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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 2. September 2015; 02:48
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Asyl:
> Der schlanke Staat taumelt
Die Hauptverantwortung für das Asylchaos trägt die ÖVP. Dabei handelt es
sich gar nicht um reine Inkompetenz. Es geht um den Rückzug des Staates aus
öffentlichen Aufgaben.
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Für Gesetzgebung und Vollzug in Sachen Asyl ist laut Verfassung der Bund
zuständig [1]. Konkret fallen die Agenden dem Innenressort als Organ der
obersten Bundesverwaltung zu. In Person von ÖVP-Innenministerin Johanna
Mikl-Leitner.
Die Schwarzen haben das Innenministerium im Jahr 2000 übernommen. Mit
Feuereifer machten sie sich an den Umbau des Ressorts. Nicht nur Polizei und
innere Organisation des BMI wurden auf den Kopf gestellt; auch das Asyl-und
Fremdenrecht wurde fleissig reformiert. Mit durchschnittlich einer
Gesetzesänderung pro Jahr. Allerdings: Nach 15 Jahren Reformeifer ist die
Behörde heute 80.000 Flüchtlingen logistisch nicht mehr gewachsen. Im
Gegensatz zu den 90ern. Wie kommt das?
Das BMI verweist gerne auf die Bundesländer. Tatsächlich haben sich diese in
der Grundversorgungsvereinbarung zur Unterbringung der Flüchtlinge
verpflichtet. Doch in dem Vertragswerk wurde auch geregelt, wem die
Meta-Kompetenz zur Vorsorge gegen Engpässe obliegt. Dem Bund. Gibt es in den
Ländern nicht genug Quartiere, ist wieder das BMI am Zug [2]. Schliesslich
sollen AsylwerberInnen im Verfahren greifbar sein. [3] [4]
Die ÖVP führt das BMI, stellt sechs von neun Landeshauptleuten (zwei der
säumigen Länder sind rot regiert, Kärnten und Burgenland) und fast drei von
vier BürgermeisterInnen (von denen viele tolle Arbeit leisten, auch gegen
das BMI). Mit dieser Infrastruktur können die Schwarzen politische Projekte
umzusetzen. Wenn sie wollen. Aber ein leistungsfähiges Asylsystem steht gar
nicht auf der Agenda der ÖVP. Sie setzt auf einen schlanken Staat. Das hat
noch jeder Parteiobmann der ÖVP angekündigt.
* Im Asylbereich sind die Schwarzen mit ihrer "Entbürokratisierung" mangels
Widerstand der Betroffenen relativ weit gekommen [5]. Durch Privatisierungen
wurde Betreuung ausgelagert und Gewinnorientierung als Steuerungsprinzip
etabliert. Schon die Ausschreibungen brachten die Qualitätsstandards der
Betreuung unter Druck. Wo verwahrt und verwaltet statt betreut und behandelt
wird, dort nehmen soziale Konflikte zu. Die NGOs wurden sukzessive aus dem
Feld gedumpt, obwohl sie auf Gewinnspannen verzichten und Spendengelder und
ehrenamtliche Leistungen zuschiessen. Nun fehlen ihre Kompetenzen, ihre
Mobilisierungskraft und ihre Ressourcen.
* Zum staatlichen Rückzug kommt ein angeblicher Föderalismus. Aus
Budgetgründen hat der damalige Innenminister Ernst Strasser die Bundesländer
2004 in die Flüchtlingsversorgung geholt und den Gemeinden zugesagt, keine
Einrichtungen gegen deren Willen zu betreiben. Diese
Kompetenz-Zersplitterung schwächt das Asylsystem heute bis zur
Unsteuerbarkeit. Eigentlich wäre die Einbeziehung der Bevölkerung auf
lokaler Ebene sinnvoll, weil das deren Verständnis für die Materie stärkt.
Doch ohne Plan und Leadership endet alles im Kompetenz-Wirr-Warr und
gegenseitigen Schuldzuweisungen. Man muss den Eindruck gewinnen, der Staat
sei unfähig.
