**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 4. Februar 2015; 18:48
**********************************************************
Griechenland:
> Erwägungen zu den "Unabhängigen Griechen"
Es gibt mehrere Programme oder Programmschwerpunkte von Syriza: das
Wirtschaftsprogramm, das Programm mit sozialpolitischem Schwerpunkt vom
September vergangenen Jahres, und vor kurzem ist ein Programm zur Reform der
Institutionen erschienen, das eben übersetzt wird.
Dies ist die Grundlage der künftigen politischen Tätigkeit, diese Programme
muß man kennen, wenn man die Arbeit von Syriza gerecht einschätzen möchte.
Syriza betont in bezug auf die europäischen Instanzen , daß das ("interne")
Programm von Saloniki (das vom vergangenen September), im Gegensatz zur
Schuldenfrage, die neuverhandelt werden muß, nicht verhandelbar ist - was
für uns aber mindestens so bedeutsam ist, ist, daß erstens ANEL, Anexártiti
Ellines, die Unabhängigen Griechen), die neuen rechten Kolaitionspartner der
linken Partei Syriza dieses Programm akzeptieren und daß dies die politische
Arbeit darstellt, die Syriza auf alle Fälle durchziehen wird, unbedingt und
ab sofort.
Das betrifft die nationale Ebene, das heißt die Reformen, die für die
Bevölkerung im Lande durchzuführen sind - aber in der Substanz stellt sich
ja bereits dieses Programm gegen die Diktate der Troika (die etwa die
Herabstufung des lächerlichen Mindestlohns oder der Pensionen - was mit
diesem Programm wieder zurückgenommen wird - in ihrem menschenhassenden
Machtwahn verfügt hat). Dieses Reformenpaket ist auch den ANEL gegenüber
nicht verhandelbar. Wir werden in Zukunft Syriza daran messen müssen,
wieweit die Reformen tatsächlich und bis zum letzten Punkt und Beistrich
umgesetzt werden.
Die Koalition mit ANEL stellt die europäische Linke tatsächlich vor ein
großes Dilemma. Es sind teils Rechte, teils Xenophobe und NATO-Befürworter,
kommen zum großen Teil aus der ND, in einem Fall gab es einen Zugang von
PASOK. Allerdings fand kürzlich auch ein Übergang aus den Reihen der AN.EL
zu Syriza statt.
Das Dilemma, in dem sich Syriza befand, der zur absoluten Mehrheit 2
Parlamentssitze fehlten - sie hätten 151 gebraucht, bekamen aber nur 149 -
war der Koalitionspartner. Um Politik machen zu können, muß auf die 151
zusammengerechnet werden, mit einem weiteren Partner, aber welchem?
Die KKE fällt seit jeher aus, obwohl Syriza auch hier zwei Mal versucht
hatte, in Gesprächen zu einer Art von Zusammenarbeit zu kommen, aber die KKE
wollte weder unterstützen noch dulden. Die Demokratische Linke schaffte es
nicht mehr ins Parlament und ist praktisch am Zerfallen, hatte aber, gegen
den Unmut eines großen Teils ihrer Basis, sich schon im vornherein gegen ein
Wahlbündnis mit Syriza ausgesprochen, nachdem Syriza monatelang um sie
geworben hatte, die Memorandenparteien PASOK und das neugegründete
Kunstgebilde des Erbes des großen Dynastie Papandreou kamen nicht in Frage,
Syriza hatte ihnen schon vorweg eine Absage erteilt - die Partei wäre aber
auch extrem unglaubwürdig gewesen, hätte sie sich auf so ein Spiel
eingelassen: zuerst gegen die Memoranden zu kämpfen und sich dann mit den
sozialdemokratischen Vernichtern der physischen und psychischen Existenz von
Hundertausenden Griechen und Griechinnen an einen Tisch zu setzen.
Potámi kommt mit einer extrem proeuropäischen sowie wirtschaftsliberalen
Position nicht in Frage und wäre wohl bei Verhandlungen der Syriza am Ende
noch in den Rücken gefallen. So bleiben nur ANEL, die auf der europäischen
Ebene, also in Hinsicht auf das Ziel von Neuverhandlungen mit Syriza
d´accord gehen.
Will Syriza den Hungerdruck auf Griechenland zumindest partiell brechen,
will Syriza die Belieferung deutscher und französischer Banken zügeln, will
Syriza ernst machen mit der Losung "Troika télos" (mit der Troika ist jetzt
Schluß!), wie es Lafazanis am Abend nach der geschlagenen Wahl ausdrückte,
dann kann sie das nicht allein machen, sondern nur mit einem Partner, der,
über die vorhin provisorisch als "intern" bezeichneten Ziele hinaus, auf der
"externen" Ebene, der Ebene des verhandelnden Kampfes gegen die europäischen
und internationalen Schakale, die gleichen Interessen verfolgt.
Und da bleiben eben nur die Unabhängigen Griechen übrig. Der Kampf um
nationale Unabhängigkeit, der in solchen Gebilden wie Deutschland oder
Österreich nie jemals irgendwie stattfand oder auch stattfinden konnte und
daher unbekannt ist (die Zelebrierung der völkischen Bewegung des 19.
