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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. Oktober 2015; 05:49
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International/Asyl/Kommentar:

> Merkels kurzer Sommer der Menschlichkeit

Was ist da eigenlich passiert in den letzten Monaten? Zeitweilig gab es ja
in den Flüchtlingsfrage fast stündlich eine Änderung der Politiken der
EU-Staaten, speziell in Deutschland, Österreich und Ungarn. Die deutsche
Theoriegruppe "Jimmy Boyle" (eine der "Gruppen gegen Kapital und Nation")
hat uns folgenden Text geschickt, der versucht, die Geschehnisse und
Hintergründe vor allem aus deutscher Sicht zu analysieren.
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Am 04.09.2015 öffnet Deutschland nicht nur die Grenzen für Flüchtlinge,
sondern organisiert sogar zeitweilig mit Sonderzügen unkompliziert die Reise
von Ungarn nach Deutschland. In der internationalen Presse bekommt Merkel
recht ungewöhnliche Namen wie "mildtätige Mutter Angela" und es wird von
einem "Flüchtlingssommermärchen der Kanzlerin" gesprochen. Dafür muss sie
sich in der CSU und Teilen der CDU verteidigen. DER SPIEGEL interpretiert
den Willen der Kanzlerin so: "Die Deutschen sollen nicht ihren Interessen
folgen, sondern ihrem Herzen (..)" und attestiert Merkel ansonsten
weitestgehend einen Realitätsverlust. Auch in der Linken gibt die Aktion
einiges an Rätselraten auf.

Die Verwunderung beruht natürlich darauf, dass Deutschland in den letzten
Jahrzehnten viel dafür getan hat, dass erstens Flüchtlinge Deutschland gar
nicht erst erreichen können und zweitens die Flüchtlinge hier so schlecht
behandelt werden, dass sich das bei zukünftigen Flüchtlingen abschreckend
rumspricht. Es hat 1992/93 sein "Flüchtlingsproblem" so gelöst, dass es nach
Art. 16a GG fast alle Flüchtlinge auf die Nachbarstaaten abgeschoben hat,
weil außer über die Nordsee oder per Flugzeug es fast unmöglich war, nicht
über einen "sicheren Drittstaat" in die BRD zu kommen. Innerhalb der EU hat
sich Deutschland für das Dublin-System eingesetzt und auch durchgesetzt.

Diese Politik der Abschottung und Abschreckung hat System: Flüchtlinge
gelten für kapitalistische Nationalstaaten nicht als neue willkommene
Mitglieder der gesellschaftlichen Kooperation, sondern als Abtrag für die
konkurrierende Klassengesellschaft. Wo der politische Zweck, die Förderung
einer Wirtschaftsweise ist, in der Unternehmen gegeneinander antreten zum
Zwecke der Geldvermehrung, gelten alle, die dafür nicht gebraucht werden als
Last. Als ökonomische Last gelten in solchen Gesellschaften auch andere
Figuren, etwa Langzeitarbeitslose oder Arbeiter, die für zu hohe Löhne
streiken. Flüchtlinge haben hier für die Politik den zusätzlichen Makel,
dass ihnen als Ausländer die Fähigkeit zur unbedingten Loyalität zu
Deutschland abgesprochen wird, also der richtige Nationalismus. Die Politik
will eine Bevölkerung, die berechnend ihr Glück schmieden will, also in der
Konkurrenz ihr Glück sucht. Zugleich will sie, dass alle im Zweifelsfall die
Berechnung sein lassen und sich bedingungslos hinter Deutschland stellen.
Die Regierung mag man Scheiße finden und dauernd über einzelne Gesetze
meckern, aber das "wir" eine Gemeinschaft bilden würden und ohne diese
Gemeinschaft nichts ginge und daher auch Opfer fällig seien, das soll eine
Bevölkerung schon drauf haben: my country, right or wrong. Flüchtlinge haben
hier den doppelten Makel: Erstens stehen sie unter Verdacht genau diesen
Nationalismus drauf zu haben, aber für ein anderes Land. Zweitens haben sie
ihr Land verlassen anstatt es wie die deutschen Trümmerfrauen selbstlos
wieder aufzubauen. Da schlägt ihnen die Frage entgegen, ob sie eigentlich
überhaupt jemals so selbstlos werden können, wie Deutschland es verlangt.
Das ist der eklige Gehalt von "Integration". Diesen prinzipiellen Zweifel
gegenüber Ausländern und damit eben auch Flüchtlingen gibt es in
Nationalstaaten ständig. Besonders angeheizt wird der Zweifel in Zeiten, in
denen Deutschland aktiv in Kriegen gegen politisch aktive Islamisten
mitmischt (Afghanistan, Irak, Mali, Somalia) und dafür eine sichere
Heimatfront will.


