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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. März 2015; 15:45
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Glosse:

> Ein schlimmer Finger

"Was der Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Berliner Charité über
die psychotische Wahrnehmung zu sagen weiß, lässt sich mühelos auf das
Vorgehen der Regierung Tsipras übertragen. [...] Die spannende Frage ist,
wie man mit einer Regierung umgeht, die unter Halluzinationen leidet. Leider
deutet alles darauf hin, dass Tsipras und seine Leute ihren Wahn nicht mehr
unter Kontrolle haben." (Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer, 10.3.2015) (1)

"Was die Griechen-Radikalos liefern, das ist Irrsinn mit Methode. Jeder
Bürger hätte es verstanden, wenn die Finanzminister sie gestern hochkant aus
dem Sitzungsaal geschmissen hätten. Denn die griechische Regierung führt
sich auf, als müssten alle andern nach ihrer Pfeife tanzen. [...] Mal droht
Athen mit einem Grexit. Na, und? Raus mit euch und eurem Grixi-Graxi!"
(Bild-Gastautor Ernst Elitz, Gründungsintendant des Deutschlandradios,
10.3.2015) (2)

Das wird man doch noch sagen dürfen. Man darf beleidigen, diffamieren und
sogar nach dem Psychiater rufen. Aber eins darf man nicht -- den
Mittelfinger zeigen. Unabhängig von der müßigen Debatte, ob, wann, wie und
in welchem Zusammenhang Janis Varoufakis der deutschen Regierung den
Mittelfinger gezeigt haben soll: Was ist das schon gegen solche
Zeitungskommentare?

Aber den Mittelfinger zeigt man nicht. Sicher, über den Fingerzeig wird auch
deswegen mehr geredet, weil es ein jetziger Minister war, der ihn vor seiner
Amtszeit getätigt haben soll. Und natürlich auch deswegen, weil es der
griechische Finanzminister ist, von dem die Deutschen nach wie vor Demut
einfordern. Doch da ist noch etwas anderes, das Diktum nämlich des guten
Benehmens. Man darf in mehr oder weniger gepflegter Sprache -- zumindest
ohne Fäkalausdrücke -- schimpfen. Man darf ein ganzes Volk in seiner
ökonomischen Existenz gefährden. Aber man muß immer höflich sein dabei. Vor
allem auf dem diplomatischen Parkett und im Gespräch ranghoher Politiker.
"'Scheiße' sagt man nicht!" Das lernt man ja schon von klein auf.

Der Mittelfinger taucht immer wieder mal auf in der Politik. Und da sind
dann alle sehr empört. Erinnert sich noch jemand an die Debatte Jörg Haider
vs. Andreas Wabl im Nationalrat? Haider hatte vom Rednerpult aus
kindisch-diffamierende Wortspiele mit Wabls Namen gemacht. Darauf konnte man
eigentlich verbal nichts Sinnvolles erwidern. Wabl gab die einzig mögliche
richtige Antwort, eben den Mittelfinger. Dafür bekam er einen Ordnungsruf
und die Zeitungen waren empört über diese Geste. Haiders Beleidigungen
hingegen waren den Kommentatoren kaum eine Erwähnung wert.

Manchmal ist der Mittelfinger die einzige Antwortmöglichkeit. Er ist eine
klare Botschaft, daß jemand genug hat vom Verhalten des Gegenübers und nicht
die geringste Lust mehr verspürt, auf der vom Anderen gewählten
Gesprächsebene weiter zu diskutieren. Es ist ein Stopp, ein Zeichen das
sagt: Wenn wir miteinander reden sollen, dann sicher nicht mehr in dieser
Art.

Genau deswegen ist der Mittelfinger so schlimm für die deutsche
veröffentlichte Meinung. Denn der Mittelfinger ist nichts anderes als ein
Fingerzeig, daß das vom Gegenüber definierte Niveau dem Zeigenden einfach zu
gering ist. Und das läßt sich das Volk der Dichter und Denker halt nur
ungern sagen.
*Bernhard Redl*

(1)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-und-die-euro-verhandlungen-holt-den-psychiater-kolumne-a-1022699.html

(2)
http://www.bild.de/news/standards/ernst-elitz/kein-schrecken-ohne-ende-40088502.bild.html




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