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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. August 2015; 17:23
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Kommentierte Presseschau (I):
> Thema Griechenland
Den absoluten Tiefpunkt an sommerlichen Griechenland-Kommentaren
österreichischer Medien lieferte nicht die Kronenzeitung. Nicht einmal
Christian Ortner, der sich in der Wiener Zeitung eine "Troika für
Österreich" wünscht, weil hier der Widerstand gegen Privatisierungen gar so
hoch sei, kann dieses Niveau für sich in Anspruch nehmen. (Titel: "Syriza
regiert nicht nur in Athen, sondern auch in Österreich, Die Presse,
14.8.2015). Denn Ortner ist zumindest zu Gute zu halten, daß er seinen
eigenen Blog "Das Zentralorgan des Neoliberalismus" nennt -- da weiß man,
was man hat, und der Klassenfeind deklariert sich eindeutig.
Nein, der etwas übelriechende Lorbeerkranz gebührt eindeutig dem profil und
seinem Chefredakteur Christian Rainer. Der betitelte seinen Leitartikel kurz
nach der Kapitulation der griechischen Regierung so: "Europa hat gewonnen",
Untertitel: "Eine Griechenland-Bilanz: Der sich aufblähende Antikapitalismus
wurde niedergehalten. Und die Dummheit." Damit ist auch wohl schon alles
gesagt, was diesen Kommentar ausmacht. Zum Beispiel Antikommunismus at his
worst: "Denn an der Griechenland-Krise hat sich wieder einmal der
Antikapitalismus erprobt. Eine Ideologie wie ein Schläfer: Man hatte den
Marxismus mit dem Jahr 1989 abgehakt, ausgebucht; jetzt ist er aufgewacht,
hat sich mächtig aufgebläht. Erstmals seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion
und ihrer Trabanten vor einem Vierteljahrhundert durfte linke Theorie auf
Augenhöhe mit marktwirtschaftlicher Praxis diskutiert werden." Das ist
natürlich ganz schlimm. Dagegen hilft nur die Logik der schwäbischen
Hausfrau: Ein Schuldenschnitt wäre "ungerecht" gewesen, so Rainer, denn die
Kredite an Griechenland wären ja "mittelbar vom slowakischen Mindestrentner
oder von einer steirischen Billa-Kassiererin" gekommen und an diese müßte
das Geld zurückgezahlt werden. Schon allein deswegen weil das Geld ja "nicht
in karitative Aktivitäten gesteckt" sondern zum Beispiel "als
Transferleistung verschenkt" worden wäre. Und die Unnachgiebigkeit der EU
war "die Notwehr gegen ein Land, das zuletzt sogar patzig per Referendum
erklärte, es wolle sich nicht an die Regeln ordentlicher Kaufleute halten,
die Welt solle sich ihre Schuldscheine an den Hut stecken". Na, serwas! Der
Artikel ist von vorne bis hinten so gestrickt, daß auch der letzte
linksliberale Leser des profil nun wissen muß, daß er als Abonnent
unerwünscht ist. Ob Herr Rainer damit ein ordentlicher Kaufmann ist, der
sich ganz auf Kredite der Raiffeisenbank verläßt, mag allerdings fraglich
sein.
Ortner:
http://diepresse.com/home/meinung/quergeschrieben/christianortner/4798943/Syriza-regiert-nicht-nur-in-Athen-sondern-auch-in-Osterreich
Rainer:
http://www.profil.at/meinung/christian-rainer-europa-gewonnen-5763246
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IWF frißt Kreide
Witzigerweise protestiert jetzt ausgerechnet der IWF unter Christine Lagarde
gegen die Vorgangsweise der EU, wie man in den letzten Wochen verschiedenen
Medien entnehmen durfte. Hier sei zum Beispiel das "Format" zitiert:
"Spätestens seit Juni haben Lagarde und der IWF ihr Herz für die Schuldner
entdeckt, predigen landauf und landab, die Rückzahlungslasten für das
pleitebedrohte Griechenland zu mildern. Sogar ein Begriff, der in Berlin als
Unwort gilt, wird ins Spiel gebracht: 'Haircut', der Schuldenschnitt, also
die Streichung aller oder eines großen Teils der Staatsschulden. [...]