Das Asylrecht - kein Altruismus, sondern der Anspruch in der Welt
mitzumischen

Flüchtlinge sind für die kapitalistische Nation Deutschland eine ökonomische
und eine politische Last. Entsprechend brutal geht Deutschland in aller
Regel mit den Prinzipien Abschottung und Abschreckung gegen sie vor. Nur vor
diesem Hintergrund kann man sich über die Aktion von Merkel überhaupt
wundern. Anstatt ihr aber Barmherzigkeit und Selbstlosigkeit zu
bescheinigen, ist daran zu erinnern, dass das Asylrecht einen politischen
Zweck hat, der nicht minder brutal ist.

Das Asylrecht sortiert Flüchtlinge erstmal grundsätzlich. Wirtschaftliche
Not ist demnach kein legitimer Grund nach Deutschland zu kommen. Politische
Verfolgung muss der Flüchtling glaubhaft nachweisen. Jetzt ist es aber so,
dass es keinen Staat in der Welt gibt, der nicht irgendwen aus seiner
Bevölkerung politisch verfolgt, da muss man nicht nur an die RAF oder an die
Berufsverbote in Deutschland denken. Jeder Staat kennt Verfassungsfeinde und
hält sie mit unterschiedlich harten Mitteln in Schach. Wenn ein Staat nun
Flüchtlingen politisches Asyl gewährt, dann ist das erstens ein praktisch
gemachter Vorwurf an die anderen Staaten: Ihr seid keine Herrschaft, die dem
Menschen gemäß ist. Übersetzt heißt das: "Ich, Deutschland, kritisiere deine
Art zu herrschen." Asylgründe sind mit der Zeit erweitert worden. Nicht nur
der Staat kann politisch verfolgen, sondern auch Gruppierungen aus der
Bevölkerung heraus. Wird dieser Fluchtgrund anerkannt, dann ist das auch
eine Kritik am anderen Staat: "Ich, Deutschland, kritisiere deine
Unfähigkeit oder den mangelnden Willen, eine Verfolgung aus der Bevölkerung
heraus zu unterbinden." Mit dieser Kritik ist zugleich ein Anspruch in die
Welt gesetzt: Der Asyl gebende Staat gibt sich das Recht in fremde
Staatsgewalten reinzureden und sich da diplomatisch bis militärisch
einzumischen. Das nennen die Politiker dann "Verantwortung".

Das Asylrecht ist als unhintergehbares Individualrecht formuliert. Damit
stellt sich Deutschland in die Position überall in der Welt als ein Hüter
und Mithelfer für eine "gerechte" und "gute" Herrschaft zuständig zu sein,
quasi als Selbstverantwortung vor der ganzen Menschheit. An den Gruppen, die
das Asylrecht dann auch tatsächlich bekommen, kann man aber in aller Regel
das aktuelle Feindschaftsverhältnis (in Deutschland: Eritrea, Syrien) des
asylgebenden Staates zum anderen Staat ablesen; oder aber die
Unzufriedenheit mit den dortigen politischen Zuständen (Afghanistan). Denn
ob z.B. afghanische Islamisten Freiheitskämpfer sind, wenn sie gegen eine
sowjetfreundliche afghanische Regierung kämpfen (bis 1989) oder aber dann
als Terroristen gelten, weil sie sich nicht dem Westen unterordnen wollen,
hat nichts damit zu tun, ob sie dafür politisch verfolgt werden. Sondern
damit, was der Westen mit dem Landstrich vor hat.


Deutschlands politischer Wille: Asyl soll es geben, die Lasten dagegen nicht

Das Asylrecht ist also ein Machtinstrument und auf das will Deutschland
nicht verzichten. Der deutsche Staat sieht zugleich in Flüchtlingen eine
ökonomische und politische Last. Diesen Widerspruch hat Deutschland mit dem
europäischen Dublin-System eine lange Zeit relativ erfolgreich für sich
gelöst. Asyl gibt es, die Kosten und der Aufenthalt der Flüchtlinge wurde
von den Grenzstaaten getragen. So sollte die gemeinsame europäische
Asylpolitik funktionieren.

