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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 4. November 2015; 15:06
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Kommentierte Presseschau (II):

> Hochaktuelles Altpapier

Als Pensionist habe ich genug Zeit, in Stapeln ungelesener Zeitungen zu
schmökern, bevor ich sie endgültig zum Altpapier entsorge. Unlängst fällt
mir dabei DIE ZEIT vom 21.2.2013 in die Hände. Im FEUILLETON stoße ich auf
einen Artikel mit dem Titel "Und er triumphiert doch!" von Alexander
Cammann. Wer hier triumphiert, ahne ich schon bei der Lektüre des Vorspanns,
denn der verkündet: "Seit Jahren ist kaum etwas populärer als die Kritik am
Kapitalismus. Anmerkungen zu einem überreizten Diskurs."

"Überreizter Diskurs" klingt nach so hohem Unterhaltungswert, dass ich ganz
einfach weiterlesen muss. Und dabei erfahre ich dann, dass wir in den
letzten Jahren Zuseher eines historischen Siegeslaufs waren. "Denn es gehört
zu den faszinierenden historischen Schauspielen, wie erfolgreich das
kapitalistische Ordnungsmodell nach 2008 gerettet werden konnte. ... Selbst
in schwer gebeutelten Ländern wie Spanien und Griechenland mit brutaler
Arbeitslosigkeit wurde mitnichten die Systemfrage gestellt,
Protestbewegungen blieben marginal. Bequeme Arroganz mag darin rätselhafte
Apathie sehen. In Wahrheit spiegelt sich in der Ruhe womöglich ein tiefes
Vertrauen in die Lösungskompetenz des Systems ...".

Letztere zeigte sich für den Autor nicht nur in der Ökonomie sondern auch
auf militärischer Ebene. Denn hier gelang dem Kapitalismus ein grandioser
Sieg über Osama bin Laden, der mit dem Anschlag vom 11.9.2001 "noch einmal
die herrschende kapitalistische Moderne angegriffen (hatte). Das System
jagte ihn und brachte ihn zehn Jahre später zur Strecke. Nur noch zwei
Terroranschläge hatte Al-Kaida bis dahin zustande gebracht, in Madrid und
London, der geplante Weltbürgerkrieg fiel aus.

Beides, die Abwehr des Terrors und die Abwehr der Krise ergibt jenen
Doppeltriumph des Kapitalismus, dessen Zeugen wir gegenwärtig sind. Und es
ist daher überfällig, den wohl meistverspotteten Denker der Gegenwart zu
rehabilitieren. Francis Fukuyama hatte 1992 vom 'Ende der Geschichte'
gesprochen und damit gemeint, dass nach dem Untergang der Totalitarismen nur
mehr die liberale Demokratie weltweit als konkurrenzloses Ordnungsmodell
übrig geblieben sei. Zwanzig Jahre später bestätigt ihn unsere Epoche
eindrucksvoll. Populismus und Kommunismus haben nicht erneut ihr Haupt
gehoben. Selbst die Rede vom 'asiatischen Modell' - autoritärer Kapitalismus
ohne Demokratie - ist verstummt, seit der dramatische Systemwandel in China
zaghafte Freiheiten nach sich zieht. Und CEOs sind heilfroh, dass sie die
Demokratie haben, deren legitimierte Entscheidungen die Rechtssicherheit für
Geschäfte erst schaffen - und daher auch mal systemrelevante Unternehmen
retten können. Nirgendwo taucht mehr eine Alternative auf, das System ist
momentan - horribile dictu - tatsächlich alternativlos."

Die reale Geschichte hat nicht einmal drei Jahre gebraucht, um diese
voreilige Einschätzung in praktisch jedem Detail zu widerlegen. Der
Terrorismus-Hydra ist nach dem Niedergang von Al-Kaida mit dem IS sofort ein
neues Haupt nachgewachsen, die Populisten laufen europaweit von Wahlsieg zu
Wahlsieg, die CEOs fürchten sich inzwischen so sehr vor der Demokratie, dass
das Wort "Volksabstimmung" Panik bei ihnen auslöst, das Vertrauen in die
Lösungskompetenz des Systems ist "tief" nur im Sinne eines neuen
Tiefststands, und in Griechenland kam inzwischen tatsächlich vorübergehend
die Systemfrage auf die Tagesordnung.

Warum stimmt mich die Lektüre dieses Artikels seltsam heiter?

Weil ich schadenfroh bin? Ja sicher, aber nur ein bisserl. Und nur
klammheimlich.

Weil die Dinge eine positive Wendung zu nehmen scheinen? Nein, natürlich
nicht. Die Systemfrage wurde mittlerweile wieder vom Tisch gefegt und wer
mag sich schon freuen über militärische Siege des Islamischen Staats oder
über Wahlerfolge der Rechtspopulisten.

Der Artikel macht Mut aus einem ganz anderen Grund: Er zeigt in
unfreiwilliger Komik und daher besonders eindringlich, dass die Geschichte
nicht am Ende angelangt, sondern offen ist, weil jene sozio-ökonomischen und
politischen Gleichgewichte, auf die unsere Eliten ihre Herrschaft stützen,
so labil sind, dass sich immer wieder Ansatzpunkte für ein an Alternativen
orientiertes politisches Handeln auftun.
*Karl Czasny*



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