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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Freitag, 2. Oktober 2015; 17:11
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Nachruf:
> Schani Margulies
> 1939-2015
Ein sehr politischer und sehr persönlicher Nachruf von *Herbert Sburny*
Ich bin Schani Margulies vor genau 61 Jahren, im Herbst 1954, zum ersten Mal 
begegnet. Da habe ich in der Firma Brown Boveri in Favoriten meine Lehre 
begonnen. Schani, ein Jahr älter, hatte dort sein erstes Lehrjahr als 
Elektriker hinter sich und war schon der Leiter der Betriebsgruppe der 
Freien Österreichischen Jugend. Wir waren beide Söhne kommunistischer Eltern 
und die Sowjetunion war damals für uns so was wie ein Heimatland gewesen. 
Unsere Eltern haben gegen den Austrofaschismus gekämpft und den 2. Weltkrieg 
im Widerstand gegen das verbrecherische Naziregime überlebt. Ihr 
angestrebtes Ziel war ein sozialistisches Österreich. Wenn auch die ersten 
freien Wahlen 1945 in Österreich für die KPÖ und unsere Eltern eine große 
Enttäuschung waren, hielten sie an ihrem Ziel fest. Schanis und meine Eltern 
haben sich nicht gekannt, aber ich weiß, dass sie, wie die meisten 
Kommunisten damals, der Meinung waren, dass wir, ihre Kinder, den 
Sozialismus im eigenen Land erleben werden. Das haben sie uns vermittelt und 
dass wir etwas dafür tun müssen.
Und das haben wir getan. Schani immer ein bisschen ernsthafter, konsequenter 
und auch lernbereiter als ich. Aus einer Akademikerfamilie stammend, war 
Schani der Weg zum Studium vorgezeichnet, aber er wollte der Arbeiterschaft 
näher sein und hat sich nach der Unterstufe für eine Elektrolehre 
entschieden. Doch es reichte ihm nicht. Fast gleichzeitig mit dem 
Lehrabschluss maturierte er extern und begann später auch ein Studium. Aber 
die Politik war und blieb seine große Leidenschaft. Nach einigen Umwegen in 
der Privatwirtschaft landete er noch vor seinem 30. Lebensjahr als 
Funktionär bei der KPÖ und schaffte es bis zum Mitglied des Zentralkomitees. 
Allerdings hatte er damals schon, wie die meisten von uns, die Illusionen 
über den Sieg des Sozialismus in Österreich, die führende Rolle der KPÖ und 
vor allen über die Unfehlbarkeit der sowjetischen Führung verloren. Die 
schweren Verbrechen während der Stalinzeit in der SU, die brutale 
Niederschlagung von oppositionellen Arbeiter- und Demokratiebewegungen in 
der DDR, Ungarn, Polen und neue theoretische und strategische Überlegungen 
in den Kommunisten-Parteien des Westens haben bei uns jungen Kommunisten 
auch in Österreich große Diskussionen ausgelöst.
Schani war uns oft im Denken voraus und für manche von uns so eine Art 
Lehrmeister. Er vermittelte uns auch die theoretischen Schriften 
italienischer und französischer kritischer Marxisten und vor allem die der 
österreichischen Genossen Ernst Fischer und Franz Marek. Diese und auch die 
Jungen mit Schani an der Spitze erreichten in der KPÖ eine beachtliche 
Demokratisierung und Öffnung zu anderen linken Strömungen im Land. Es war 
die Zeit der Ostermärsche und der Solidaritätsbewegungen mit Vietnam und 
anderen sich erhebenden Völkern im sogenannten Trikont. Kritik, im 
solidarischen Sinne, an der aktuellen Politik der sowjetischen Führung war 
in der KPÖ üblich. Die alten Stalinisten in der KPÖ, die es noch gab, auch 
in der Führung, waren verstummt, nur manchmal war ein leises Murren über die 
neue Politik zu hören. Manche von uns glaubten schon, es gäbe sie nicht mehr 
oder wir hätten sie überzeugt. Schani war weitsichtig. Ich erinnere mich, er 
hat uns oft gewarnt. Sie nennen uns Reformer und das ist für sie ein 
Schimpfwort, wir müssen wachsam sein.
