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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. April 2015; 17:23
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Xund/Glosse:

> CSU und SPD blasen zur Jagd auf Depressive

Wenn jetzt der bayrische Innenminister Joachim Herrman (CSU) Berufsverbote
für Depressive (1) verhängen will, könnte man auflachen und rufen: "Ach,
diese Bayern mal wieder". Solcherlei inhumanen Quatsch kennt man ja von
diesem Gebirgsvolk, dessen derzeitiger Ministerpräsident Horst Seehofer 1987
verlangt hatte, HIV-Infizierte in "speziellen Heimen zu konzentrieren"
(sic). Leider ist es mittlerweile so, dass dort, wo zur Jagd auf Menschen
geblasen wird, die SPD dringend mitblasen möchte, und so kann sich auch
SPD-Vizebundestagsfraktionsvorsitzender Karl Lauterbach vorstellen, an
Depression erkrankten Menschen die Ausübung ihres Berufes zu verbieten. Bei
Lauterbach klingt das noch schlimmer als beim CSUler: "Wenn etwa eine
gefährliche Depression eindeutig diagnostiziert wird und sich der Patient
einer Behandlung verweigert, wäre ein Berufsverbot die letzte Konsequenz".

"Gefährliche Depression" - da ist er wieder, der Mythos vom gefährlichen
Irren, rücksichtlos geschürt von populistischen Politikern. Nicht weniger
als 58 Prozent wollen laut einer repräsentativen Umfrage depressive Menschen
durch Berufsverbote zusätzlich stigmatisieren. Früher mal lag ein Vorteil
der repräsentativen Demokratie darin, dass Politikerinnen nicht jede
Verfolgungslust, die sich von Boulevardmedien geschürt im Volk breitmachte,
übernehmen mussten. Das ist spätestens seit den Jahren der rot-grünen
Regierung in Deutschland vorbei. Unter Gerhard Schröder wurde zum Beispiel
das menschenrechtswidrige "vorsorgliche" Wegsperren psychisch Kranker massiv
forciert. Rot-Grün brachte jene Verschärfungen, die den Fall Gustl Mollath
(2) erst möglich machten.

Hinter den Forderungen nach Berufsverboten für Depressive steckt aber nicht
bloß die Psychopathie populistischer Politiker; es geht wohl auch darum, dem
epidemischen Anstieg depressiver Erkrankungen in unserer
Höher-Schneller-Weiter-Gesellschaft durch repressive Maßnahmen gegen die
Kranken zu begegnen. In Österreich und der Schweiz hat man die
Invalidenrenten abgeschafft, um zu verhindern, dass sich Depressive dem
Zwang, irgendeinen Nutzen als Arbeitskraft zu haben, entziehen können.
Kombiniert man dies mit der Verleumdung psychisch Kranker als gefährlich,
kann man sich in etwa vorstellen, was in absehbarer Zeit auf die Betroffenen
zukommen wird, nämlich entweder die Abdrängung in Obdachlosigkeit und Elend
oder die Zwangsarbeit in "Betreuungseinrichtungen", wo sie unter der
Aufsicht von Ärzten, Pflegerinnen und Wachdiensten Körbe flechten und
ähnlichen Tätigkeiten nachgehen werden.

Viele Jahre lang haben Psychologen, Psychiaterinnen und Medien versucht,
psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. Kein Artikel über Depressionen
kam ohne die Aufforderung aus, Betroffene sollten sich nicht scheuen,
professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nun sehen wir, dass die
spektakuläre Untat eines einzelnen Menschen, von dem noch nicht mal sicher
ist, dass Depressionen ihn dazu getrieben haben, ausreicht, um alle Versuche
der Aufklärung über psychische Andersartigkeit zunichte zu machen. Der
Kranke wird wieder zum "gefährlichen Irren", dem man Fluglizenz und
Führerschein wegnehmen muss und den man am besten wegsperrt. Unter diesen
Umständen kann man Menschen, die an Depressionen leiden, nicht mehr ruhigen
Gewissens raten, sich in Behandlung zu begeben. Schon wird an der
Verschwiegenheitspflicht der Ärzte gerüttelt. Psychisch Kranke könnten bald
in einem Register landen, auf das die Behörden Zugriff haben. Und dann kommt
eines Tages ein Brief des Inhalts, dass man seinen Führerschein beim Amt
abzugeben habe und sich zur Umschulung anmelden müsse, da man
bedauerlicherweise nicht mehr als Taxifahrer, Sanitäter, Lehrerin,
Kranführer, Chirurgin und Buschauffeur arbeiten dürfe.

Ein Berufsverbot für Politiker, die sich auf Kosten kranker Menschen als
Sicherheitsapostel profilieren, fordert unterdessen niemand, obwohl doch
ganz klar ist, dass die mehr Schaden anrichten, als es alle psychisch
Kranken zusammengenommen je könnten.
*Bernhard Torsch*

Blog: lindwurm.wordpress.com

(1) "Vor dem Hintergrund des Germanwings-Absturzes in den französischen
Alpen, der vom Copiloten absichtlich herbeigeführt worden sein soll, mehren
sich die Forderungen nach Berufsverboten für Menschen mit schweren
Depressionen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte nun ..., er
halte ein solches Berufsverbot für denkbar."
http://www.sueddeutsche.de/panorama/bayerns-innenminister-herrmann-haelt-berufsverbot-bei-depressionen-fuer-denkbar-1.2430073

(2) Gustl Mollath wurde 2006 wegen mehrerer ihm angelasteter Delikte und
gleichzeitiger, durch Gutachter festgestellte Schuldunfähigkeit gerichtlich
in den psychiatrischen Maßregelvollzug eingewiesen. 2014 wurde in einer
neuen Hauptverhandlung in einem Wiederaufnahmeverfahren festgestellt, dass
die Einweisung unrechtmäßig war.
http://de.wikipedia.org/wiki/Gustl_Mollath

*

Kasten:

> Österreichische Rechtssituation

Die "Arge Daten" hat sich in einer Aussendung ebenfalls mit dem Thema
beschäftigt und wies in einer Aussendung unter anderem darauf hin, daß die
Rechtslage bezüglich Pilotentauglichkeit hierzulande eine andere ist als im
Heimatland der Germanwings:

"Viel wurde spekuliert über den Gesundheitszustand des Co-Piloten, aber auch
darüber wie man die Katastrophe hätte verhindern können. Oftmals war in
diesem Zusammenhang von einer Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht die
Rede. Vergessen wird in diesem Zusammenhang oft, dass im Rahmen der
jährlichen Tauglichkeitstests, bereits jetzt Fliegerärzte sensible Daten der
Piloten an die Austro Control weitergeben müssen. Während in Deutschland
bloß die Meldung 'tauglich/nicht tauglich' an die zuständige Behörde
übermittelt wird, ist die Verschwiegenheitspflicht in Österreich bezüglich
Piloten schon jetzt stark eingeschränkt. Eine Lockerung der ärztlichen
Verschwiegenheitspflicht über die jährlichen Tests hinaus, ist jedenfalls
nicht zielführend. Der Pilot würde dazu neigen, dem Arzt nicht alles zu
erzählen, aus Angst seine Lizenz zu verlieren. Und auch Katastrophen, wie in
Frankreich, könnten dadurch wohl nicht verhindert werden."
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