Insider meinen, innerhalb des IWF habe sich die simple Erkenntnis
durchgesetzt, dass die bisherigen Programme seit 2010 eine ziemliche
'Fehlkalkulation' und die negativen Folgen des strengen Sparkurses erheblich
unterschätzt worden seien. Nicht zuletzt die US-Regierung warnt seit Jahren
vor dem 'Totsparen' und verlangt von Europa mehr Ausgaben -- vor allem von
Deutschland, und das nicht nur in der Griechenlandkrise".
Eine späte, zu späte Erkenntnis könnte man sagen. Aber das kennen wir ja vom
IWF, noch aus Zeiten der "Strukturanpassungsprogramme", die ähnlich
gestrickt waren wie die jetzigen Bedingungen der Troika für das aktuelle
"Rettungspaket". Zwischendurch kam der IWF in seiner Geschichte immer wieder
drauf, daß man es soweit übertreibt, daß die Kredite nie mehr zurückgezahlt
werden können oder man das Land sogar destabilisiert (erinnert sich noch wer
an Jugoslawien?). Nach solchen Aktionen bremst sich der IWF gerne wieder ein
und macht auf lieb. Bezüglich Island hatte der IWF erklärt, daß das, was die
dort machen, inakzeptabel sei. Der Währungsfond hatte dagegen protestiert,
daß Island einfach krachen lassen hat, was zum Krachenlassen war. Nachher
hat der IWF dann diese Methode gelobt, weil klar wurde, daß der Staat seine
Schulden jetzt schneller zurückzahlen kann als gefordert. Und wenn man diese
Erkenntnisse beim IWF gewonnen hat, werden dann regelmäßig ein halbes Jahr
später wieder woanders die Daumenschrauben angezogen. Das geht jetzt schon
seit mindestens 30 Jahren so...
http://www.format.at/wirtschaft/international/iwf-chefin-lagarde-schuldenlast-griechenland-5810968
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Leninscher Kompromiß?
Aber warum hat die SYRIZA eigentlich letztlich den Bedingungen der Troika --
die ja zwischendurch nicht so heissen durfte -- zugestimmt? Das erklärt
Alexis Tsipras in einem Interview, daß "transform! -- Europäisches Netzwerk
für alternatives Denken und politischen Dialog" verbreitete.
Nach dem "Nein" beim Referendum wurden, so Tsipras, "in Brüssel mehrere
Schreckensszenarien auf den Tisch gelegt. Ich wusste, würde ich während der
siebzehn Stunden, in denen ich diesen Kampf führen musste - allein und unter
schwierigen Bedingungen -, das tun, was mein Herz wollte, nämlich aufstehen,
mit der Faust auf den Tisch schlagen und abreisen - die ausländischen
Zweigstellen der griechischen Banken noch am selben Tag zusammenbrechen
würden. Innerhalb von 48 Stunden würde die Liquidität, die Abhebungen in der
Höhe von EUR 60 erlaubte, versiegen und, was noch schlimmer war, die EZB
würde sich für eine Absenkung der Sicherheiten der griechischen Banken
entscheiden und sogar Rückzahlungen fordern, die zu einem Zusammenbruch des
gesamten Bankensystems geführt hätten. In diesem Fall hätte ein
Zusammenbruch keine Verringerung der Spareinlagen, sondern ihre Auflösung
bedeutet".