Und dann kam der 21. August 1968, der Schanis Leben und das vieler anderer 
von uns nachhaltig veränderte. Die sowjetischen Panzer walzten den von der 
Kommunistischen Partei der CSSR eingeleiteten Demokratisierungsprozess, den 
Prager Frühling, nieder. Jetzt war es für Schani klar, jetzt muss sich jeder 
Linke, jeder Revolutionär entscheiden - ist er für Sozialismus oder für die 
Sowjetpanzer? Und Schani entschied sich und er hatte einen Riesenanteil 
daran, dass sich die meisten jungen österreichischen Kommunisten auch so wie 
er gegen die Panzer entschieden.
Die Altstalinisten in der KPÖ waren noch immer verstummt. Noch im Spätsommer 
und Herbst 1968 wurden in allen Gremien der KPÖ Resolutionen und 
Protestaktionen gegen die Sowjetische Invasion in der CSSR mit großer 
Mehrheit beschlossen. Aber die Sowjetgetreuen waren nur verstummt, nicht 
untätig. Mit enormem Propagandamaterial aus der DDR, jeder Menge Geld, viel 
Verleumdung, Lügen und hemmungslosen Versprechen drehten sie im Lauf des 
Jahres 1969 die Mehrheitsverhältnisse in der KPÖ. Fast das halbe 
Zentralkomitee, alle Reformer, viele Gewerkschaftler und die meisten Jungen, 
allen voran Schani, wurden aus der Partei ausgeschlossen oder gingen vorher 
von selbst. Die KPÖ wurde zu einer bedeutungslosen, vom Ostblock abhängigen 
und finanzierten Kleinstpartei.
Für Schani, für mich und die anderen Angestellten der FÖJ und etliche ältere 
Genossen bedeutete das auch den Verlust des Arbeitsplatzes. Wir mussten uns 
Arbeit suchen und gleichzeitig galt es noch vorhandene politische Strukturen 
zu erhalten bzw. auszubauen. Dabei war Schani unermüdlicher Vorkämpfer und 
Mutmacher. Sein Optimismus, seine Leidenschaft und seine 
Organisationserfahrung waren dafür verantwortlich, dass wir als FÖJ eine 
Infrastruktur mit Lokalen in Wien und dem Badegrundstück am Neufeldersee 
erhalten konnten. Schani wurde der erste Vorsitzende der FÖJ - Bewegung für 
Sozialismus - diese Beifügung haben wir uns gegeben, um unser 
"Erwachsenwerden" zu betonen. Vieles hat sich verändert, aber die AKIN und 
der Strand am See sind auch heute, nach 56 Jahren, goutierte Elemente einer 
linken Szene. Rückblickend muss ich erkennen, dass uns Schani sehr oft im 
Denken einen Schritt voraus war. Er war es, der sich für die enge 
Kooperation von linker Gewerkschaftsbewegung (GE, später AUGE), den 
marxistischen Theoretikern vom TAGEBUCH und uns, den doch noch jungen, 
linken Aktivisten einsetzte. Ich glaube, Schani gehörte auch zu denen, die 
sehr früh unseren eher blinden Technikglauben und die Vorteile des 
Atomstroms in Frage stellte und uns damit für "grüne" Themen 
sensibilisierte.
Die 1970er, 1980er und 1990er Jahre waren spannende Zeiten. Wir haben als 
offensiv links in Wien zum Nationalrat kandidiert und mussten unsere 
diesbezügliche Schwäche zur Kenntnis nehmen. Wir mischten irgendwie mit bei 
der Friedensbewegung, der Solidarität mit Vietnam und mit den 
Befreiungskämpfen in Afrika und Lateinamerika, am Rande der Frauenbewegung, 
im Antifaschismus, erlebten die Umwälzungen in den Beziehungen der 
Geschlechter, gewerkschaftliche Kämpfe, Hausbesetzungen, Alternativbewegung, 
Autonomiebewegung und letztlich die erste Grüne Kandidatur zum Nationalrat. 
Und immer war Schani dabei und meist ganz vorne, aber immer überlegt, 
nachdenklich, diskussionsbereit, kritisch und selbstkritisch. Wenn sich wer 
nicht auskannte, hieß es oft: Frag den Schani.
