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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Februar 2015; 12:47
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Recht:
> Und es geht doch um Blasphemie
Säkularisierung dauert im österreichischen Recht
§ 188 StGB
"Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand der 
Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft 
bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder 
eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder 
Religionsgesellschaft unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter 
denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit 
Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 
Tagessätzen zu bestrafen."
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Auf seinem Blog meinte Niko Alm kürzlich, der §188 des österreichischen 
Strafgesetzbuches ("Herabwürdigung religiöser Lehren") sei kein 
"Blasphemieparagraph", sondern wäre hauptsächlich dazu da, Äußerungen zu 
unterbinden, die dazu führen könnten, daß Gläubige auszucken und Anders- 
oder Nichtglaubenden an die Gurgel hupfen (siehe auch akin 3/2015).
Das ist nicht ganz unrichtig. Eine gewisse Analogie ist da zu sehen in den 
Bestimmungen über "Üble Nachrede" (§111 StGB) und "Beleidigung" (§115). Denn 
eigentlich muß man sich auch hier fragen, warum derartiges strafrechtlich 
belangbar ist -- schließlich handelt es sich ja doch wohl eher um eine 
Zivilrechtsangelegenheit. Tatsächlich ist das auch nach ABGB klagbar, sofern 
damit tatsächlich eine Schädigung (z.B. in der Kreditwürdigkeit) einhergeht. 
Doch finden sich diese "Handlungen gegen die Ehre" aus dem gleichen Grund im 
Strafrecht, wie derjenige, den Alm vermutet bezüglich der 
Religonsparagraphen: Man wollte Schlimmeres verhüten! Denn schon im 
19.Jahrhundert hatte man erkannt, daß Duelle eine etwas mittelalterliche Art 
der Streitbeilegung seien und verbat sie -- schließlich wollte man nicht, 
daß sich Adelige gegenseitig ausrotten, nur weil sie mal beleidigt sind. Um 
aber Gründe für ein Duell hintanzuhalten, rief man den Strafrichter zu 
Hilfe, der quasi stellvertretend Satisfaktion üben konnte.
Eine Kreisky-Erfindung?
Bernhard Kraut, ein anderer Blogger, meinte in diesem Zusammenhang, er 
wundere sich, warum §188 ausgerechnet 1975 unter der Regierung Kreisky in 
Kraft gesetzt worden sei. Auf den ersten Blick mag das tatsächlich 
verwundern, denn so steht es in allen Rechtsnachschlagewerken. Allerdings 
sind die meisten heute existierenden Strafrechtsparagraphen am 1.Jänner 1975 
in Kraft getreten, da 1974 das geltende Strafgesetzbuch in der großen Broda'schen 
Strafrechtsreform erst geschaffen worden ist.
Wenn man da aber ein wenig tiefer gräbt, erkennt man, daß der Ausdruck 
"Blasphemieparagraphen" für den §188 und seinen Nachbarn §189 "Störung einer 
Religionsübung" nicht ganz falsch ist. Denn das waren diese Bestimmungen 
ursprünglich.
Besagte Paragraphen hatten nämlich ihr Vorbild im alten Strafgesetz von 1852 
(StG). Dort behandelten recht ausdifferenziert die §§122-124 und 303-305 das 
Thema. Der Inhalt der heutigen Bestimmungen findet sich vor allem in §122 
lit. b und §303 StG wieder. Doch die anderen Buchstaben des 122er hatten es 
in sich. Im Extremfall war mit schwerem Kerker bis zu 10 Jahren bedroht:
"a) wer durch Reden, Handlungen, in Druckwerken oder verbreiteten Schriften 
Gott lästert; ...
c) wer einen Christen zum Abfalle vom Christentum zu verleiten, oder
d) wer Unglauben zu verbreiten oder eine der christliche Religion 
widerstrebende Irrlehre zu verbreiten sucht".
Also wenn es da nicht darum geht, Blasphemie zu unterbinden... Immerhin 
wurde 1868 -- in einer schweren Krise der Monarchie, wo diese auf die 
Wiedereinberufung des Unterhauses angewiesen war -- der Paragraph insofern 
abgemildert, daß die Verleitung zur Apostasie eines Christen und die 
Proselytenmacherei durch Konkurrenzreligionen nicht mehr abgestraft werden 
konnte. Doch Gotteslästerung und das Verbreiten von Atheismus blieben im 
Strafgesetz. Und zwar bis zu eben jener Strafrechtsreform unter Kreisky und 
seinem Justizminister Broda! Da wollte man dann den Paragraphen um des 
lieben Friedens Willen nicht ganz streichen, aber ihn doch in eine zivile 
Form bringen, die einigermassen hinnehmbar ist.
