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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. Januar 2015; 16:17
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Glosse:

> die nabelschau der naiven ist tödlich

verwirrende tage, die ersten tage nach dem anschlag in paris. da waren wir
uns ganz schnell einig, dass das wieder so ein (urgeiler?) tag ist, der die
zeitlinie in ein davor und danach schneidet. ein tag, der fast wie
nine/eleven alles erschüttert. und schnell waren wir alle charlie. genauso
schnell waren wir dann doch nicht charlie, dann waren wir jews oder satire
und dann wieder einfach nur bernhard, sabine, till und francoise.

die berichterstattung über die anschläge und geiselnahmen überschlug sich
zwei, drei tage. auch der terror kann zum hype werden und sensationsgeil
sucht jedes dorf nach seinen eigenen kleinen dschihadist_innen. und schnell
kriechen die ewiggestrigen gemeinsam mit den hetzenden rassist_innen im
braunen schlamm aus hetze, hass und angst. nicht nur afd und pegida, fpö und
le pen, sondern auch andere vertreter_innen der law and order hardliner. die
einen wollen grenzen schliessen, die anderen am besten polizeikontrollen an
jedem strasseneck, wieder andere indentifizieren das internet als jenen
bösen ort, der nur zum terror führt und würden am liebsten auch noch das
telefonieren verbieten.

wo ein hype ist, sind die politiker_innen nicht weit, grosskundgebungen mit
mehr politischer prominenz, als es sich einzelne von ihnen gewünscht haben.
alle wollen sie charlie sein und dem naiven volk erklären, dass nur sie, die
heldenhaften wahrer_innen von demokratie und offenheit die garant_innen der
sicherheit sein können. sie, die oft genug selbst dem politischen kleingeld
zuliebe auch mal die eine oder andere hetze einstreuen oder feindseligkeiten
fördern, wenn es denn passt.

das alles lässt uns zunehmend ratlos werden. nebenschauplätze,
zwischenfragen, scheindiskussionen. was darf satire, was ist blasphemie, was
ist beleidigung, was geht, was geht nicht. ein gewirr an statements,
sicherheitsvorschlägen, alarmiertheiten und angstmeldungen löst verwirrung
und unsicherheit aus. gegen die unsicherheit gibt es bereits "je suis
charlie"-t-shirts zu kaufen. grosses kino.

was übersehen wir? wann ist der richtige zeitpunkt, die grundwerte einer
gesellschaft zu diskutieren? in zeiten ohne not finden wir solche
diskussionen langweilig bis überflüssig. in notzeiten, wie sie nun einmal
durch gröbere angriffe entstehen, scheinen wir erst recht keine zeit dafür
zu haben, die grundwerte zu diskutieren. deshalb haben wieder einmal die
vereinfachung, die verkürzung und die schnelle reflexhandlung ihre
ungeahnten erfolge.

wir sind auch kaum bereit, die grossen zusammenhänge zu sehen. die
erschütterung über die anschläge in paris ist u.a. auch deshalb so gross,
weil sie quasi vor unserer haustür, zumindest in uns allen vertrauten
strassenzügen stattfinden. andere massenmorde, serienanschläge,
vergewaltigungen und folterungen regen uns dagegen schon lange nicht mehr
auf. sie gehören quasi zum jausenbrot wie das gurkerl. die einen mögen es,
die andern weniger, niemanden alarmiert es.

kann das wirklich sein? ist das die haltung einer "je suis charlie"
generation?

ein in meldungen der dpa und afp vermutlich fälschlicherweise als "junge
selbstmordattentäterin" bezeichnetes 10jähriges mädchen wurde von den
terroristen der boko haram mit umgeschnallten sprengmitteln zur lebenden
bombe in maiduguri/nigeria und gemeinsam mit 19 anderen opfern per
fernzündung ermordet. hat uns kaum noch erschüttert? die massaker an
tausenden hilflosen dorfbewohner_innen waren dann auch nur eine halbe
zwischenmeldung wert. warum?

wer kann sich ein 10jähriges mädchen vorstellen, das zur hilflosen
todesmaschine umfunktioniert wird? geht uns das irgendwie in unser hirn
rein? oder machen wir lieber die augen zu? und wenn doch keine fernzündung,
sondern das versprechen auf einen ewigen himmel das zehnjährige mädchen die
tat ausführen liess, wäre das weniger grauenvoll?

wenn uns wer auch immer mehr sicherheit und weniger terror verspricht,
werden wir skeptisch sein müssen. selten wird hier wirkliche veränderung
angedacht. allzuoft wird der terror und der krieg nur verlagert. raus aus
unseren strassen, raus aus unseren städten, dorthin, wo es niemanden mehr
alarmiert. ziemlich naiv. und egozentrisch.

der tausch der angst gegen vermeintliche sicherheit hat auch seinen preis:
ganz "nebenbei" wird die kontrolle einer zahlenmässig ständig steigenden
schicht der verlierer_innen ausgebaut. es ist klar, dass wir eine
systemänderung brauchen. wem wollen wir die gestaltung der veränderungen
überlassen?

die nabelschau der naiven ist tödlich.

(Bernhard Jenny auf seinem Blog)

Quelle:
https://bernhardjenny.wordpress.com/2015/01/14/die-nabelschau-der-naiven-ist-todlich/



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