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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. März 2015; 15:52
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Polizei/Recht/Justiz:
> Bereit sein ist alles
*Philipp Sonderegger* über die "Bereitschaftseinheit" der Wiener Polizei.
Jungpolizistinnen [1], die das Handwerk beim Vertreiben von Bettlerinnen und
Straßendealerinnen lernen, sind für Übergriffe besonders anfällig.
Hintergründe zur Wiener Bereitschaftseinheit.
In den letzten Wochen haben drei schwerere Übergriffsvorwürfe gegen die
Wiener Polizei mediale Aufmerksamkeit erlangt. ORF-"Thema" berichtete am
9.3. von einem Übergriff gegen eine alevitische Familie beim Silvesterpfad.
Der "Falter" brachte den Fall einer Unternehmerin, die sich bei einer
Begegnung mit der Polizei an der Schwedenplatz-Tankstelle beträchtliche
Blessuren und obendrauf eine Widerstands-Anzeige holte. Und DerStandard.at
veröffentlichte ein Video, das zeigt, wie ein Polizist einem Passanten
rechtswidrig das Handy abnimmt, um ihn am Dokumentieren einer Amtshandlung
zu hindern.
Auffallend: Bei allen drei Vorfällen agieren Bereitschaftseinheiten der
Wiener Polizei. Und das ist vermutlich kein Zufall. Jungpolizistinnen, die
das Handwerk beim Vertreiben von Bettlerinnen und Straßendealerinnen lernen,
sind für Übergriffe besonders anfällig.
Die Wiener Bereitschaftseinheit (BE) wurde im November 2012 unter der
Federführung von Polizei-Vize Karl Mahrer gegründet. Die BE besteht derzeit
aus 170 Jungpolizistinnen, die nach ihrer Ausbildung für sechs Monate in der
Rossauer Kaserne stationiert werden [3]. Damit stehen der Polizeiführung an
Wochentagen zwischen 6 und 22 Uhr ein Kontingent von 40 - 50 Beamtinnen [4]
für Schwerpunktaktionen, den übergreifenden Streifendienst, Demonstrationen
sowie Rettungs- und Suchaktion zur Verfügung - ohne ständig die
Polizeiinspektionen personell zu belasten. Allerdings: die
Bereitschaftseinheiten stehen am Beginn ihrer Karriere und bringen für den
Dauereinsatz an den ordnungspolizeilichen Brennpunkten der Stadt nicht viel
Berufserfahrung mit.
Powerplay
General Mahrer nennt seine Truppe "die Powerplayer der Wiener Polizei".
Durch "uniformierte Präsenz an Hot-Spots" könne Kriminalität wirksam
verhindert werden, erklärte er anlässlich deren Einrichtung. Entsprechend
"sportlich" fällt die Adjustierung aus: Die Polizistinnen tragen Barett
statt Tellerkappe und die Hosenbeine des Einsatz-Overalls stecken in
Springerstiefeln. So patrouilliert die militärisch organisierte Einheit in
Gruppen von 6 Polizistinnen und hält Ausschau nach Verdächtigen. Praktisch
werden die Jungpolizistinnen vor allem beim Streifendienst in der U-Bahn und
bei Verkehrskontrollen eingesetzt. Bis Anfang 2015 wurden nach Angaben des
LPD Wien 5.000 Verhaftungen und schier unvorstellbare 160.000
Identitätsfeststellungen durchgeführt.
Formal ist die BE eine Sondereinheit, denn organisatorisch ist sie nicht in
die räumliche Struktur der Polizeiinspektionen integriert. Eine spezielle
Ausbildung oder gar eine Aufnahmeprüfung durchlaufen ihre Mitglieder jedoch
nicht. Im Gegenteil: die sechs Monate Dienst werden als Form der
Personalentwicklung und Teil der Ausbildung gesehen. "Die Beamtinnen und
Beamten lernen binnen kurzer Zeit das gesamte Spektrum der Polizeiarbeit
kennen", sagt General Mahrer. Zwischen den Jungpolizistinnen und den
Führungskräften vom Stammpersonal solle es "zu einem intensiven
Wissenstransfer kommen". Die Kommandantinnen der Gruppen verfügen laut
Konzept über eine Chargen-Ausbildung (E2a) oder sind zumindest erfahrenere
Beamtinnen [5].
Kindersoldaten
Kürzlich hat Amnesty-Chef Heinz Patzelt gegenüber Medien die Abschaffung der
Bereitschaftseinheiten gefordert. Junge Polizistinnen würden in der BE durch
die durchwegs konflikt- und risikoreichen Einsätze "versaut".
Auch in der Polizei stößt das Modell auf Kritik, wenn auch nicht öffentlich.
Die Sozialisation in dieser Spezialeinheit verankere ein problematisches
Berufsbild, bedauert ein Polizeiausbildner des Innenministeriums. Er nennt
die BE "Kindersoldaten". Früher seien die Beamtinnen nach ihrer Ausbildung
auf den Inspektionen in ein soziales Netz erfahrener Kolleginnen und
Bürgerinnen des Rayons eingebettet gewesen. Dort hätten sie Polizeiarbeit
durch Reden gelernt, was im überwiegenden Polizeialltag das passende
Werkzeug sei.
