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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 4. März 2015; 18:16
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EU:

> Neue Überwachungslawine

9/11 New York, die Anschläge von Madrid und London 2006, Paris und
Kopenhagen 2015, sie alle liefern Regierungen Grundlagen, um unter dem
Vorwand des "Anti-Terrorkampfes" tiefgreifende Eingriffe in unsere
Grundrechte im Eilzugstempo durchzuziehen. Viele Maßnahmen werden seit
Jahren geplant, und jedes neue Ereignis liefert Vorwand für weitere
Überwachungsmaßnahmen durch den Staat.


Seit 9/11 wurden 239 (!) sogenannte Anti-Terrorgesetze von der EU
beschlossen, nach den Anschlägen von Paris planen die EU-Innenminister nun
eine Vielzahl weiterer. Etwa die Neuauflage der EU-Vorratsdatenspeicherung
für Kommunikation (VDS) nur diesmal erweitert um Social Media, Speicherung
von Fluggastdaten und Finanzdaten, systematische Kontrollen von
EU-BürgerInnen an Außengrenzen.

Unmittelbar nach den Terrorattacken in Frankreich Anfang Jänner hatten sich
die Innenminister der sogenannten G-10 Länder in Paris getroffen. In ihrer
Erklärung von Paris legten sie den Schwerpunkt auf repressive Maßnahmen,
aber auch auf einige präventive Schritte. Vieles davon findet sich bereits
in der Schlusserklärung des EU-Innenministerrates vom Dezember 2014. Darin
findet sich z.B. bereits eine bessere Nutzung des Schengensystems zur
Sicherung der EU-Außengrenzen vor Ein- bzw. Ausreise mutmaßlicher Jihadisten
oder die "dringende Notwendigkeit", eine europäisches
Fluggastdatenaustauschssystem einzuführen. Fast gleichlautend war dann die
Erklärung der anschließenden EU-Innenministerkonferenz von Riga. Wir finden
in den Erklärungen vieles von dem, was seit Jahren in der Pipeline und in
Entwicklung ist, aber u.a. aus grundrechtlichen Bedenken bisher abgelehnt
wurde. Wir bringen hier für unsere LeserInnen eine Auszug der von der EU
beschlossenen bzw. geplanten Maßnahmen und Initiativen.

Hier ein Überblick

1. Systematische Kontrollen von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten an
Außengrenzen: Diese sind laut dem Schengener Grenzkodex ausgeschlossen,
zulässig ist lediglich "Mindestkontrolle" zur Feststellung der Identität
sowie zur Überprüfung der Echtheit und Gültigkeit des Reisedokuments. Um die
Kontrollen systematisch durchführen zu können, müssen die Mitgliedstaaten
aber Kriterien ("Risikoindikatoren") definieren. Dies ist nicht vor Ende
März zu erwarten. In Österreich wurde nach Medienberichten bereits an
Flughäfen damit begonnen.

2. Neue Kategorie zu "ausländischen Kämpfern" im Schengener
Informationssystem (SIS II): Im Schengener Informationssystem, der größten
EU-Polizeidatenbank, soll eine neue Kategorie "Ausländische Kämpfer"
eingeführt werden. Die dort gelisteten Personen können dann leichter
heimlich getrackt werden - eine Maßnahme, die längst (nicht nur gegen
"ausländische Kämpfer") immer öfter eingesetzt wird. Verdächtige sollen bei
der Ein- oder Ausreise in die EU von Grenzbehörden erkannt und dann
besonderen Maßnahmen unterzogen werden. Auch ein Reiseverbot nach einer
Passentziehung würde dort gespeichert. "Ausländische Kämpfer" meint
Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten, die nach Kämpfen in Syrien oder dem
Irak bzw. einer entsprechenden Ausbildung im Jemen nach Europa zurückkehren
und dort womöglich Anschläge begehen könnten.

3. Fluggastdatensammlung (Europäische Passenger Name Record - EU-PNR): Das
EU-Parlament hat die anlasslose Massenspeicherung von Fluggastdaten nun im
Februar beschlossen. Damit werden die Reisebewegungen aller Flugreisenden
überwacht und die Passagiere unter Generalverdacht gestellt. Mit der
Sammlung von Fluggastdaten auf Vorrat droht der Gläserne Passagier
Wirklichkeit zu werden, denn neben den Reisepassdaten sollen u.a.
ausführliche Kontaktangaben, Reiseroute, Informationen über Mitreisende
sowie Essenswunsch (vegetarische oder koschere Mahlzeiten) des Fluggastes,
Mailadressen, Handynummer und Kreditkartennummer und ev. sein
Gesundheitszustand gespeichert werden. Die EU-Innenminister wollen die
Flugpassagierdaten aller Personen, die in die EU ein- und ausreisen, für
fünf Jahre lang speichern. Die EU-PNR-Richtlinie soll bis Ende 2015
abgeschlossen sein.

