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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. Mai 2015; 16:54
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Marokko/Kapitalismus:

> Mikro-Kredite, Makro-Abzocke

In Marokko führen Frauen seit Beginn des Jahres 2011 einen Kampf gegen
Mikro-Kredit-Institutionen wegen Vertrauensmissbrauch und unhaltbaren
Kreditbedingungen.


Ungefähr 4500 Frauen, die zumeist im Verband zum «Gemeinschaftlichen Schutz
von sozialer Entwicklung» (Association de Protection Populaire pour le
Développement Social) organisiert sind, haben sich in der Region Ouarzazate
und entlang des gesamten Tals von Dadés erhoben. Denn in dieser
Tourismusregion haben sich solche Mikrokredit-Institutionen niedergelassen,
um die Krise, die dort vor allem das Hotelgewerbe ergriffen hat,
auszunützen. Sie begannen sofort, mit vollen Händen Kredite zu vergeben,
wobei hauptsächlich Frauen die Zielgruppe waren und sind. Ursprünglich
vorgesehen, um Mikro-Projekte und Mikro-Unternehmen zu finanzieren, werden
diese Kredite nunmehr häufig ohne wirkliche Prüfung dieser Projekte
vergeben. Zum einen, weil die Makler entsprechend der Zahl der von ihnen
akquirierten KundInnen bezahlt werden und zum anderen, weil die
Institutionen der Mikroökonomie (Institutions de la Mikrofinance - IMF) und
die Verbände der Mikro-Kredite (Associations de Micro-Crédits - AMF)
Zuwendungen und Subventionen unter anderem von der EU, von Stiftungen, vom
UNPD (United Nations Development Programme) und von der USAID (United States
Agency for International Development) erhalten - immer in Abhängigkeit vom
Umfang ihrer Kundschaft und im Kontext einer ungezügelten Konkurrenz
zwischen den verschiedenen Kreditinstitutionen. Faktisch aber fliessen die
Kredite in den Konsum (für den Kauf eines Mofas, eines Kühlschranks oder um
den Schulbesuch der Kinder zu sichern etc.) oder um die bis dato allgemein
zugänglichen Dienstleistungen weiter nutzen zu können, die in Zeiten des
Neoliberalismus kostenpflichtig geworden sind. Denn diese sind, besonders im
Gesundheitswesen, für die ärmsten Schichten der Bevölkerung unerreichbar
geworden. Obendrein werden viele dieser Kredite aufgenommen, um
vorhergehende begleichen zu können.

Horrende Zinsen

Auch wenn das verliehene Geld aus Zuwendungen, aus Subventionen oder
Darlehen mit niedrigen Zinsen stammt, die Kreditnehmerinnen selbst haben
exorbitante Zinsraten zu begleichen. Sie werden offiziell auf 14 bis 18
Prozent beziffert (angeblich wegen des hohen Verwaltungsaufwands). Doch die
Frauen in Ouarzazate reden von Zinsraten, die bis 40 Prozent erreichen.
Zudem gibt es keinerlei Verlängerung der Laufzeit von Schulden. Auf kein
noch so schwerwiegendes Ereignis wird Rücksicht genommen. Schlimmer noch:
Ein System «solidarischer Schuldhaftung» wurde ins Leben gerufen: In einer
Gruppe von Frauen soll jede von ihnen als Kaution für andere herhalten. Und
Schulden werden brutal eingetrieben: Drangsalierungen, Erpressung sowie
gewaltsame Übergriffe sind gang und gäbe. Hinter dem Geschwätz vom Kampf
gegen die Armut versteckt sich eine ausufernde Gewalttätigkeit gegen die
Armen. Ihr Analphabetismus wird ausgenutzt, um ihnen Verträge unterzujubeln,
die sie nicht lesen können, und danach gibt es kein Erbarmen. Die
Institutionen der Mikroökonomie arbeiten mit «billigem Geld», das teuer an
die Ärmsten weitergegeben wird: ein Riesengeschäft! Es ist dermassen
gewinnbringend, dass sich die ursprünglich entstandenen Vereine des
Mikro-Kredits in Mikro-Finanzinstitute umwandelten, während die größten
Banken vor Ort sich ebenfalls mehr und mehr für diesen Geschäftsbereich
interessieren. Arme haben natürlich wenig Geld, aber sie sind zahlreich. Ein
einziger Verband prognostiziert für das Jahr 2020 drei Millionen Kunden,
kündigt Zinssätze von 15 bis 24 Prozent auf steuerbefreite Beträge an. Für
El Amana, eine der Institutionen für Mikroökonomie vor Ort, erreicht der
erzielte Gewinn die 99-Prozent-Marke(1).

