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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Oktober 2015; 19:26
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VERWORTET

> "selbsternannt"

Da waren sie wiedermal, die "Selbsternannten"! Diesmal im Mittagsjournal, diesmal
in der Ausformung als "selbsternannte Republiken" in der Ukraine. Man kann sicher
viel sagen über diese neuen staatsähnlichen Gebilde, die natürlich völkerrechtlich
nicht anerkannt sind und deren demokratisch-republikanische Struktur auch bezweifelt
werden darf. Aber "selbsternannt"? Das impliziert doch, daß es da eine höhere Macht
geben müsse, die ein Republikspatent vergeben habe. Sprich: Wenn heute schon eine
Herrschaft sich nicht mehr auf "Gottes Gnaden" berufen kann, so müße doch die
"internationale Gemeinschaft" - auch so ein sicher dieser Rubrik würdiger Begriff -
eine Republik quasi zur solcher ernennen. Ja, vielleicht ist das heute so, daß nur etwas
zur Republik werden kann, wenn die NATO dort einmarschiert ist und sich danach
im "nation building" betätigt. Aber im Allgemeinen ist doch eine Republik die Folge
einer Empörung gegen einen Fürsten. Und dann ernennt sich so eine Republik eben
selbst. Man stelle sich vor, jemand würde beispielsweise die Schweiz als "selbsternannte
Eidgenossenschaft" bezeichnen, weil die dort niemand um Erlaubnis gefragt haben. Und
Benjamin Franklin wäre nach den gleichen Kriterien wohl ein "selbsternannter
Revolutionär" gewesen.

Aber ganz allgemein ist dieses "selbsternannt" eine ungute Sitte in der Publizistik. Man
könnte den Verdacht haben, das geht noch auf Napoleon zurück, der sich bekanntermaßen
selbst gekrönt hatte - ein Bürgerlicher, der sich ohne den Segen irgendeiner Kirche und unter
den abschätzigen Blicken des europäischen Adels zum Kaiser machte. Dieses Bild schwingt
da wohl auch heute noch mit. Und ganz allgemein ist sehr vieles dann "selbsternannt", wenn
man eine Funktion, ein Amt oder gar eine Überzeugung als nicht ganz koscher oder
unberechtigt bezeichnen will. Dann wird nach der Autorität geschrien, die dies zu beurteilen
habe, oder gar selbst zur Autorität aufgeschwungen, die mit diesem "selbsternannt"
ausdrücken möchte, daß dieser jeweilige Anspruch gar nicht bestehe. Meine absolute
Lieblingsverwendung dieses Wortes ist aber die Attributisierung "selbsternannter Anarchist".
Denn Anarchisten bedürfen ganz besonders der Autorisierung als solche. Und wer nicht
schwarz auf weiß von der Kronenzeitung attestiert bekommen hat, ein echter Anarchist
zu sein, der kann wohl diesen Anspruch nicht schlüssig belegen. Und bleibt ewig nur ein
"selbsternannter".
*Bernhard Redl*

In der Rubrik VERWORTET stellt die akin jede Woche ein Wort oder eine Phrase
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