4. Europol-Datensammlung "ausländischen Kämpfer": Die EU-Polizeiagentur
Europol richtet eine Datei "Travellers" ein, um dort Angaben zu verdächtigen
Personen zu speichern. Ihre Reisebewegungen sowie sonstige Informationen
sollen mit neuartigen Data Mining-Methoden ausgewertet werden.

5. Interpol-Datenbank für gestohlene und verlorene Reisedokumente: Diese
soll von Grenzbehörden zukünftig immer gemeinsam mit dem SIS II abgefragt
werden. Interpol fordert auch, Privatfirmen Zugang zu gewähren, wenn ein
Bankkonto eröffnet, ein Auto gemietet oder in ein Hotel eingecheckt wird.

6. Zusammenarbeit mit Drittstaaten: Auf Initiative der USA haben mehrere
Staaten und supranationale Organisationen 2011 das Global Counterterrorism
Forum gegründet. Unter Federführung der Niederlande und Marokkos wurde ein
Arbeitsschwerpunkt "ausländische Kämpfer" eingerichtet. Über das GCTF kann
auch mit anderen "Schlüsselländern" zusammengearbeitet werden. Hierzu
gehören Libyen, Algerien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Marokko, Tunesien und
der Irak. Ein besonderer Augenmerk liegt aber auf der Türkei, die für
"ausländische Kämpfer" als bevorzugter Transitstaat gilt.

7. Aufspüren und Bekämpfen von "Terrorismusfinanzierung": Polizeibehörden
sollen mehr Gebrauch von den bei Banken und Kreditinstituten auf Vorrat
gespeicherten Finanzdaten machen. Um internationale Finanzströme zu
entdecken, erlaubt die EU bereits jetzt US-Fahndern den Zugriff auf die
Bankdaten von Verdächtigen in Europa. Das TFTP-Abkommen, "Programm zur
Verfolgung terroristischer Finanzströme", gewährt seit 2010 Einblick in
Kontobewegungen.

8. Maßnahmen gegen "terroristische Online-Aktivitäten": "Instrumente und
Techniken" sollen entwickelt werden, um Twitter, Google, Microsoft und
Facebook zu umgehenden Löschungen zu veranlassen. Dabei ist die Abgrenzung
von Terrorismus und politischem Widerstand schwierig. Typischerweise werden
Personen und Bewegungen, die von einer Seite als gewalttätige, aber legitime
Untergrund- oder Widerstandskämpfer angesehen werden, aus einem anderen
Blickwinkel als Terroristen bezeichnet, und umgekehrt. In der EU
Terrorimus-Definition heißt es u.a., dass "Taten als terroristische
Straftaten eingestuft werden, wenn sie mit dem Ziel begangen werden, [...]
öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu
einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen,
verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines
Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren
[...]."

9. Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten: lt.
Sitzungsprotokoll der EU-Kommission will der EU-Innenkommissar Avramopoulos
eine "breit angelegte Konsultation" starten, ob es einen neuen Anlauf zur
Vorratsdatenspeicherung geben soll, diesmal ev. mit Ausweitung auf Social
Media. Der erste Vorschlag für eine neue EU-RL zur VDS soll bereits im März
vorliegen.

10. Cryptowars - Verschlüsselung mit Hintertür: IT-Anbieter sollen
sogenannte "Crypto-Keys" für Polizei und Geheimdienste hinterlegen, damit
diese dann verschlüsselte Verbindungen oder Mails überwachen können.

In einem von der Bürgerrechtsorganisation Statewatch geleakten Papier aus
dem EU-Rat ist die Rede davon, dass Internetanbieter ihre Codeschlüssel mit
Behörden teilen müssten. Diese wollen also eine Art Nachschlüssel für jede
digitale Kommunikation in der EU haben.

Wie eine Anfrage der futurezone beim Bundesministerium für Inneres (BMI)
ergab, will man auch in Österreich auf verschlüsselte Kommunikation
zugreifen dürfen. Auf die Frage, ob österreichische Behörden befugt sein
müssen, verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln oder zu umgehen,
antwortete der Pressesprecher des BMI, Karl-Heinz Grundböck: "Ja, das kann
im Anlassfall notwendig sein und ist in der aktuellen Sicherheitsoffensive
berücksichtigt." Wie genau das geschehen soll, blieb vorerst offen.
(Solidarwerkstatt/gek.)

Volltext mit Links:
http://www.werkstatt.or.at/index.php?option=com_content&task=view&id=1187&Itemid=77




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