Anderes Beispiel Eherecht
Wie zäh das Kirchenrecht sich im österreichischen Recht hält, belegt aber 
auch ein anderes Beispiel: Das Eherecht! Denn bereits im 18.Jahrhundert 
wurde in der Habsburger-Monarchie die Zivilehe eingeführt. Nur: Eine 
Eheschließung vor einem staatlichen Beamten war lediglich dann möglich, wenn 
eine kirchliche Trauung nicht in Frage kam. Im Normalfall blieb das einem 
Geistlichen vorbehalten. Auch weitere Bestimmungen waren rein nach dem 
Kirchenrecht geformt; so waren bspw. Scheidungen für Katholiken nicht 
zulässig -- sicherheitshalber durfte man auch nicht aus der Kirche 
austreten, wenn man mal verheiratet war, um dieses Verbot nicht umgehen zu 
können. Die Pointe dabei: Codifiziert war das alles im Allgemeinen 
Bürgerlichen Gesetzbuch.
Um diese Konfessionsbindung loszuwerden, bedurfte es schon eines 
Gewaltaktes -- des Ehegesetzes der Nazis von 1938. Nach 1945 behielt man 
dieses Ehegesetz -- freilich bereinigt um die rassischen Bestimmungen --  
bei. Ansonsten hätte man den ganzen Unfug eines konfessionellen Eherechts 
wiederverlautbaren, also neu beschließen müssen, was mit SPÖ und KPÖ wohl 
nicht gegangen wäre.
Aktive Änderungen aber liessen dann noch lange auf sich warten. Es dauerte 
noch Jahrzehnte bis Mann und Frau sowie eheliche und uneheliche Kinder in 
Ehe- und Familienrecht und anderen Rechtsmaterien gleichgestellt wurden --  
zum Teil bis in die 1980er.
Wir bitten um Geduld
Wenn man mal das ORF-Gesetz, das Konkordat inclusive Religionsunterricht und 
ähnliche Absonderlichkeiten außeracht lassen möchte, ist das meiste an 
offensichtlich konfessionell geprägtem Recht -- und das heißt in Österreich 
üblicherweise mit katholischem Kirchenrecht durchsetzt -- getilgt.
Aber es ist halt sehr mühsam, feudal-klerikale Bestimmungen aus dem 
österreichischen Recht zu entfernen. Denn oft genug sind diese 
Rechtstraditionen kaum mehr erkennbar, wirken trotzdem aber immer noch in 
der ursprünglich intendierten Weise. Man darf sich da nämlich nicht täuschen 
lassen: Nur weil der Paragraph 188 heute so zivil und 
republikanisch-menschenrechtlich daherkommt, heißt das nicht, daß er auch so 
verstanden wird. "Historische Interpretation" heißt das unter Juristen, wenn 
sich die Frage stellt, was sich der Gesetzgeber einstens bei einer 
Bestimmung gedacht hat und wie sie daher angewendet werden solle. Da könnte 
ein Richter -- oder auch ein Höchstgericht -- angesichts der 
Rechtsgeschichte sehr wohl auf die Idee kommen, von der Judikatur der 
letzten Jahrzehnte abzugehen und wieder eine "Gotteslästerung" als 
"Herabwürdigung" zu verstehen und damit abzustrafen. Nicht umsonst war im 
Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramts bis vor nicht allzulanger 
Zeit dieser Paragraph auch mit "Blasphemie" beschlagwortet.
Der 188er ist eben doch ein Blasphemieparagraph. Doch selbst ohne diese 
Interpretation ist er ein Sonderrecht für jene Weltanschauungen, die sich 
auf einen unsichtbaren Weltherrscher berufen und wäre daher abzuschaffen.
Realistisch betrachtet wird es aber wohl noch weitere hundert Jahre dauern, 
bis das österreichische Recht endlich vollständig säkular ist.
*Bernhard Redl*
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