Diese Rechnung klappt für Deutschland seit einiger Zeit nicht mehr. Seit
2011 werden Menschen, die in Griechenland zum ersten mal registriert wurden
und dennoch nach Deutschland gekommen sind, nicht mehr nach Griechenland
abgeschoben. Auf Grundlage von Gerichtsurteilen wurde beschlossen, dass in
Griechenland systematisch kein geregeltes und willkürfreies Asylverfahren
mehr gesichert ist (einfaches Abweisen an den Grenzen - sogenannte "push
backs", Misshandlungen durch Polizeikräfte, besonders miserable
Aufenthaltsbedingungen in Lagern, ewig verzögerte Verfahren). Hier hat sich
die deutsche Regierung auf den Standpunkt gestellt, Asyl soll es geben,
daher wird nicht nach Griechenland zurückgeführt.

Überwiegend wurden Flüchtlinge aber schon gar nicht mehr in Griechenland
registriert und Deutschland und Österreich haben sich alle Mühe gegeben,
dann eben Ungarn als Erstankunftsland zu behandeln, um die Flüchtlinge
dorthin abzuschieben. Wenn Ungarn nicht nachweisen kann, ob die Flüchtlinge
nun aus Griechenland oder Bulgarien eingereist sind, so der Standpunkt, dann
ist eben Ungarn zuständig für die Abwicklung des Asylverfahrens. Es war
lange bekannt, wie besonders brutal Ungarn mit Flüchtlingen umgeht, aber
lange Zeit haben sich die Gerichte auf den Standpunkt gestellt, dass es
keine systematischen Mängel gäbe. Ab Juli 2015 gab es aber eine sich
verstärkende Wechselwirkung. Ungarn wehrte sich gegen Rückführungen aus
Deutschland und Österreich und diese Länder übten Druck auf Ungarn aus,
seinen Verpflichtungen nachzukommen. Dabei wurde die Behandlung von
Flüchtlingen in Ungarn seitens der anderen Staaten stärker kritisiert.
Gerichte stützen sich bei ihren Urteilen, ob in einem anderen Land
systematische Verletzungen des Asylrechts stattfinden oder nicht, auf die
Lageeinschätzungen der Politik und ihrer diplomatischen Institutionen. So
ist es vermutlich zu erklären, dass ausgerechnet ab Juli 2015 einige
Gerichte die Rückführung von Asylbewerbern nach Ungarn wegen gravierender
Mängel im Asylverfahren untersagt haben. Das wiederum beflügelte den Zorn
der deutschen und österreichischen Politik auf Ungarn und stärkte die Kritik
an dem dortigen Umgang mit Flüchtlingen. Zudem hat die Kritik an Ungarns
Umgang mit Flüchtlingen auch noch eine Seite, die gar nicht direkt etwas mit
dem europäischen Asylsystem zu tun hat. Mit dieser Kritik drückt Deutschland
seine generelle Unzufriedenheit mit der ungarischen Euro-Krisenpolitik und
dem mangelnden Unterordnungswillen innerhalb der EU aus.


Apropos Ungarn

In Ungarn ist seit einiger Zeit eine Regierung an der Macht, die aus der
Finanzkrise ganz andere eklige Schlüsse gezogen hat als Deutschland es sich
mit seinem ekligen Programm für die EU wünscht. Wenn die überwiegend
ausländischen Kapitale in der Krise massenhaft Leute entlassen, dann rollt
man ihnen in Ungarn keinen roten Teppich aus mit Lohnkürzungen usw., sondern
besteuert sie und sorgt für eine Renationalisierung von bestimmten
Wirtschaftsbereichen. Wenn das Kapital die Leute nicht benutzen will, dann
muss der Staat nach Ansicht der ungarischen Regierung Arbeitsprogramme
aufziehen und die Bevölkerung so zur Nützlichkeit für die Nation zwingen.
Außerdem sieht die Regierung den Nutzen der EU im Rückblick generell als
recht gering an, interpretiert die Lage Ungarns in der Krise als durch das
Ausland verschuldet und legt sich mit allerlei EU-Gesetzen und den
Führungsmächten innerhalb der EU an. Ungarn hat ein Recht auf Erfolg, so der
nationalistische Standpunkt ("Recht auf Erfolg" ist übrigens auch der
Standpunkt der deutschen Politik, nur eben in Bezug auf Deutschland). Der
ungarische Misserfolg wird der EU und der Anwesenheit von vermeintlichen
"nicht echten ungarischen Bevölkerungsanteilen" angelastet. Entsprechend
hart geht Ungarn gegen Flüchtlinge vor und radikalisiert das System der
Abschreckung, das Deutschland ansonsten auch gut beherrscht.

