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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. Mai 2015; 17:16
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UK-Wahl/Demokratie/Glosse:

> Seltsame Insel

37% sind in UK die absolute Mehrheit

"Großbritannien-Wahl: Starke Gewinne für UKIP; Labour, Tories, Grüne und
schottische Nationalisten erringen moderate Zugewinne auf Kosten der
Liberaldemokraten". So hätte man über das Ergebnis der Wahl auch berichten
können. Tat man aber nicht. Sondern: Tories sind der große Sieger, SNP wird
drittstärkste Partei und die Vorsitzenden von Labour, UKIP und LD treten
wegen der Niederlagen ihrer Parteien zurück. Wieso ist das so?

Es ist die alte Geschichte mit dem seltsamen britischen Wahlsystem. Doch bei
dieser Wahl trat der Widerspruch zum "Wählerwillen" ganz besonders deutlich
hervor: Schlechter als die Konservativen haben von den relevanten
Parteien -- was Gewinne und Verluste angeht -- nur ihre katastrophal
abgestürzten bisherigen liberalen Koalitionspartner abgeschnitten. Gerade
einmal 0,8%punkte machte der Zugewinn der Tories aus, während Labour mit 1,5
deutlich besser abschnitt. Und trotzdem reichten die insgesamt 37% der
gültigen Stimmen für die Tories zum Neugewinn einer absoluten Mehrheit.

Ein Mehrheitswahlrecht -- noch dazu ohne Stichwahlmöglichkeit -- hat eben so
seine Tücken. Aber warum gibt es dieses System, das doch noch viel weniger
in der Lage ist, ein Parlament zu schaffen, das den Wählerwillen abbildet,
als etwa die hiesigen, auch nicht gerade perfekten Systeme? Ganz einfach:
Weil es sehr alt ist. Britannien ist eine der ältesten durchgängig
demokratisch verfaßten Nationen der Welt. Das Wahlrecht -- von dem auch das
mittlerweile ebenfalls schon recht alte System der USA abgeleitet ist --
stammt aus einer Zeit, als überregionale Kommunikation für das gemeine Volk
nur sehr eingeschränkt möglich und generell langsam war -- ein lokaler
Vertreter stellte sein Programm für seinen Wahlkreis dar und wurde dort
gewählt; Überregionale Parteien heutigen Verständnisses waren von sekundärer
Bedeutung, gar nicht existent oder wurden erst im Unterhaus nach der Wahl
gebildet. Wahlen zu veranstalten war ein ziemlicher Aufwand -- daher sollte
die relative Mehrheit reichen. Tja und damit wurden im Unterhaus immer
wieder Mehrheiten von Abgeordneten produziert, die genau diesem System ihren
Sitz verdankten und die die einzigen waren, die das für sie vorteilhafte
System hätten ändern können. Heute gibt es zwar kein Zensus-Wahlrecht mehr,
die Suffragetten haben sich durchgesetzt und absurd kleine Wahlkreise
("rotten borroughs") existieren auch nimmer, aber am Prinzip der
Abgeordnetenbestimmung hat sich so nicht viel verändert.

Untauglicher Reformversuch 2011

Doch trotz dieser Selbstverfestigung eines alles andere als zeitgemäßen
Wahlrechts und der logischen Herausbildung eines Zweiparteien-Systems gab es
dann doch einmal einen Versuch, etwas zu ändern: 2011 -- als es eben zum
ersten Mal seit langem keine absolute Mehrheit gab und eine
Tory-LD-Koalition -- einigte man sich im Parlament auf den Vorschlag einer
minimalen, aber ziemlich umständlichen Reform, über die das Wahlvolk
abzustimmen hätte. Bei Beibehaltung des alten Mehrheitssystems sollte statt
einer klaren Stichwahl ein nur schwer durchaubares Reihungssytem eingeführt
werden, das letztendlich die Repräsentativität nur unmaßgeblich gefördert
hätte. Dazu kam, daß Tories und Teile Labours gegen diesen Vorschlag waren.
Das so erwartbare Ergebnis: Bei einer Beteiligung von 42% waren zwei Drittel
des Stimmvolks dagegen. In nur sehr wenigen der Abstimmungsdistrikte kam es
zur Mehrheit für die Reform -- bezeichnenderweise waren das nur
Innenstadtbezirke in London, Glasgow und Edinburgh sowie die beiden
Universitätsstädte Oxford und Cambridge.

In UK blieb also alles beim Alten. Das etablierte Parteiensystem wurde durch
ein halbseidenes Referendum ein weiteres Mal gerettet. Aber dort gibt es
eben die Tatsache zu beachten, daß ein einmal etabliertes politisches System
nicht dazu tendiert, per Reform zu größerer Repräsentanz seines Parlaments
zu kommen, sondern allerhöchstens autoritärer wird.

Hierzulande sollte man aber sehr hellhörig sein, wenn wieder einmal
irgendwer aus den oberen Rängen ein Mehrheitswahlrecht fordert.
*Bernhard Redl*



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