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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Jänner 2015; 16:21
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Glosse:

> Die Sperrkette

Die Polizei trägt mehr Verantwortung an der Eskalation der NOWKR-Demo im
Jahr 2014, als sie eingestehen will. Das zeigt die Analyse der letztjährigen
Geschehnisse am Stephansplatz. Eine polizeitaktische Manöverkritik im
Vorfeld der kommenden Proteste am 30. Jänner 2015.
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Das Innenministerium hat den Einsatz der Polizei beim Akademikerball 2014
analysiert. Der Bericht wurde nicht veröffentlicht, gegenüber der ZIB 2 hat
das BMI aber bekannt gegeben, aus welchen Fehlern die Polizei lernen will.
wobei zwei Punkte genannt wurden. Erstens sei die Entladung des
Gewaltpotentials an Nebenschauplätzen unterschätzt worden. Zweitens hätten
hinzugezogene Beamtinnen [1] aus den Bundesländern nicht über ausreichende
Ortskenntnisse verfügt. Diese Analyse spart meines Erachtens den
wesentlichen Punkt aus: was lief bei der Auflösung der Kundgebung am
Stephansplatz schief und welche Rolle spielte dabei ein Sperrmanöver, das
der Eskalation unmittelbar vorausging? [2]

Es lohnt sich ein wenig ins Detail zu gehen, da die Kundgebung ohne das
Sperrmanöver womöglich friedlich verlaufen wäre. Die Ausblendung taktischer
Fehler ist ausserdem symptomatisch für die systematische Unterschätzung von
Polizeiverhalten als Eskalationsfaktor. Ein Problem, bei dem die Polizei in
anderen Staaten schon viel weiter ist. [3]

Das fragliche Sperrmanöver

Der NOWKR-Demonstrationszug war mit dem Endpunkt Stephansplatz angemeldet
und schwoll bis dahin auf 6 bis 7.000 Personen an [4]. Aus der Demonstration
heraus kam es vereinzelt zum Bewurf von Beamtinnen mit Knallern und
Flaschen. Beim Morzinplatz fuhren Einsatzeinheiten aus dem Burgenland und
Niederösterreich in Kleinbussen zu, die rund 100 Beamtinnen nahmen
Aufstellung im Spalier [5]. Doch sie wurden wieder abgezogen und auf der
restlichen Route begleiteten die Demonstration lediglich zwei Züge
Einsatzeinheiten "Lentos" aus Oberösterreich - also rund 50 Beamtinnen - die
an der Spitze gingen [6].

Und dann die entscheidende Szene: Um 18:50 Uhr erreichte der
Demonstrationszug über die Rotenturmstraße seinen offiziellen Endpunkt am
Stephansplatz und kam stockend zum Stillstand. Lediglich 25 Beamtinnen
bildeten an der Spitze der Demo mit ihren Schildern eine Sperrkette und
stellten sich dem noch formierten Demozug entgegen. Keine zwei Minuten
später war das Häufchen eingekreist, Kracher und Wurfgeschosse flogen auf
die Polizistinnen. Der zweite Zug Einsatzeinheiten stand zunächst seitlich,
dann eilte er herbei und kam ebenfalls unter Bewurf. Gleichzeitig strömten
die Demoteilnehmerinnen im Laufschritt ab [7]. Fünf Minuten später klirrten
am Graben und Am Hof die Scheiben. Als Verstärkung der WEGA eintraf, war die
Demonstration längst weg.

Verhältnismäßigkeit

Nun dürfte unstrittig sein, dass die Sperrkette die Demonstrantinnen nicht
aufhalten konnte. Aber inwiefern hat sie auch in unverhältnismäßiger Weise
zur Eskalation beigetragen?