Doppelt reagiert Ungarn auf die Versuche von Deutschland und Österreich, das
Land als Erstankunftsland zu behandeln und Flüchtlinge dorthin abzuschieben.
Erstens baut es einen Grenzzaun nach Serbien auf und versucht, dass erstmal
so wenig wie möglich Flüchtlinge nach Ungarn hinein kommen. Im Gegensatz zu
Spanien erntet Ungarn dafür Kritik. Deutschland hält riesige Grenzanlagen am
Rand der EU für sehr sinnvoll, mitten in Europa einen Zaun hochzuziehen, der
sich gegen einen EU-Beitrittskandidaten (Serbien) richtet, dagegen nicht.
Das sei dann keine sinnvolle Abschottung. Ungarn ist wiederum auch
realistisch und weiß, dass die Abschottung relativ zur Not und Masse der
Flüchtlinge nicht vollkommen klappen kann. Daher ergänzt Ungarn seine
Ausländer-raus-Politik mit der Praxis, wie sie in Griechenland und Bulgarien
stattfindet: Flüchtlinge, die es dennoch nach Ungarn schaffen, werden nicht
registriert. Ungarn ist sich ziemlich sicher, dass kein Illegaler in Ungarn
bleiben will und toleriert eine Transportkultur (sogenannte Schlepper), die
den Weg für Flüchtlinge nach Österreich und Deutschland eröffnen.


Der Sommer der Menschlichkeit als Resultat der Flüchtlingsabwehr

Am 25.08.2015 wird eine interne - rechtlich nicht bindende - Leitlinie des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bekannt, nach der syrische
Bürgerkriegsflüchtlinge erstmal prinzipiell nicht mehr zurückgeführt werden
sollten. Das BAMF hat mit dieser Entscheidung zunächst nur die faktische
Lage entbürokratisiert. Die Flüchtlinge kommen eh und wenn sie da sind, dann
ist es aufgrund der gerichtlichen Entscheidungen in Deutschland nicht mehr
so einfach, Syrer nach Ungarn abzuschieben. Das soll natürlich kein
dauerhafter Zustand werden, sondern eine Ausnahme sein, bis die Politik mit
Druck auf Ungarn oder anderweitig wieder für andere Maßnahmen Platz schafft.
Auf den Erstickungstod von 72 Flüchtlingen am 27.08.2015 in einem LKW, der
südlich von Wien abgestellt war, reagiert Österreich mit der verschärften
Fahndung nach sogenannten Schleppern. In der Regel produziert genau eine
solche Repression oft mehr Tote, weil manche illegalisierten
Transportunternehmer im Zweifelsfall auf ihre eigene Haut gucken, als auf
die Haut der Flüchtlinge. In dieser Zeit bringt die Repression den Transport
von Flüchtlingen von Ungarn in den Westen aber zum Erliegen und so kommt es
zu den Ansammlungen an den Bahnhöfen in Ungarn, die in Bildern um die Welt
gingen.

Ungarn wird dabei von Österreich und von Deutschland einerseits für ein zu
hartes Vorgehen gegenüber Flüchtlingen kritisiert. Zugleich wird Ungarn
andererseits darauf verpflichtet, die Flüchtlinge bei sich zu behalten.

Ungarn reagiert mit Härte gegenüber den Flüchtlingen und revanchiert sich
für die Kritik damit, Flüchtlinge auch weiterziehen zu lassen. In dieser
Situation machen sich tausende Flüchtlinge zu Fuß auf der Autobahn auf den
Weg gen Westen und die Bilder gehen erneut um die Welt. Und in dieser
Situation einigen sich Ungarn, Österreich und Deutschland für den Zeitraum
von 04.09. bis 13.09.2015 darauf, dass die Flüchtlinge relativ ungehindert
mit Zügen nach Wien und vor allem nach Deutschland reisen können.


Die Rückkehr zu "geordneten Bahnen"

Was ist also passiert? Drei Staaten haben entgegengesetzte Interessen in
Sachen Asylpolitik: Ungarn will absolut keine Flüchtlinge bei sich.
Deutschland und Österreich halten das Asylrecht für ein unverzichtbares
Machtinstrument, wollen die Kosten und die Flüchtlinge aber möglichst
anderen Staaten aufdrücken. Auf dieser Grundlage (eingedenk der Situation in
Griechenland) funktioniert für alle drei Staaten das Dublin-System nicht
mehr und sie tragen ihre gegensätzlichen Interessen an den Flüchtlingen aus.
Unter dieser Situation leiden erstmal die Flüchtlinge zusätzlich, wenn sie
nicht wissen, ob sie weiter können oder nicht und von der jeweiligen
nationalen Polizei je nach tagespolitischer Streitkonjunktur mal so oder so
traktiert werden. Und mit der Verzweiflung machen sie Migrations-Aktionen,
die alle drei Staaten nicht bestellt haben (z.B. Zäune einreißen, Marsch auf
der Autobahn, Notbremse im Zug ziehen und abhauen).

