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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 6. Mai 2015; 16:37
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Spanien:

> Bedenkliche Entwicklung bei Podemos

Kritik der Zentralisierung der Protestpartei wird laut


In Inprekorr 2/2015 schreibt Manuel Gari, dass Podemos aktuellen Umfragen
zur Folge bei den bevorstehenden Wahlen Ende 2015 18% bis 22% der Stimmen
erhalten könnte. Es bestünde die Möglichkeit, dass sich die Partei nach der
Wahl "an der Spitze wiederfinden wird". Allerdings habe sich Podemos "zu
einer zentralistischen und extrem hierarchischen politischen Partei"
gewandelt, die den linken Flügel aus der Parteiführung gesäubert und die
Kehrtwendung hin zu einer reinen Wahlpartei vollzogen hätte. Diesem Ziel sei
ihr Organisationsmodell basierend auf einem Wahlkampfstab und zentralistisch
zugeschnitten auf die charismatische Führungsfigur Pablo Iglesias angepasst
worden, dessen Entscheidungen "über plebiszitäre Mechanismen abgesegnet
werden".

Am 1. Mai diesen Jahres trat Carlos Monedero, die bisherige Nummer 3 der
Parteispitze[1], zurück. Monedero kritisierte die Richtung, in die die
Partei gehe. "Manchmal ähneln wir denen, die wir ersetzen wollen", so der
52-Jährige. Podemos sei hin- und hergerissen zwischen seinen Ursprüngen als
Protestbewegung und der heutigen Rolle als Partei."[2] Die Umfrageergebnisse
hätten sich laut euronews ebenso verschlechtert. Angesichts dieser Krise
lohnt es sich die Analyse von Manuel Gari zusammengefasst wieder zu geben:

In Spanien herrsche ein sozialer Notstand. Die Kaufkraft der Familien habe
um durchschnittlich 17% abgenommen. Bei einem Drittel der Bevölkerung
betrage der Kaufkraftverlust gar 43%. Dagegen hätten sich die Menschen in
vielfältiger Weise gewehrt:

* Generalstreik am 29.03.2012;

* Madrid 11.07.2014: 100.000 Menschen solidarisieren sich mit den
Bergarbeitern;

* Proteste gegen Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungssektor;
Aktionen der "Vereinigung der Hypotheken-Opfer" gegen Zwangsräumungen;

* eineinhalb Millionen Unterschriften für würdiges Wohnen;

* "Märsche für Würde" am 22.03.2014;

* Proteste gegen die geplante Abschaffung des Abtreibungsrechts (infolge
dessen der Justizminister zurückgetreten ist).

Doch die Erfolge der Proteste konnten die politische Lage "nicht zum Kippen
bringen". Das und die "Verdrossenheit gegenüber den etablierten Parteien"
hätten den Aufstieg von Podemos begünstigt. Bei den Europawahlen erhielt die
Partei 1.200.000 Stimmen und zog auf Anhieb mit fünf Abgeordneten ins
Europaparlament ein. Dies hätte sich auch "in der Dynamik, mit der die
sogenannten Kreise (Circulos) geschaffen und die Versammlungen organisiert
wurden" und vor allem in "einem massiven Zulauf von linken AktivistInnen und
von Menschen ohne aktivistischen Hintergrund und auch ohne politische
Erfahrung", gezeigt.

Gari schreibt von drei Faktoren, die zum Erfolg von Podemos geführt hätten:

1) Eine unmissverständliche, radikale Kritik und Ablehnung der bisherigen
antidemokratischen Praktiken der Politik (Korruption, Troika)

2) Eine offene "und doch bürgernahe" Struktur (sic!)

3) Großes Medienecho in Radio, TV und sozialen Netzwerken

Der "Podemos-Effekt" hätte die politische Landschaft und das Parteiensystem
destabilisiert und die Möglichkeit, dass Podemos in die nächste Regierung
einziehen könnte sei für die "faktischen" Regierungen in und außerhalb
Europas ein Albtraum und "historisch gesehen", neben Syriza, "eine absolute
Ausnahme innerhalb der europäischen Zweiparteiensysteme - ein Bruch im
Wählerverhalten, der die schwere politische Krise des spanischen und
griechischen Staates widerspiegelt".

Nach der Wahl "stand die Partei vor einer dreifachen Herausforderung, wollte
sie nicht nur zu einer Wahlkampfmaschine, sondern zu einem Treibmittel für
den sozialen Wandel werden":

* Organisierung der mobilisierten Kreise

* Ausarbeitung eines konkreten politischen Programms

* Umwandlung der Hoffnung breiter Bevölkerungsschichten in soziale Bewegung
und eine WählerInnenbasis

Hier setzt Garis Kritik an: Die Entwicklung von Podemos sei widersprüchlich.
Die Organisation fuße zwar auf "Kreisen, die sich organisieren, weil Podemos
neue Perspektiven für die Linke eröffnet und neue Partizipations- und
Demokratieformen einführt". Die Führungsgruppe versuche aber, "die Aktivität
der Kreise in ein politisches Projekt einzubinden, das einzig den Wahlen
dient; diese Führung will über der Organisation stehen und wünscht sich - in
der Praxis - keine demokratische Kontrolle".