Die Polizei darf ihre Befehls- und Zwangsgewalt nicht willkürlich anwenden.
Maßnahmen müssen verhältnismäßig - also geeignet, notwendig und angemessen
sein. Verhältnismäßigkeit ist dabei nicht in Bezug auf die Demonstrantinnen
zu verstehen, wie oft suggeriert wird. Frei nach dem Motto: "Die waren auch
nicht gerade zimperlich". Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit setzen
das eingesetzte Mittel mit dem angestrebten Zweck sowie den grundrechtlichen
Auswirkungen ins Verhältnis [8]: "Taugt das Mittel, die angenommene Gefahr
abzuwenden, oder richtet es mehr Schaden an? Ist ein Einschreiten überhaupt
notwendig? Oder wird das angestrebte Ziel auch mit einem gelinderen Mittel
erreicht?"

Zwei Szenarien: Sperrkette nicht notwendig oder nicht tauglich

Egal welches Szenario man der Sperrkette zugrunde legt; ob man die Demo
laufen lassen oder festsetzen wollte: das Manöver war entweder nicht
notwendig oder nicht tauglich - also jedenfalls unverhältnismäßig. Der
Demonstrationszug hatte den Endpunkt Stephansplatz zu diesem Zeitpunkt noch
nicht verlassen. Auch hatte die Behörde die Versammlung nicht für aufgelöst
erklärt. Das übliche Szenario wäre also gewesen, die Polizei bis auf ein
paar Beamtinnen an den Platz-Abgängen zurückzuziehen, so ein gruppenweises
Abströmen und die tatsächliche Auflösung abzuwarten. In diesem Szenario war
die Sperrkette nicht nur nicht notwendig, sondern sogar kontraproduktiv.

Für das zweite Szenario - ein Festsetzen der Kundgebung - waren vielleicht
die rechtlichen aber nicht die planerischen Voraussetzungen gegeben. Im Jahr
2012 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte leider [9] die
"Einkesselung" von Demonstrierenden als prinzipiell zulässig erklärt, wenn
sie die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden. Um allerdings eine -
von der Polizei noch dazu als potentiell unfriedlich antizipierte -
Kundgebung von 6 bis 7.000 aufzuhalten oder gar einzukesseln, hätte man
schon die Einheiten benötigt, die zuvor am Morzinplatz abgezogen wurden. In
diesem Szenario der Festsetzung hat eine Sperrkette mit 25 Beamtinnen kein
taugliches Mittel dargestellt.

Eskalation

Die Polizei hat demnach eine unnötige oder untaugliche Sperrkette errichtet
und damit einen unverhältnismäßigen Akt der Zwangsgewalt gesetzt. Die bis
dahin weitgehend friedlich gebliebene Demo eskalierte. Es ist keineswegs
müßig, darüber zu spekulieren, ob der gesamte Abend einen ruhigeren Verlauf
genommen hätte, wäre das fragliche Sperrmanöver der Polizei unterblieben. Es
ist durchaus plausibel, dass den Ausschreitungen am Stephansplatz und
anschliessend am Graben sowie Am Hof der unmittelbare Anlass gefehlt hätte.
Insofern trägt die Polizeiführung mehr Verantwortung für die Eskalation, als
sie bereit ist einzugestehen.

Man muss von der Polizei einfordern, dass sie verhältnismäßig vorgeht. Auch
angesichts einzelner unfriedlicher Teilnehmerinnen ist sie verpflichtet,
Eskalation abzuwenden und die Versammlungsfreiheit der friedlich gebliebenen
Demonstrantinnen zu schützen [10].

Philipp Sonderegger



Fussnoten

(1) Männer werden im gesamten Text mitgedacht.

