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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 3. Juni 2015; 17:10
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Polizei/Psychiatrie:

> Auffällige Jugendliche muß man doch einfach wegsperren

Eine Geschichte aus der Jugendpsychiatrie

In Österreich lebt man als 14jähriger Bub gefährlich. In diesem Land werden
14jährige bei einem Supermarkteinbruch gezielt von hinten polizeilich
erschossen oder wegen verrückter Ideen ohne echte Vorbereitungshandlung als
Terroristen zu unbedingten Haftstrafen verurteilt oder in U-Haft
vergewaltigt und die zuständige Ministerin sieht darin erst nach mehrmaligem
Nachfragen ein Problem.
Oder sie werden wegen Schubsens in die Psychiatrie gesperrt, wie *Gerhard
Hofer* in folgender Geschichte schildert:
*

Die Geschlossene Abteilung der Kinder- und Jugendpsychiatrie der
Landesnervenklinik OÖ ist einer der furchtbarsten Orte Österreichs. Niemand
vermag es, die düstere Atmosphäre aus blutrot versiegelten Böden, gräulichen
Wänden und buchefarbenem Mobiliar aufzuhellen. Gestern und heute bin ich
dort gewesen:

Der Anlass heißt Philipp, ist Sohn eines engen Freundes und 14 Jahre alt. Er
ist nicht wie die Anderen seines Alters. Er ist traumatisiert von den
furchtbaren Dingen, die ihm offenbar angetan worden sind. In einem Internat
der Camphill-Vision oder wie immer die Camphiller ihre Methode nennen. Er
ist kein Autist, dennoch wird er von Ärzten, die wissen, dass er nicht
autistisch ist, so behandelt. Als ob er einer wäre. Vor sieben Jahren hat
Carlo seinen Sohn aus der Camphill-Pädagogik befreien können. In die ihn
Philipps Mutter überantwortete, weil der Hass auf den Vater größer als die
Liebe zum Sohn gewesen ist. (Anm. d. Redaktion: Die Mutter ist selbst
Juristin bei der Jugendwohlfahrt, siehe Link im Nachtrag.)

Seit gestern ist Philipp ein Krimineller. Er hat ein Mädchen geschubst. Weil
es ihn offenbar ausgespottet hat. Philipp, der seine Meinung ehrlich sagt
und seine Emotionen ehrlich zeigt, mag es nicht, wenn er verspottet wird.
Das haben die im Camphill so oft gemacht, dass er es nicht mehr haben will.
Also hat er das Mädchen geschubst und die Familie des Mädchens, das
gestolpert ist, hat Philipp angezeigt. Weil die Gleichung heißen muss:
Schubsen plus Stolpern gleich Kopfweh plus Schmerzensgeld.

Übles Polizeiprotokoll

Daher wird Philipp von der Polizei geholt. Zur Vernehmung. Delikten muss auf
den Grund gegangen werden, sofort und gründlich. Philipp sagt im Beisein
seines Vaters aus und seine Aussage, sie ist ja protokolliert, besteht aus
fünf Sätzen. Mit seinen Eltern (Carlo hat gelernt, dass Philipp nicht
versteht, was seine Mutter ihm angetan hat, weswegen dieser sie liebt) hat
es Torte gegeben. Dann ist er aufgestanden und zu einem Mädchen gelaufen,
das er gesehen hat. Dann hat er es zu Boden geschubst. Der Polizist hat ihn
gefragt. Warum er es getan habe? Ob ihm denn langweilig gewesen sei? Ja, ihm
sei langweilig gewesen. Also liest sich Satz fünf: "Ich machte es, weil mir
langweilig war." Philipp hat bestätigt, dass ihm langweilig war. Er hat
nicht gesagt, dass er ausgespottet wurde, weil man ihn danach nicht gefragt
hat. Weshalb also Gemeingefährlichkeit zu attestieren war. Der Amtsarzt tat,
was getan werden musste: Einweisen. Geschlossene. Jetzt. Rettung. Blaulicht.
Polizeieskorte. Carlo hat uns angerufen, wir sind losgefahren:
Landesnervenklinik, Aufnahme Psychiatrie.

Dort haben wir Carlo und Philipp getroffen. Philipp hat geweint und
geklagt - dass er heimwolle, warum er da sei, wo sein Papa sei. Er brauche
seinen Papa, warum er denn hier sei. Dann ist Carlo aus dem
Untersuchungszimmer rausgekommen. Hinter ihm der Arzt. Philipp freute sich,
denn nun würde es heimgehen. Mit Papa, den er ja brauche. Als er hört, dass
er hierbleiben muss, bricht er zusammen, aber er ist im Camphill so oft
zusammengebrochen, dass er nicht schreit, wenn ihm etwas zusetzt. Sondern es
still in sich hinein weint. Er kniet sich auf den Boden, schlägt sich die
Hände vors Gesicht und sinkt skurril langsam vornüber. Bis Gesicht und Hände
den Boden berühren.

Es sind fremde Leute da auf diesem Flur: Polizisten, Sanitäter, Patienten.
Sie werden ruhig, betreten. Sehen schamhaft weg. Der Arzt will wissen, was
das soll. Rauf jetzt, auf die Station. Geschlossene. Pffh. Wir reden Philipp
zu, es dauert aber Minuten, bis Philipp seine im Camphill erlernte
Demutspose aufgibt. Es dämmert ihm, dass er etwas Böses getan haben muss.
Wir gehen Richtung Station J202, der Polizist muss mit, obwohl er weg will.
Er hat erkannt, wohin die Befolgung der Gesetze nun führen wird. Ach hätte
er die Eltern des Mädchens doch weggeschickt! Keine Anzeige, keine
Amtshandlung, kein ihn verstörender Philipp.