Trotz aller Veränderungen und manchen Irrungen, Schani wusste, dass der 
Kampf um soziale Rechte nach wie vor ein Klassenkampf ist - auch wenn das 
Wort heute bei manchen verpönt ist. Diese Überzeugung hat ihn folgerichtig 
zur Gewerkschaftsarbeit gebracht, er wurde ÖGB-Sekretär und war von 1981 an 
zehn Jahre als Vertreter der GE im ÖGB-Vorstand. Sein ständiger Einsatz für 
echte Demokratie und sein frühes Erkennen der Bedeutung der Ökologie führten 
zu seiner bedeutenden Mitwirkung am Entstehen der Grünen Partei. Als die 
Grüne Alternative mit Freda Meissner-Blau an der Spitze 1986 ins Parlament 
einzog, gab es die Grüne Partei noch gar nicht, musste erst aufgebaut 
werden. Besonders wichtig war das für Wien, wo im Jahr darauf Landtags- und 
Bezirksvertretungswahlen anstanden. Schani war beruflich an den ÖGB 
gebunden, mir fiel die Aufgabe zu, bezahlt und ganztägig mit einer zweiten 
Angestellten und vielen Ehrenamtlichen eine Wiener Grüne Landesorganisation 
aufzubauen. Schani war von Anfang an mit großer Begeisterung und 
Überzeugungskraft dabei. Ohne ihn hätten wir es bei weitem nicht so gut 
geschafft. Es war allerdings eine Enttäuschung, dass wir dann zwar in allen 
23 Bezirken mit insgesamt über 50 Mandaten in allen Bezirksvertretungen, 
aber nicht im Wiener Gemeinderat saßen. Zum Einzug in das Rathaus fehlte uns 
ein halbes Prozent der Stimmen. Und wieder waren es Schani und seine 
legendären Analysen, die den nötigen Optimismus zum Weiterkämpfen 
verbreiteten.
1991, vier Jahre später, war es soweit, wir hatten uns auf 9,1% verdoppelt 
und zogen mit 7 Mandaten in Gemeinderat und Landtag ein. Konsequent wie 
Schani war, legte er mit dem Einzug in den Gemeinderat seine ÖGB-Funktionen 
zurück. Er hat immer die Auffassung vertreten, dass eine Funktion in der 
überparteilichen Gewerkschaft und ein Mandat einer politischen Partei 
unvereinbar sind und zwei Gehälter sowieso. Die nächsten fünf Jahre war 
Schani im Grünen Rathausklub das linke soziale Gewissen der Partei und das 
war gut so. Und notwendig. Gut auch, dass er im Klub NachfolgerInnen hat.
Schani hat uns immer wieder daran erinnert, dass der Niedergang der 
staatlichen kommunistischen Systeme und das Scheitern kommunistischer 
Parteien nicht bedeutet, dass der Kapitalismus das bessere System ist, nicht 
bedeutet, dass er sozial, demokratisch, friedlich, umweltschonend und 
menschlicher geworden ist. Im Gegenteil, nach dem Zusammenbruch des 
Ostblocks ist er noch gieriger, gefährlicher, menschenverachtender und 
hemmungsloser geworden. Die letzten beiden Jahrzehnte haben dies deutlich 
gezeigt. Nur durch den ständigen Kampf um soziale Gerechtigkeit, um Erhalt, 
wenn schon nicht Ausbau der demokratischen Rechte, gegen Ausbeutung, 
Umweltzerstörung, Rassismus und Kriege ist das Leben im Kapitalismus 
einigermaßen erträglich für die Mehrheit der Menschen. Und das auch nur in 
den hochentwickelten Ländern der Weißen Welt.
Auch wenn der Name Sozialismus in Misskredit gekommen ist, braucht die Welt 
eine Alternative zum Kapitalismus. Schani hat das gewusst und bis zu seinem 
letzten Atemzug bei jeder Gelegenheit gesagt und genauso leidenschaftlich 
wie klug und verständlich argumentiert. Das ist und bleibt das große 
Verdienst des Jean Schani Margulies.
Schani war nicht nur Politiker und Kämpfer, er war auch ein Familienmensch. 
Meine Gedanken sind jetzt bei seiner wundervollen Frau und Gefährtin Uschi 
und seinen prächtigen Söhnen Peter und Martin. Mit ihnen teilen wir unsere 
unendliche Trauer.
Und Schani, mein Freund und Genosse, ich kann es nicht anders sagen: Der 
Kampf geht weiter, auch wenn er ohne dich schwerer sein wird.
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