Und Tsipras bemüht Lenin: "Es ist ein schmerzhafter Kompromiss, sowohl auf
der wirtschaftlichen als auch auf der politischen Ebene. Sie wissen,
Kompromisse sind Teil der politischen Realität und auch Teil der
revolutionären Taktik. Lenin war der erste, der über den Kompromiss
gesprochen hat, und zwar in seinem Buch 'Der 'Linke Radikalismus', die
Kinderkrankheit im Kommunismus', in dem er mehrere Seiten lang erklärt, dass
Kompromisse Teil revolutionärer Taktik sind. In einer Passage erwähnt er das
Beispiel eines Banditen, der seine Pistole gegen dich richtet und sagt:
'Geld oder Leben?' Was tut ein Revolutionär in dieser Situation? Sein Leben
hergeben? Nein, er muss das Geld hergeben, um sein Recht zu leben zu
behaupten, und den Kampf fortführen. Wir sahen uns mit einem Dilemma unter
Gewaltandrohung konfrontiert."
http://www.transform-network.net/de/blog/blog-2015/news/detail/Blog/alexis-tsipras-austerity-is-a-dead-end.html
(Erstveröffentlichung auf Französisch in L'Humanité, 31. Juli 2015)
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Deutsche Interessen
Und wer profitiert von alledem? Teilweise ist es so banal, daß es schon
wieder lächerlich ist. Nein, das wäre dann doch zu einfach, es ist nicht die
deutsche Rüstungsindustrie, wenn man einem Artikel auf nzz.at Glauben
schenken darf. Zumindest -- und das ist korrekt mit Zahlen belegbar -- sind
die griechischen Rüstungsimporte seit Beginn der Hilfskredite 2010 massiv
gesunken und da besonders die Importe aus Deutschland. Allerdings mußte der
Autor des nzz-Artikels zugeben, daß er da nur auf verifizierte Budgetzahlen
bis 2013 zurückgreifen kann -- was seither passiert ist und jetzt in Zukunft
passieren wird, ist da natürlich noch nicht miteinberechnet.
Es sind aber zivile deutsche Konzerne, die von der Einigung profitieren. Zum
Beispiel der Frankfurter Flughafen, wie das "Neue Deutschland" berichtet:
"Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport hat von der SYRIZA-geführten
Regierung den Zuschlag für 14 griechische Regionalflughäfen erhalten. Eine
entsprechende Entscheidung wurde am Dienstagmorgen in Athen bekannt. Die
Entscheidung wurde am Dienstag im Amtsblatt bestätigt und trägt die
Unterschriften mehrerer Minister, darunter Vize-Regierungschef Giannis
Dragasakis und Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis. Der Gesamtkaufpreis
für die Betreiberkonzessionen beträgt 1,234 Milliarden Euro. Der Verkauf ist
hoch umstritten, da sich das mehrheitlich in Staatsbesitz befindliche
deutsche Unternehmen den Zuschlag in den Verhandlungen mit Griechenland über
ein drittes Kreditprogramm extra hatte absichern lassen". Mit anderen
Worten: Es gab nicht einmal so etwas wie einen Wettbewerb mit Bestbieter und
so, wie das ja angeblich in der EU Usus wäre. Man berief sich einfach auf
ein Privatisierungsverfahren mit der griechischen Vorgängerregierung, bei
der Fraport den Zuschlag erhalten hatte. Die SYRIZA-Regierung hatte die
Privatisierung zwischenzeitlich gestoppt. Und nun bei den neuen
Verhandlungen sicherte die deutsche Bundesregierung offensichtlich die
Interessen eines staatsnahen Betriebs. Und das natürlich nicht, um
Griechenland die Chance zu geben, seinen Staatshaushalt zu sanieren, wie der
zuständige griechische Infrastrukturminister Christos Spirtzis noch vor
Kurzem gegenüber der ARD erklärt hatte. "Bei dieser Privatisierung soll der
griechische Staat 14 gewinnbringende Flughäfen verkaufen, und die anderen 30
Flughäfen, die keinen Gewinn machen und subventioniert werden müssen,
bleiben beim griechischen Staat."
NZZ: https://nzz.at/s/WcMZO-k4gG/
Neues Deutschland:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/981561.fraport-bekommt-14-griechische-flughaefen.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/981199.deutsche-interessen-speziell-abgesichert.html
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