Der Abstimmungsvorgang am Kongress im Oktober 2014 sei von der
Podemos-Führung mittels bürokratischer Manöver verfälscht worden. Vorlagen
zur politischen Ausrichtung seien nur ohne die Möglichkeit,
Abänderungsanträge zu stellen, zur Abstimmung vorgelegt worden. Es seien
über 200 Dokumente eingereicht worden. Die Zeit diese zu lesen oder gar
kollektiv zu diskutieren, hätte es nicht gegeben (Das erinnert an den
Bericht von Peter Moser über den Gründungsevent von Wien anders[3]). Bei
Podemos gäbe es "keine Möglichkeit zu einer tiefgreifenden
Auseinandersetzung der Positionen, was für ein demokratisches Vorgehen
unabdingbar" sei.

Zwei alternative Positionspapiere über das Organisationmodell, "die
gewissermaßen zwei unterschiedliche politische Konzepte [.] zum Ausdruck
brachten" standen einander gegenüber. Die große Mehrheit erhielt das Konzept
der "Riege um Pablo Iglesias", welches "Podemos zu einer reinen
Wahlkampfmaschine" reduzieren würde. Die Argumentation dafür: Man müsse ein
"Zeitfenster" nutzen, da "die gegenwärtige politische Krise nicht endlos
anhalten könne". (Das erinnert an Diskussionen aus dem Jahr 2008, als sich
in Österreich die "Linke" gegründet hat [4]). Dies könne nur mit einer
"monolithischen" und "intern unangefochtenen Führung" gelingen. Die Circulos
sollen demnach "organisatorisch keine Rolle mehr spielen". Die Führung, die
auch den Presseausschuss kontrolliere, berufe sich auf einen
"Vertrauensvorschuss" bei der großen Mehrheit der Mitglieder". Hinzu komme,
dass "die ursprünglichen Programmbestandteile, wie sie noch für die
Europawahlen formuliert worden waren, abgeschwächt werden, denn nur so
können man die politische Mitte für sich gewinnen".

Die Gegenposition vertreten durch den EU-Abgeordneten Pablo Echenique,
Teresa Rodriguez und Lola Sanchez, die auch von mehreren Strömungen
unterstützt worden sei, "traten für einen Aufbau von Podemos von unten nach
oben ein und für gleichberechtigte und pluralistische Führungsorgane". Man
solle den Schwerpunkt auf die politischen und sozialen Bewegungen legen.

Programmlosigkeit

Was die Entwicklung eines politische Programms betrifft, so herrsche
"gähnende Leere: kaum strategische Aussagen oder programmatisches Rüstzeug
und keine Beiträge oder Vorschläge zu den sozialen Bewegungen". Das am
Kongress verabschiedete Parteimodell sei "überaus konventionell und
hierarchisch zugunsten einer sehr kleinen Elite strukturiert". Es fehle "der
Raum für eine demokratische innerorganisatorische Debatte mit
Entscheidungskompetenz in der Gesamtorganisation". Man sei "auf Gedeih und
Verderb den telematisch getroffenen Beschlüssen ausgeliefert, denen keine
Diskussion vor Ort vorausgehen und die von oben durch die entsprechenden
Kommunikationsmittel dominiert werden". Damit verkehre sich "ein eigentlich
positiver Umstand - die offene Beteiligung an den Entscheidungsfindungen -
in ein Instrument von höchst zweifelhaftem demokratischen Nutzen, sofern es
nicht mit einer Debatte vor Ort kombiniert wird. Was auf den ersten Blick
wahrhaft demokratisch daher kommt, fußt bei näherem Hinsehen auf
Ungleichheit ohne jedwedes Korrektiv. [.] Ein Beispiel dafür sind die
Leitungswahlen auf der Basis von Listen: 'the winner takes it all', was
bedeutet, dass Minderheiten gar nicht repräsentiert sind und in der Regel
die Kandidaten von Iglesias' Gnaden durchkommen". Inhalte und nach außen
vertretenen Positionen sollen an das "Volksempfinden" angepasst werden. Die
"ohnehin wenig konkreten Aussagen über eine beabsichtigte
Gesellschaftsveränderung werden beständig noch weiter verwässert, um sie
potentiellen Wählern und Unterstützern verdaulicher zu machen".

Gari sieht innerhalb Podemos aber auch "viele unterschiedliche Strömungen,
deren Engagement nicht beim Wahlkampf aufhört, sondern die aktiv dafür
kämpfen, dass das Volk die Macht ergreift, um eine politische und soziale
Veränderung herbeizuführen". Er selbst ist Mitglied von "Izquierda
Anticapitalista", der spanischen Sektion der IV. Internationale und Podemos.
Sein Artikel endet mit folgenden Zeilen: "Die Probleme und Widersprüche, die
bei Podemos existieren, sind allgemein bekannt. Wir lösen sie nicht indem
wir davor fliehen oder uns dem Druck von oben anpassen. Nur wenn wir dagegen
halten, können wir eine antikapitalistische Alternative aufbauen. Wenn wir
dabei voran kommen, findet dies nicht nur in Spanien Widerhall sondern hat
Auswirkung auf die gesamte antikapitalistische Linke in Europa."

*ro*die*


[1] Quelle: http://orf.at/stories/2276591/
[2] Quelle:
http://de.euronews.com/2015/05/01/spanien-podemos-mitbegruender-tritt-zurueck/
[3] Siehe: "A "andas" Kandidaturprojekt?" auf
http://akin.mediaweb.at/2015/08wwanda.htm
[4] Siehe: "Linksprojekt schon gescheitert" auf
http://akin.mediaweb.at/daz/index8de3.html



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