* Die Folgen der falschen Politik dienen als Begründung für den weiteren
Rückzug des Staates. Die ÖVP lanciert, es handle sich gegenwärtig um eine
"katastrophenartige" "Ausnahmesituation" und eine schier "übermenschliche
Aufgabe". Zeltstädte des Innenministeriums bebildern diesen Spin. Chaos und
Verunsicherung machen den Weg frei für weitere Verschärfungen. Schon wird
eine Diskussion um die Einschränkung des Asylrechts ((Mit Hilfe von
SPÖ-Landeshauptmann Hans Niessl)) und weitere Senkungen der Standards
angezogen. Immer weniger Verantwortung soll die Allgemeinheit für die
Gewährleistung von Menschenrechten tragen.
* Realpolitisch hängt die Unterbringung derzeit in den Gemeinden.
BürgermeisterInnen fürchten sich zu Recht davor, dass jede/r noch so
unbegabte FPÖ-Gemeindrat/rätin die vergiftete Stimmung in Zugewinne ummünzen
kann. Auch daran ist die ÖVP nicht ganz unschuldig. Lange Jahre heulte sie
mit den Wölfen und trug zur Diskreditierung von Asylsuchenden in der
Bevölkerung bei. Ein patziger Umgang mit Gemeinden, NGOs und Ländern hat
noch dazu viele MitspielerInnen verprellt, auf die das BMI nun angewiesen
ist.
Was uns derzeit als Asylpolitik geboten wird, ist keine reine Inkompetenz.
Es ist das Ergebnis 15-jähriger Schwächung öffentlicher Verwaltung durch
konservative "Effizienzsteigerung" und "Bürokratieabbau". Der schlanke Staat
wird kaum ein leistungsstarker Staat sein. Das ist Mathematik. Wenn die
Standards gesenkt, Kompetenzen zersplittert und die Stimmung vergiftet wird,
braucht sich niemand wundern, dass die Performance sich nicht verbessert.
Hoffentlich spricht sich das herum, bevor die nächste Bevölkerungsgruppe in
den Genuss einer solchen "Effizienzsteigerung" kommt.
*Philipp Sonderegger*
*
Quelle: http://phsblog.at/der-schlanke-staat-taumelt/
Vorabdruck aus mo - Magazin für Menschenrechte
Fussnoten
1) Art 10 Abs 1 Z3 B-VG: Bundessache ist die Gesetzgebung und die
Vollziehung in folgenden Angelegenheiten: Asyl
2) In Art 3 Z4 GVV heisst es wörtlich unter Aufgaben des Bundes: "Schaffung
von Vorsorgekapazitäten für die Bewältigung von Unterbringungsengpässen in
den Ländern."
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20003460
3) Selbst die Legistiker des BMI weisen darauf hin, dass sich die
Verpflichtung zur Unterbringung nicht nur aus der "Armenfürsorge" - einer
Kompetenz der Länder - speist: Das Bundesbetreuungsgesetz gilt nicht nur für
hilfsbedürftige also mittellose Fremde, Unterbringung ist auch für
Vermögende bereitzustellen.
http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_SIAK/4/2/1/2005/ausgabe_1/files/Marth_1_2005.pdf
4) Unter dem Gesichtspunkt "vorausschauender Planung" sind die
Ressortverantwortlichen überdies angehalten, die gesetzlichen
Voraussetzungen zur Erfüllung zugewiesener Aufgaben zu erwirken. Auf gut
deutsch: Erweist sich die Rechtslage für die Unterbringung von Flüchtlingen
als nicht geeignet, muss Mikl-Leitner eine Änderung initiieren. Dies
geschieht nun offenbar auch endlich.
5) Soweit, dass bereits hochheitliche Aufgaben berührt sind.
Verfassungswidrig, wie die Volksanwaltschaft in ihrem Sonderbericht zur
Schubhaftbetreuung in Vordernberg festgestellt hat.
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