(2) Abgesehen davon halte ich auch die angeführten "Fehler" nicht für
besonders stichhaltig. Bereits im Vorfeld der Kundgebungen kalkulierte die
Polizei öffentlich mit dezentraler Militanz. Zwei Tage vor dem Ball
begründete Polizeipräsident Gerhard Pürstl exzessive Platz- und
Vermummungsverbote mit der Befürchtung, "Ballgäste sollen überall attackiert
werden, wo sie erwischt werden". Weiteres Indiz: nicht alle
Polizeifunktionärinnen zeigten sich vom Verhalten der Demonstrantinnen
überrascht. Der Vorsitzende der WEGA-Personalvertretung machte angeblich [
http://www.fpoe.at/aktuell/detail/news/auf-herbert-wiener-fsg-vorsit/ ] gar
eine überzogene Lagebeurteilung der "Militaristen" im Bundesamt für
Verfassungsschutz und Terorrismusbekämpfung (BVT) für die Eskalation
verantwortlich. Zwei Monate nach der Kundgebung, wohlgemerkt. Auch mangelnde
Ortskenntnisse erweisen sich bei genauerem Hinsehen nicht gerade als
Game-Changer. Es wird nicht schaden, die Beamtinnen gut zu instruieren.
Allerdings agiert die Polizei bei derartigen Einsätzen in geschlossenen
Einheiten, die unter einem einheitlichen Kommando stehen. Weder
Standortbestimmung noch Orientierung obliegen der einzelnen Beamtin.

(3) Etwa HMIC, das britische Polizeiinspektorat: "Die klassische Theorie der
Massenpsychologie entkontextualisiert das Verhalten einer Menschenmenge. Es
wird angenommen, Menschenmassen seien irrational, gefährlich und leicht
durch Agitatorinnen zu manipulieren. Es ist evident, dass solche Mengen
kontrolliert werden müssen - vornehmlich durch Zwangsgewalt. Diese
theoretische Position resultiert darin, dass Polizei die heterogene
Zusammensetzung von Demonstrationen auf eine simple Dichotomie reduziert:
eine manipulierbare Mehrheit und eine gewaltbereite Minderheit. Diese
Theorie ist veraltet und wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Das
"Elaborated Identity Model" gilt heute als führende Theorie über das
Verhalten von Menschenmengen in der Massenpsychologie. Es berücksichtigt den
Einfluss der Umgebung auf Menschenmengen sowie die positiven und negativen
Auswirkungen von Polizeitaktik auf die Dynamik einer Kundgebung." Eigene und
zusammenfassende Übersetzung aus Adapting to protest - nurturing the British
model of policing, Seite 80ff.
http://www.justiceinspectorates.gov.uk/hmic/publication/adapting-to-protest-nurturing-the-british-model-of-policing/

(4) Ein Zug-Kommandant vor Ort laut Standard-Live-Ticker vom Prozess gegen
Josef S.

(5) Siehe Video http://youtu.be/lv1GvSXjXFE

(6) Ein Kommandant vor Ort laut Standard-Live-Ticker vom Prozess gegen Josef
S. https://derstandard.at/Jetzt/Livebericht/2000003366694/1000010668

(7) Siehe Video http://youtu.be/MQtl6W6sr6U

(8) Vgl OSZE/ODHIR - Guidelines on Freedom of Peaceful Assembly Sec Ed 2010,
Section B, Par 39 und 42 http://www.osce.org/baku/105947

(9) Die Eingriffsintensität von Polizei-Kesseln hängt von der Art der
Umsetzung ab. Letztes Jahr mussten 100 Festgäste der Akademie der Bildenden
Künste stundenlang bei Minusgraden in einem Kessel verharren. Die Polizei
suchte 2 Personen, hatte aber nicht ausreichend Beamtinnen mit Laptops zur
Verfügung, um die Identitätsfeststellungen rasch durchzuführen. Das, obwohl
der Menschenrechtsbeirat bereits im Jahr 2012 auf die Notwendigkeit einer
vorausschauenden Planung verwiesen hatte. Angesichts solcher
"Blöd-gelaufen"-Anfälligkeit wird in der Literatur vielfach geraten, von
Kesseln abstand zu nehmen - ebenso wie vom UN-Sonderberichterstatter für
Versammlungsfreiheit, der sich klar dagegen ausspricht (Abs 37):
http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/RegularSession/Session20/A-HRC-20-27_en.pdf

(10) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte: "an individual
does not cease to enjoy the right to peaceful assembly as a result of
sporadic violence or other punishable acts committed by others in the course
of the demonstration, if the individual in question remains peaceful in his
or her own intentions or behaviour" Ezelin v. France
http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-57675 und
Ziliberberg v. Moldova
http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-68119



Blog:
http://phsblog.at/die-sperrkette/



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