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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. März 2015; 15:43
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Polizei/Recht/Justiz:

> Drogenpolitik zu umständlich

Geplante Strafrechtsnovelle 2015 sehr durchwachsen

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"Die Forderungen von Experten zur Entkriminalisierung von Cannabis sollen
durch die geplante Strafrechtsreform offenbar umgesetzt werden. Ärzte und
Strafrechtler haben zuletzt gefordert, dass erst wer mehr als 5 Gramm
Marihuana oder Haschisch hat, von Polizei und Justiz verfolgt werden soll.
Und genau in diese Richtung geht auch das Justizministerium." So berichtet
es der ORF (Mittagsjournal, 6.3.). Mit der Realität hat das genau nichts zu
tun -- denn weder hat der Novellenentwurf etwas speziell mit Cannabis zu tun
noch geht es um Entkriminalisierung.

Wieder einmal wird am Suchtmittelgesetz (SMG) herumgedoktert. Während
anderswo Cannabis legalisiert wird und die Entkriminalisierung des Besitzes
harter Drogen in Diskussion steht, bewegt sich hierzulande lediglich dann
etwas, wenn die Bürokratie mit der Gesetzeslage überfordert ist.

Der Ansatz des Justizministeriums nun wenigstens nicht mehr gleich mit einer
Strafanzeige auf den Besitz auch nur eines Fuzzerls Gras zu reagieren, hat
nämlich wenig mit der Einsicht einer falschen Politik zu tun.

Wenn man die Erläuterungen zum Novellenentwurf liest, kommt das zuerst
einmal recht einsichtig daher: "Mittlerweile ist anerkannt, dass Sucht eine
Erkrankung ist, deren Entstehung komplexe Ursachen und Zusammenhänge hat und
nicht als eine Charakterschwäche oder moralisches Fehlverhalten anzusehen
ist. Die Ursachen für die Entwicklung eines Missbrauchs- oder Suchtproblems
liegen nicht bloß in der Verfügbarkeit von psychoaktiven Substanzen (wie
z.B. Alkohol, Tabak oder illegale Drogen) oder sonstigen Angeboten (z.B.
Glückspiel), an denen sich eine Suchterkrankung manifestieren kann.
Suchtprävention und Suchthilfe müssen daher bei den Ursachen für mögliche
Problementwicklungen ansetzen und im Fall der Entwicklung problematischen
Konsums auf die Minimierung schädlicher Folgen zielen."

Ah ja! Ist halt nur eine Themenverfehlung, weil es im SMG nur um Drogen
geht, die verboten sind. Und laut SMGgibt es Cannabis-Süchtige, aber keine
Alkohol-Süchtigen.

Für die Konsumenten von illegalen Drogen soll die Repression jetzt weiter in
Richtung Therapiezwang verschoben werden: "Gesundheitsbezogene Maßnahmen
sollen, wo sie geboten sind um die Verfestigung von Konsummustern mit
Risikopotenzial bzw. die Entwicklung von Abhängigkeit zu verhindern, in
einem frühen Stadium ansetzen. Die Dauer des Suchtmittelmissbrauchs kann
sich erheblich auf das Therapieverhalten und die Erfolgswahrscheinlichkeiten
auswirken. Aus diesem Grund sollen die als geboten erkannten
gesundheitsbezogenen Maßnahmen so rasch wie möglich ansetzen."

Sparsamkeit

Aber selbst das ist nicht der wirkliche Grund für diese Novelle. Es ist
schlicht das Personal nicht da, um sich um alle Fälle zu kümmern -- vor
allem, wenn es dann sowieso nicht zu einer Verurteilung kommt: "Die
Sinnhaftigkeit jener Fälle, die - nach nicht unbeträchtlichem
Verfahrensaufwand - zwingend einzustellen sind, wird von den damit befassten
Polizisten und Justizbediensteten regelmäßig in Frage gestellt."