Jahrhunderts wollen wir den Freiheitlichen überlassen), ist dagegen im
historischen Gedächtnis von Ungarn, Italien, Griechenland bis zum heutigen
Tag nicht nur präsent, sondern wirksam. Griechenland führte im 19.
Jahrhundert einen Befreiungskampf, der sowohl an Radikalität als auch an
Widersprüchlichkeit alles übertraf, was danach im 19. Jahrhundert an
nationalen Befreiungen geschah, und das Wort "national" hat eben in
Griechenland und in den anderen zitierten Ländern (nemzeti, ethnikós) eine
völlig andere Bedeutung als etwa in Deutschland oder Österreich. Nationaler
Widerstand (Ethnikí Andístasi) ist die offizielle Bezeichnung des maßgeblich
von den Kommunisten geführten Widerstandes in den Vierzigerjahren. Daher
wären die genuinen nationalen und soziale Befreiungsideologeme auch in einer
Organisation wie den Unabhängigen Griechen aufzuspüren und zu achten, wäre
der Motivation für den Kampf um nationale Unabhängigkeit nachzuspüren. Wenn
ein ganzes Volk, im besonderen dessen untere Volksschichten, gedemütigt
worden ist, wie es die Palästinenser werden oder früher die Juden wurden,
und jetzt exemplarisch die Griechen, und sie werden so gedemütigt, auch eben
durch Hunger, wie in den Vierzigerjahren durch die Aushungerungspolitik der
österreichischen und deutschen Besatzer, dann ist es kein Wunder, wenn
nationale Befreiungsimpulse sich zu organisatorischen Gebilden verfestigen,
und gerecht ist immer dann nationale Befreiung, wenn sie sich mit der
sozialen verbündet.
Es ist ein Kompromiß, ein notwendiger Kompromiß, und es wird doch niemand
behaupten wollen, daß die Mobilisierungen der breiten Massen bereits
imstande gewesen wären, eine Regierung, eine Vertretung der Volksmacht auf
die Beine zu stellen. Was hätte Syriza machen sollen? Sich wieder
zurückziehen?
Daher: Bedingte Solidarität mit der neuen Koalition, unbedingte Solidarität
mit dem Sozialprogramm - das von transform veröffentlicht und übersetzt
wurde.
Denn es handelt sich bei dem im Ausland noch triumphaler wahrgenommenen Sieg
der Syriza auch um den Sieg einer vielschichtigen europäischen Linken, die
zunächst bei den Kommunalwahlen in Spanien ein erstes elektorales Experiment
versuchen wird, aber auch bei der Neuformierung der kommunistischen Linken
in Italien - die derzeit ob der neuen Allianz ein wenig unter Schock steht:
Radical shock, so betitelte das manifesto heute einen seiner Artikel.
*Gegeninformationsinitiative Aug und Ohr*
*
Ergänzende Links
Um diese vorläufigen Überlegungen zu ergänzen, ist es nützlich, sich die
ausführlichen und bedachtsamen Überlegungen des Gen. Giovanopoulos (von
Solidarity4all) vor Augen zu halten bzw. anzuhören (
https://www.youtube.com/watch?v=4_dDI31GYHI&feature=youtu.be
), der keine
glatte Apologie der Allianz bringt, aber doch eine sehr tiefgehende
Erklärung.
Weiters sind relevant für unsere Thema Passagen aus Stellungnahmen des Gen.
Aristos vom Diktyo (Netzwerk für Politische und Gesellschaftliche Rechte,
http://diktio.org/ ),
https://www.youtube.com/watch?v=qUYLtxcONd8&feature=youtu.be
(englisch),
sowie des Gen. Chondros
(https://www.youtube.com/watch?v=wSBM7Xn37Z0&feature=youtu.be
), auf
deutsch. Alle drei Stellungnahmen/Analysen sind vom 26. 1.
Eine Gruppe von Blockupy aus Deutschland hat im Rahmen einer schnellen
fact-finding mission, während derer sie das ihnen ohnehin bekannte Lager
aufsuchten, doch sehr verdienstvoll u. a. diese drei Interviews gemacht, in
denen die haarige ANEL-Sache thematisiert wird. ("BLOCKUPY GOES ATHENS",
http://blockupy-goes-athens.tumblr.com/
)
Interessant sind auch die "Vier Thesen zur Griechenlandwahl" von Mosaik -
Politik neuzusammensetzen, einer von progressiveren und offeneren
Sozialdemokraten, Grünen und einem steirischen KPÖler, aber auch einigen
studentischen FunktionärInnen belieferten Seite
(http://mosaik-blog.at/hoffnung-statt-zynismus-vier-thesen-zur-griechenland-wahl/),
die Belieferer werden anschaulich aufgelistet unter:
http://mosaik-blog.at/wer-wir-sind/
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen
Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht
wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete
Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von
Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als
Abonnement verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann
den akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
Blog: https://akinmagazin.wordpress.com/
Facebook: https://www.facebook.com/akin.magazin
Mail: akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin
IBAN AT041200022310297600
BIC: BKAUATWW