Merkel hat immer wieder unterstrichen, dass es sich um eine
Ausnahmesituation handelte. Der Innenminister sieht das ganze pragmatisch:
"Hätten wir anders gehandelt, wären genauso viele Flüchtlinge gekommen - nur
später." (Spiegel 39/2015, S. 28) Die kurzeitig "offenen Grenzen" haben für
Deutschland den Bonus, dass sie über die brennenden Flüchtlingsheime in
Deutschland, die zuvor in der westlichen Presse Thema waren, hinwegsehen
lassen und ein anderes Bild präsentieren.

Deutschland geht in Sachen Aufnahme von syrischen Flüchtlingen in
Vorleistung, um nun die EU auf ein neues Flüchtlingsregime mit Quotensystem
für die Durchführung von Asylverfahren zu verpflichten. In "Hot Spots", also
von der EU finanzierte große Auffanglager in Griechenland oder Italien (mit
der Türkei wird ähnliches geplant) sollen die Flüchtlinge zentral
registriert, vorsortiert und dann auf die EU-Länder verteilt werden, wo dann
der Asylantrag geprüft wird. Gegen ein solches System hat sich Merkels
Deutschland bei den Verhandlungen zu Dublin III im Jahr 2013 noch
erfolgreich gewehrt. Damals war die Einschätzung, dass die Grenzländer die
Flüchtlinge schon überwiegend von Deutschland abhalten werden. Heute wird
realistisch Bilanz gezogen: Die Rechnung geht nicht auf. So oder so kommen
die Flüchtlinge nach Deutschland und mit einem Quotensystem inklusive Hot
Spots kommen dann weniger Flüchtlinge in Deutschland an als mit einem nicht
funktionierenden Dublin-System.

Die Quote wollen die osteuropäischen Staaten partout nicht und damit ist die
Machtfrage in Europa gestellt. Das hat sich in Bezug auf Ungarn schon länger
angekündigt, ist jetzt aber noch dringlicher geworden. Deutschland will in
Sachen Flüchtlingspolitik zeigen, wer hier die Spielregeln setzt. An dem
Dublin-System hängt das Schengen-System, also die Freizügigkeit innerhalb
der EU. Denn nur wenn nach außen hin alles kontrolliert ist und für nicht
gewollte Ausländer dicht ist, gewähren die EU-Staaten nach innen hin die
Freizügigkeit. An der Freizügigkeit wiederum hängt dann auch ein Stück der
Binnenmarkt. Das macht Deutschland den anderen Ländern nochmal klar, wenn es
am 13.09.2015 wieder Grenzkontrollen nach Österreich einführt,
Zugverbindungen deswegen nicht mehr gehen und kilometerweise Stau an den
Grenzen hängt. Da geht es dann nicht um die Urlauber, sondern um den
Transport, die Sicherheit der Lieferungen und die Geschwindigkeit des
Verkaufs über die Grenzen hinaus. Außerdem wird mal wieder daran erinnert,
wer hier die meisten Beiträge zahlt und wer auf finanzielle Unterstützungen
durch die EU angewiesen ist.

Einigkeit besteht in der EU auch darin, dass man sogenannte Schlepper
bekämpfen muss. Einigkeit besteht auch, dass man die Fluchtursachen
bekämpfen muss, in Sachen Syrien besteht allerdings Uneinigkeit, was das
heißt. Ziemlich einig allerdings sind sich die EU-Staaten bei der Definition
der Balkan-Länder: Da sind die Menschen zwar überwiegend absolut
wirtschaftlich am Arsch, aber das ist ja kein Problem für die deutsche
Politik und die EU. In Sachen Fluchtgründe werden sie als sichere
Herkunftsländer eingestuft. Deutschland sortiert die Flüchtlinge neu durch.
Unkomplizierter soll es für Syrer werden, für andere soll es verkürzte
Verfahren und neue Abschreckungsmaßnahmen geben.
(gekürzt)


Link: https://gegen-kapital-und-nation.org



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