Ich frage den Polizisten. Wie es denn dem armen Mädchen gehe, wie schwer es
verletzt sei, ob es im Krankenhaus liege. Nein, kein Krankenhaus. Verletzt?
Naja, kein Blut, keine Beule. Kopfweh, wahrscheinlich. Also vermutlich. Oder
vielleicht. Ich sehe ihm ins Gesicht. Er sieht weg. Ich frage ihn. Wie dumm
und wie herzlos man eigentlich sein müsse? Um Polizist werden zu können? Ob
das auch für Nichtidioten möglich sei? Polizist zu werden? Weil wegen
vielleicht Kopfweh und definitiv zerstören der Arbeit mit Philipp der
letzten sieben Jahre? Der Polizist sieht zu Boden. Wir erreichen J202, der
Polizist sieht erleichtert auf. Sein Job sei hier erfüllt und es tue ihm
leid, der Amtsarzt habe es verlangt und er habe tun müssen, was zu tun
gewesen sei. Er wünsche uns: viel Glück.

Hilfe heißt Zwang

J202, Zimmernummer 5. Wir warten, eine junge Frau im Arztkittel kommt. Ob
wir wissen, warum Philipp hier sei, warum er hier zu bleiben habe? Dass wir
jetzt zu gehen hätten, weil Philipp jetzt Ruhe brauche? Wie es Philipp geht,
weiß Philipp: Er bittet um Hilfe, sie, die Frau möge ihm helfen. Unter
helfen versteht Philipp, dass er gehen, die Frau, dass er bleiben wolle.
Weil man ihm hier ja helfen könne und helfen werde. Hilfe sei wichtig, dazu
sei man da und ausgebildet, man werde herausfinden, wie Hilfe auszusehen
hätte. Wer die Frau sei, frage ich. Sie? Turnusärztin, wieso?. Aha, sage
ich. Turnus. Also Ausbildung? Aha, so sei das also, meint sie. Man vermute,
sie sei inkompetent. Ja, sei sie, sage ich. Weil man ja offenbar eine
Facharztausbildung brauche, die sie erst anstrebe und demzufolge noch nicht
habe. Was auf ein Defizit zwischen bereits erworbenem und noch zu
erwerbendem Wissen hinweise. Oder etwa nicht?

Unter solchen Umständen müsse eben die zuständige Psychiaterin kommen. Sie
verspreche aber schon, das Philipp nicht sediert werde. Aha, sage ich. Die
Bestimmung des Ortes sei es aber, Patienten zu sedieren? Sie sehe immerhin,
dass Philipp aufgewühlt sei. Er sage ja nichts anderes, als dass er weg
wolle und frage deshalb permanent, warum er hier sei. In dem Moment, in dem
wir weg wären, werde er, unschwer vorauszusehen, zu rebellieren beginnen.
Dies sei auch der Moment, in dem er sediert werden müsse. Seiner Sicherheit
wegen. Oder? Die Frau denkt nach und entscheidet, dass in diesem Fall die
Psychiaterin besser entscheiden könne. Wir mögen warten, sie gehe jetzt, sie
habe zu tun.

Wir warten drei Stunden. Drei. Ich insistiere, Philipp insistiert. Er will
nach Hause, wir wollen, dass die Psychiaterin kommt. Sie kommt nicht, es
erscheint aber der Arzt aus der Aufnahme. Sprechen werde er nur mit dem
Vater. Zehn Minuten später gestattet er allerdings, uns zu verabschieden.
Philipp müsse bleiben. Es entwickelt sich daher ein Disput. Der Arzt weicht
zurück, sein Stimmchen bricht. Er droht mit Polizei. Mir droht allerdings
niemand und er schon gar nicht. Verlassen Sie die Station, fiepst und piepst
es zehnmal.

Wir gehen, Philipp läuft nach. Doch es trennt uns eine dicke Glastüre.
Philipp weint, Philipp ruft Papa. Eine Minute, dann wird er weggezerrt. Er
ruft und weint weiter. Papa. Papa. Papa.

20 Minuten später, wir rufen nochmal an, schläft er tief und fest. Die
Anstrengung sei sehr groß gewesen, jetzt gehe es ihm aber gut. Er sei in den
richtigen Händen.
(31.Mai 2015)

*

> Nachtrag der Redaktion:

Mittlerweile ist der Bub wieder frei. Gerhard Hofer schreibt dazu: "Er wurde
in die Obhut seines Vaters übergeben, weil man unter anderem feststellte:
Dass sein Vater ihm die richtige Therapie und das beste Betreuungsmodell
angedeihen lässt. Er keine Gefährdung für sich und andere darstellt. Kinder
halt manchmal schubsen, weil sie halt Kinder sind." Es ist also letztendlich
glimpflich abgelaufen -- vielleicht auch nur deswegen, weil der Vater nicht
allein war, sondern es eine Menge Leute gab, die sich für seinen Sohn
engagierten und die Geschichte auch über die Sozialen Netze eine gewisse
Bekanntheit erreichte. Trotzdem war diese Geschichte abdruckenswert, weil
sie zeigt, wie schnell man als unangepaßter Jugendlicher in die Fänge
staatlicher Behandlung geraten kann und wie wichtig es ist, daß Angehörige
in solchen Fällen Unterstützung erhalten. "Gut" ausgegangen ist die
Geschichte aber wohl nicht, denn vergessen wird Philipp sie wohl so schnell
nicht.

Die tragische Vorgeschichte Philipps war übrigens schon 2009 den
OÖNachrichten eine Geschichte wert:
http://mobil.nachrichten.at/art4,118899




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