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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 1. April 2015; 10:06
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Verwortet:
> "Ohne Chemie"
Neulich hab ich in jenem Gratisblatt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat,
die Wiener Bevölkerung während der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel
fortzubilden, zum Thema "richtiges Duschgel" Folgendes gelesen: "Das Problem
dabei ist aber, dass viele Duschgels Tenside enthalten. ... Leider trocknen
sie auch unsere Haut aus. Fragen Sie deshalb ganz gezielt in Apotheken oder
Reformhäusern nach Lösungen ohne Tenside."
Nunja, es gibt wirklich Duschgel ohne Tenside -- zum Beispiel mit
"marrokanischer Lavaerde". Allerdings ist das lediglich die noble Version
von Reibsand. Total biologisch, aber ob mechanisches Abrubbeln soviel besser
für die Haut ist? Nein, will man sich waschen braucht man wohl doch eher
Waschmittel, also Tenside! -- 'Aber man kann doch auch Bioseife nehmen, ganz
ohne Chemie'. -- Blöd nur, daß erstens Seife mehr oder weniger nur ein
anderes Wort für Tensid ist und zweitens nicht auf dem Seifenbaum wächst, um
von dort biologisch-dynamisch per Hand gepflückt zu werden, sondern selbst
die Superduperteuerst-Bio-Seife das Ergebnis einer chemischen Reaktion ist.
In der klassischen Variante ist das die Reaktion von Triglyzeriden (das ist
das total ungesunde Zeug, das man vom Blutbild kennt) mit einer ziemlich
aggressiven Lauge (die man früher mit dem furchteinflößenden Wort
"Ätznatron" bezeichnet hat).
Damit wären wir beim Stichwort: "Chemie"! Während sich auch in
umweltbewegten und gesundheitsfetischistischen Kreisen mittlerweile
einigermaßen herumgesprochen hat, das es Unsinn ist, "gegen das Atom" zu
sein oder "genfreie Lebensmittel" zu fordern, ist der so formulierte Wunsch
nach einem Leben "ohne Chemie" doch ein kaum zu tilgender Topos. -- 'Du
weißt schon, wie ich's mein, ohne diese ganzen Gifte, ohne die chemische
Industrie, naturbelassen.' - Ahja? Knollenblätterpilze sind auch natürlich,
aber trotzdem will ich sie lieber nicht im Essen. Und ich werde die Erdäpfel
auch weiterhin kochen, bevor ich sie esse, weil ich eigentlich recht froh
bin über die chemischen Reaktionen, die da in der Knolle bei der Zubereitung
passieren. Daß ich beim Kochen auf das Verbrennen kurzkettiger
Kohlenwasserstoffe -- einem Produkt der chemischen Industrie --
zurückgreifen kann, ist übrigens auch nicht zu verachten.
"Alles Leben ist Chemie" hieß einmal eine Fernsehreihe im ORF. Die versuchte
klarzumachen, daß chemische Prozesse unsere ganze Existenz ausmachen. Denn
nicht nur die "Natur" um uns, sondern auch unser Körper ist eine einzige
biochemische Fabrik. Und der Homo sapiens hat irgendwann gelernt -- zu
Anfang sogar nur aus der Beobachtung natürlich vorkommender Prozesse -- sich
das Wissen um die Chemie anzueignen und es sich nutzbar zu machen. Ja, es
wird in der chemischen Industrie viel Gift produziert, aber eben auch viel
Gutes. Der moderne Mensch wäre nicht denkbar ohne naturwissenschaftlichen
Fortschritt. Und dazu gehört halt auch die böse Chemie.
*Bernhard Redl*
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