Und vor allem dauert es zu lange, wenn sich zuerst die Polizei mit dem Thema
beschäftigt und nicht gleich die Gesundheitsbehörde: "Ein rascheres Handeln
wäre auch im Sinne der jüngsten Judikatur des VwGH geboten. So setzt die
Erlassung eines Ladungsbescheides durch die Verwaltungsbehörden eine gewisse
Aktualität des angeblichen Suchtmittelkonsums voraus. Nach neueren
Erkenntnissen des VwGH [...] wurden Ladungsbescheide, die aufgrund eines
vier Monate zurück liegenden Konsums erlassen wurden, wegen Rechtswidrigkeit
behoben. Der derzeitige Verfahrensablauf lässt diese rasche Reaktion der
Gesundheitsbehörden in vielen Fällen nicht zu."

Wirklich die Drogenpolitik ändern will das Justizministerium aber kein Jota:
"Mit der vorgeschlagenen Änderung soll Österreich dem internationalen Trend
der Ressourcenkonzentration auf schwerwiegendere Suchtgiftdelikte folgen,
ohne dass damit eine Entkriminalisierung einhergeht. Die hier
vorgeschlagenen Regelungen ändern nichts an den Straftatbeständen".

Das Innenministerium hat dazu fast zeitgleich neue Statistiken vorgelegt:
Die Eifrigkeit der Polizeibeamten hat vor allem bei der Kriminalisierung
Jugendlicher erschreckend zugenommen. Wurden 2013 noch 2122 Drogendelikte
von Menschen bis zum 17.Lebensjahr zur Anzeige gebracht, waren es im Vorjahr
bereits 3640.

"Landfriedensbruch" wird "Schwere gemeinschaftliche Gewalt"

Auch im eigentlichen Strafgesetzbuch soll es mannigfaltige Änderungen geben:
Der gerade im Zusammenhang mit Ereignissen der letzten Zeit so oft
kritisierte §274 StGB "Landfriedensbruch" soll, so die Erläuterungen,
"zeitgemäß formuliert und präzisiert". Tatsächlich handelt es sich darum,
daß in der neuen Fassung mit dem Titel "Schwere gemeinschaftliche Gewalt"
geringfügige Einzeldelikte aus einer Gruppe heraus nicht mehr kollektiv
strafbar sein sollen. Bei Sachbeschädigungen sollen Mitglieder einer Gruppe
nur mehr dann unter den Bedingungen des §274 strafbar sein, wenn es sich um
Beschädigungen "kritischer Infrastruktur" (also etwa Einrichtungen der
Energieversorgung oder des Katastrophenschutzes) handelt -- die Beschädigung
eines öffentlichen Mistkübel soll also in Hinkunft kein Kollektivdelikt
sein. Ebenso muß bei Körperverletzungen eine Qualifikation als "schwer"
gegeben sein, um Mitglieder einer Gruppe ohne nachgewiesene persönliche
Täterschaft belangen zu können.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Reform des §84, wonach die
Verletzung eines Beamten nicht mehr wie bisher automatisch als "schwer" zu
qualifizieren sein soll.

Weiters wird der Verhetzungsparagraph 283 verschärft. Unter anderem soll
unter bestimmten Umständen auch das Leugnen historisch gesicherter
Verbrechen belangt werden können. Die Neufassung erscheint als
Pönalisierungsmöglichkeit von Dikriminierungen "über die Bande" gedacht zu
sein, ist aber nicht ganz unproblematisch, da damit auch die Freiheit der
Geschichtsforschung eingeschränkt werden könnte. Die Formulierungen lassen
sich bei schlechtem Willen sehr wohl als Gummiparagraph anwenden. Deren
Impact wird sich wohl erst nach Entstehen der einschlägigen Judikatur
abschätzen lassen.
*Bernhard Redl*


Novellen-Erläuterungen des Justiministeriums:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00098/fname_389872.pdf

Gegenüberstellung der Gesetzestexte alt und novellierte Fassung:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_00098/fname_389873.pdf



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