Unter der Logik des Geldes

Als Nebeneffekt werden immer neue Teile der Bevölkerung der Logik des Geldes
unterworfen. «In diesem Markt liegen bedeutende Wachstumsreserven für Banken
und andere Händler von Finanzprodukten."«Diese Kleinunternehmen sehen meist
die Möglichkeit, sich aus informellen Geldquellen zu finanzieren
(Freundinnen und Freunde, Familien, Gemeinschaftskassen der gegenseitigen
Hilfe etc.) oder sogar zu Mitteln unangepasster Selbstfinanzierung zu
greifen», meint die französische Entwicklungsagentur AFD (Agence Française
de Developpement). Mikro-Kredite würden zudem eine Art «soziales Netzwerk»
bilden. So jedenfalls sehen es die Vereinbarungen zur
Europa-Mittelmeer-Partnerschaft vor. Hierbei spielen Befürchtungen eine
Rolle, dass der Migrationsdruck auf die Grenzen Europas steigen könnte
angesichts einer durch den Freihandel bewirkten Marginalisierung und
Verelendung weiter Teile der Bevölkerung. «Durch ihre Struktur und ihre
Flexibilität können diese [Mikro-Kredite] auch ein entscheidendes Element
zum Auffangen von wirtschaftlichen und finanziellen Krisen sein.» (AFD)

Kampf gegen Raffgier

Die Frauen von Ouarzazate reden von Stress, unter dem sie leiden, von ihren
Ängsten, von Pfändungen und Prozessen. Zu den bisher erlebten Problemen der
Armut, für die auch der Mikro-Kredit keine Lösung brachte, gesellen sich
Verschuldung und der mit Rückzahlungsverpflichtungen verbundene Druck, der
oft die Familien zerstört und die Frauen in die Prostitution oder den
Selbstmord treibt. Aber die Frauen von Ouarzazate haben begriffen, dass der
Mikro-Kredit kein Mittel im Kampf gegen die Armut ist, sondern die mageren
Einkünfte der armen Familien noch zusätzlich schmälert. Sie haben ausserdem
begriffen, dass Verschuldung kein individuelles, sondern ein kollektives und
soziales Problem ist und demzufolge auch kollektive und soziale Lösungen
gefunden werden müssen. Diese können beim Zugang zu kostenlosen
Dienstleistungen liegen sowie bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und der
Verabschiedung eines Arbeitsrechts. Es geht um soziale und ökonomische
Rechte, die diese Namen auch verdienen. Die Frauen haben ihr gemeinsames
Interesse erkannt: sich selbst zu organisieren und gemeinsam gegen die neuen
Blutsauger zu kämpfen, die unter der Maske von Nächstenliebe und Feminismus
auftreten. Zwei AktivistInnen der Bewegung gegen den Mikro-Kredit sind unter
fadenscheinigen Anschuldigungen vom Gericht von Ouarzazate vorgeladen
worden. Fünf Mikro-Kredit-Institutionen hatten gegen sie geklagt, vier davon
haben ihre Klage aber bereits zurückgezogen. So bleibt nur noch eine übrig.
Der wirkliche Prozess ist jedoch derjenige, den die Frauen mit ihren
Aktionen gegen die Raffgier der Mikro-Kredit-Institutionen anstrengen.
(Lucile Daumas Attac-CADTM Marokko, Archipel 236 / April 2015 / gek.)


Volltext im Netz:
http://www.forumcivique.org/de/artikel/dossier-marokko-mikro-kreditemakro-abzocke


1. Trotz des geringen Risikos, das die IMF eingehen, sichern sie sich auf
vielfältige Art gegen Rückzahlungsausfälle ab: Mikro-Versicherungen, die die
Rückzahlungen im Fall von Invalidität oder Tod garantieren; gruppenweise
Solidaranleihen; gemeinsame Datenbanken, um Mehrfachverschuldungen zu
vermeiden; Bündelung der Einziehungen des Geldes auf juristischem Weg.




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