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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. April 2015; 16:55
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Prozesse:
> Unsterblich-Prozeß: Zweimal zwei Schuldsprüche
Der Prozeß um den Überfall auf das EKH am Montag mit Verurteilungen auch der
Überfallenen
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Salomonisch sollte es wohl wirken, was Richter Michael Tolstiuk da im Prozeß
gegen zwei (von insgesamt sieben beschuldigten) Hooligans des
Austria-Fanclubs "Unsterblich" und gegen zwei linke Gewerkschafter urteilte:
Auf beiden Seiten -- beim Überfallkommando der Hooligans und bei den im
EKH-Haus Überfallenen -- gab es fast gleichlautende Strafbemessungen:
Jeweils rund 1 Jahr bedingt auf 3 Jahre, zuzüglich Schmerzensgeldzahlungen.
Die Vorgeschichte: Am 27. Oktober 2013 haben etwa 30 Mitglieder von
"Unsterblich" -- eines 2013 vom Verein ausgeschlossenen rechtsextremen
Fanklubs der Austria Wien -- die Räumlichkeiten der ATIGF(Föderation der
Arbeiter und Studenten aus der Türkei) im Ernst-Kirchweger-Haus (EKH)
gestürmt. Zu diesem Zeitpunkt fand dort gerade ein Treffen kommunistischer
Gewerkschafter*innen statt. Diese wurden von den Rechtsextremen angegriffen.
Ein Gewerkschafter erlitt dadurch u.a. eine Schädelprellung. Schließlich
konnten die Unsterblich-Eindringlinge aus dem Haus vertrieben werden.
Die Anklage gegen die Angreifenden lautete auf Hausfriedensbruch und in
einem Fall zusätzlich Körperverletzung. Obwohl zwei Personen nahe des EKH
beim Zeigen des Hitlergrußes gesehen und zweifelsfrei identifiziert worden
waren, war der Anklagepunkt Wiederbetätigung fallen gelassen worden.
Vor Gericht standen nun aber nicht nur sieben der angreifenden Neonazis,
sondern auch zwei Gewerkschafter unter dem Vorwurf der Körperverletzung --
zu verdanken hatten das die beiden letzteren hauptsächlich dem ursprünglich
für diesen Fall zuständigen Staatsanwalt Hans-Peter Kronawetter (bekannt aus
anderen Prozessen gegen Linke wie etwa Hueseyin S. oder dem
Akademikerball-Demonstranten Josef S. aus Jena). Da die Hooligans nach dem
Überfall mit Stöcken auch noch auf die Straße verfolgt worden waren, war
laut Staatsanwaltschaft keine Notwehrsituation gegeben.
Am letzten der 5 Prozeßtage am 20.April wurde mit einem Gutachten über die
Gesundheitssituation des geschlagenen Gewerkschafters das Beweisverfahren
beendet und nur mehr die Plädoyers waren zu hören.
Da Kronawetter zur Korruptionsstaatsanwaltschaft berufen wurde, liess er
sich von einer Kollegin vertreten. Diese bezweifelte, dass es sich bei den
zwei angeklagten Gewerkschaftern um Notwehr gehandelt habe. Um das zu
belegen, zitiert sie die Aussagen, man wollte die ins Haus gelangten
"dingfest machen" und "dann hat die Jagd begonnen." Zu den sieben
Angeklagten von Unsterblich äußerte sie sich im Abschlussplädoyer fast
nicht.
Der Unsterblich-Verteidiger forderte Freisprüche für alle 7
Hooligan-Beschuldigten, da man nicht zu 100% sicher sein könne, dass diese
hier dabei waren und diese Handlungen gesetzt hätten.
Der Verteidiger der Gewerkschafter über die Verfolgung der Hooligans: "Was
wurde gemacht? Es wurde versucht, die Gegner 'dingfest zu machen',
'anzuhalten'. Das ist meiner Sicht nach, nicht nur opportun, sondern eine
Bürger*innenpflicht." Er erklärte außerdem, dass das richtig gewesen sei,
denn wie sich herausgestellt habe, wäre die Polizei viel zu spät gekommen,
obwohl sie sofort informiert worden war.
Das Urteil: Zwei der Unsterblich-Angeklagten wurden der Körperverletzung
schuldig gesprochen, einer zusätzlich noch des Hausfriedensbruches. Die
beiden Gewerkschafter wurden der schweren Körperverletzung schuldig
gesprochen. Erstere wurden zu 14 bzw. 12 Monaten bedingt verurteilt,
zweitere zu jeweils 12 Monaten. Bei den Hooligans wurde die Vorhaft
angerechnet. Wegen der Schmerzensgeldforderungen fielen außerdem Zahlungen
in Höhe von EUR 1.540 für die beiden Gewerkschafter sowie eine Zahlung in
Höhe von EUR 3.400 für einen der Unsterblich-Angeklagten an.
Der Richter erklärte, dass nur im Falle von zwei der Unsterblich-Angeklagten
sicher festgestellt werden konnte, dass sie anwesend gewesen wären. Das Ziel
war offenbar "vor dem Match ein bisschen aufzumischen" und deswegen beim EKH
vorbeizuschauen und "für Unruhe zu sorgen". Es sei dann so gewesen, dass die
beiden verurteilten Hooligans versucht hätten, einzudringen, was einem von
ihnen auch gelungen sei. Dieser habe dann einem Gewerkschafter Faustschläge
versetzt. Zu den Gewerkschaftern meinte der Richter: "Sie haben versucht, da
drübergeben zu wollen, dass das Eindringen abgewehrt werden sollte." Was
aber in weiterer Folge versucht worden sei, wäre nicht mehr Notwehr gewesen.
Man habe sich "Stöcke geschnappt und eine 'Jagd begonnen'. Das sind Worte,
die von Ihnen kommen." Außerdem hielt Richter Tolstiuk es für unglaubwürdig,
dass man mit den Stöcken nur dasteht. Er ging davon aus, dass damit auch auf
eine Person eingeschlagen wurde. Er sei "jedenfalls zu Ansicht gelangt",
dass "auf den Unsterblich-Angeklagten eingeschlagen worden ist".
Die Hooligans hab das Urteil angenommen, die Gewerkschafter erbaten sich
Bedenkzeit.
(prozessreport/akin)
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WWWebtip:
> prozess.report
Derzeit ist die Justiz gerade wieder sehr aktiv bei politisch konnotierten
Prozessen, von denen sich viele gegen Linke richten. Die Berichte in dieser
akin über einschlägige Fälle beruhen großteils auf den Informationen, die
der sehr ausführliche Blog http://prozess.report
bereithält, der an dieser
Stelle wieder einmal wärmstens empfohlen werden soll. Auf diesem Blog finden
sich Hintergründe, Rechtsverweise sowie jeweils aktuell die Mitschriften
gerade laufender Prozesse.
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