum Beispiel
in London oder Berlin stattgefunden haben, kann auch genau diesen Grund
haben. Großbritannien wird militärisch heute üblicherweise nur mehr tätig,
wenn aus Washington entsprechende Aufforderungen gemacht werden. Deutschland
ist aus historischen Gründen da sowieso zurückhaltender. Aber Frankreich ist
die einzige ehemalige europäische Kolonialmacht, die bis heute selbständig
militärisch ihre Interessen im arabischen und afrikanischen Raum verfolgt.
Die Anschläge könnten damit nicht als Protest gegen diese Kolonialpolitik
gemeint gewesen sein, sondern als Aufforderung, diese zu intensivieren. Nur
von Frankreich war zu erwarten, daß eine sofortige militärische Antwort
kommt.

Der andere Kommentar, den ich bemerkenswert fand, bezieht sich gar nicht
explizit auf die Pariser Anschläge -- schon deswegen, weil er bereits vorher
veröffentlicht worden ist. Es ist prima vista nicht einmal ein politischer
Kommentar. Und dennoch trifft er ins Schwarze.

Ende Oktober und Anfang November hat die BBC eine neue Doppelfolge der
legendären Science-Fiction-Fantasy-Fernsehserie "Doctor Who" ausgestrahlt.
In dieser Doppelfolge geht es um die außerirdische Spezies der Zygonen, die
auf der Erde Asyl gesucht haben. Dadurch, daß sie ihr Äußeres anpassen
können, ist es ihnen kein Problem, unerkannt unter den Menschen zu wohnen.
Doch einige wenige von ihnen formieren sich zu einer kleinen Rebellentruppe,
weil sie der Meinung sind, die Zygonen sollten die Erde beherrschen. Blöd
nur, daß die meisten Zygonen froh sind, ein normales Leben unter den
Menschen führen zu können. Also wollen sich die Terroristen eine Technologie
aneignen, wodurch die Anpassungsfähigkeit der Zygonen aufgehoben werden
könnte und alle Menschen sehen könnten, welcher ihrer Freunde, Kollegen oder
Nachbarn Zygonen sind. Dadurch würden alle Zygonen plötzlich aus der
menschlichen Gesellschaft ausgestoßen und zu bekämpfenswerten Alliens und
müßten sich dementsprechend wehren -- et voilà: Der Krieg der bislang
angepaßten Zygonen gegen die Menschen wäre fertig! Das Terrorgrüppchen hätte
seine Ziele erreicht. In der Serie gibt es dann aber den berühmten Doktor
Who, der mit viel guten Worten und ein paar Tricks sowohl den Kommandanten
der Terrorgruppe als auch die Chefin der Antiterroreinheit -- die ebenfalls
schon den Finger am Knopf für den totalen Krieg hat -- davon abhalten kann,
irgendeinen Blödsinn zu machen.

In unserer Realität sind die Zygonen Muslime, Menschen aus dem arabischen
Raum oder auch nur deren Kinder. Und es gibt auch keine Technologie, deren
Anpassung aufzuheben. Aber das Prinzip ist dasselbe: Man zeige mit dem
Finger auf die Angepaßten, deklariere sie als potentielle Feinden und
bekommt Menschen, die -- wie dieses Wort jetzt umgeht -- "radikalisiert"
sind. Das Wort impliziert ja schon, daß man ihnen eh nie getraut hat, aber
sie sich bisher halt trotz ihrer eigentlich eh verwerflichen Ansichten nicht
so ungut verhalten hätten. Das Mißtrauen gegen Menschen, die nichts
verbrochen haben, wird weiter angestachelt. Wenn sich hier also was
radikalisiert, dann ist es dieses Mißtrauen der Mehrheitsgesellschaft, das
eben sehr wohl schon lange vorhanden ist. Dadurch könnte sich die Minderheit
noch mehr von der Umgebungsgesellschaft abkapseln, sich verfolgt fühlen --
und zwar zu Recht -- und in die Ecke getrieben irgendwann aggressiv
reagieren. Und die Umgebungsgesellschaft könnte sich dann bestätigt fühlen.
Und leider gibt es in der realen Welt keinen Doctor Who, der diese
Aggressionsspirale stoppen könnte. Kein Doctor Who hat soviel Einfluß auf
den IS und seine Hilfstruppen, denen klarzumachen, daß dies ein Krieg ist,
den sie auf lange Sicht nicht gewinnen können, sondern nur ein Selbstmord
mit Anlauf. Und kein Doctor Who hat in der rauen Wirklichkeit einen Einfluß
auf einen französischen Präsidenten, der mit ausgeprägtem Bush-Syndrom genau
das macht, was der IS will: Ausnahmezustand und Bombardements.

Nein, es wird kein Doctor Who kommen. Der müssen wir als die vielzitierte
Zivilgesellschaft wohl selbst mimen. Wie wäre es mit einem Hashtag
#JeSuisDoctorWho?
*Bernhard Redl*




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