"Nun patrouillieren die Jungen im Pulk durch die Stadt und vertreiben
Straßendealer und Bettler", so der Ausbildner im Gespräch. Das konterkariere
die Fortschritte, die in den letzen Jahren in der Ausbildung gemacht worden
seien. Den jungen Polizistinnen werde vermittelt: "Vergesst was ihr gelernt
habt. Hier seht ihr, wie Polizeiarbeit in Wirklichkeit funktioniert." Dabei
sei in den vergangenen Jahren sehr viel Energie in die Reform der
Rekrutierungs- und Ausbildungsprozesse geflossen, um Rambos auszusieben und
soziale und kommunikative Kompetenzen zu fördern.
Die Vorfälle der letzten Wochen scheinen der Kritik Recht zu geben.
Bürgerinnen- vs. Königspolizei
Hinter der Kritik steht eine Auseinandersetzung um das Selbstverständnis der
Polizei. Das modernere Modell ist die "Bürgerinnenpolizei". [6] Sie
legitimiert sich durch den Dienst an der Bevölkerung. Es ist eine zivile
Polizei - steht in der angelsächsischen Tradition und ist personifiziert im
britischen "Bobby". Lokal verankerte Beamtinnen kennen die Nachbarschaft
durch persönlichen Kontakt im Streifendienst zu Fuß. Viele Schwierigkeiten
können so präventiv oder informell bearbeitet werden, lange bevor das
Strafrecht ins Spiel kommt. Kriminal- und Staatspolizei pflegen Kontakte ins
Milieu und kennen ihre Pappenheimerinnen.
Das traditionellere Modell wird in der Polizeiliteratur "Königspolizei"
genannt; im Vordergrund steht der Schutz der bestehenden Ordnung vor der
Bevölkerung. Dieses militärisch organisierte Polizeisystem braucht keine
sozial und kommunikativ kompetenten Beamtinnen, weil sie nicht auf
Prävention setzt, sondern auf Repression. Die meist überregional
organisierten Einheiten - Paradebeispiel ist die französische
Gendarmerie -kommen zum Einsatz, wenn es gilt, die Symptome bereits
virulenter gesellschaftlicher Konflikte zu unterdrücken.
Die größte Menschenrechtsorganisation ?
Entwickelt wurden die Wiener Bereitschaftseinheiten von Oberstleutnant
Werner Granig, der in der Wiener Polizei Sondereinsätze plant und leitet.
Davor hatten vor allem AUF-Gewerkschafter jahrelang für ein solches Konzept
lobbyiert. Mahrer dürfte dann mit der Umsetzung mehrere Motive verfolgt
haben. Erstens kann er den Boulevardmedien am laufenden Band
Schwerpunktaktionen und Zugriffe im Drogenmilieu präsentieren. Bei den
Sicherheitstagen 2015 bezeichnete der Vizepräsident die Bedienung des
"subjektiven Sicherheitsgefühls" dann auch ausdrücklich eine Aufgabe der
Wiener Polizei.
Zweitens muss er bei Schwerpunktaktionen nicht mehr auf die Personaldecke in
den Polizeiinspektionen Rücksicht nehmen. Und drittens konnte mit der BE
auch eine langjährige Forderung der Freiheitlichen Personalvertreter
umgesetzt werden. Womöglich war das eine pragmatische Entscheidung im Sinn
der Machtbalance. Denn andererseits implementiert Mahrer auch zielstrebig
Elemente der Bürgerinnenpolizei, etwa Kontaktbeamtinnen für Gemeindebauten,
oder die Zusammenarbeit mit der Wiener Sucht- und Drogenkoordination.
Konrad Kogler, Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, hat der
Polizei das Ziel gesteckt, die größte Menschenrechtsorganisation zu werden.
Viele Bemühungen der letzten Jahre im Bereich der Ausbildung deuten darauf
hin, dass es wesentlichen Teilen der Polizei mit dieser Ansage durchaus
ernst ist. Doch die Wiener Polizeiführung muss sich die Frage gefallen
lassen, ob sie mit der Bereitschaftseinheit nicht alle Bemühungen zunichte
macht, die Organisation durch eine moderne Ausbildung längerfristig von
Grund auf zu modernisieren.
Blog:
http://phsblog.at/bereitschaftseinheit/
Fussnoten
1. Männer werden mit gemeint
3. 2012 wurde mit 100 Beamtinnen gestartet, im Oktober 2013 sollen es 120
gewesen sein, für Ende 2014 wurde mit 200 Beamtinnen kalkuliert, der
Ist-Stand von 170 wurde hier angegeben.
4. Zahlen: Stand bei der Gründung
5. Zum Ausbildungsgrad der Gruppenkommandantinnen siehe hier
6. Zu Bürgerinnen vs Königspolizei zum Beispiel: Winter Martin: Police
Philosophy and Protest Policing in the Federal Republic of Germany,
1960-1990. in: Della Porta/Reiter (eds.): Policing Protest, University of
Minnesota, 1998.
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