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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. Jänner 2015; 15:40
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Griechenland/Glosse:

> Die Wahlen, Syriza und die radikale Linke in Europa

Kommentar von *Aug und Ohr*

Nun wird man in Griechenland Ende Jänner wählen dürfen, weil die
Abgeordneten die Gnade hatten, einen wackligen Präsidentschaftskandidaten
fürs höchste Amt nicht zu bestätigen.

Retorten und Umstürze

Ja was macht denn da die Sozialdemokratie? Sie ist am Verfallen, hat sich
außerdem in zwei Teile gespalten, und Papandreou gründet eine eigene neue
Partei (1). Als ob die alte Sozialdemokratie nicht schon genug Zores hätte.
Eine wahre Gründerzeit! Den karrierebewußten Fraktionsleitern der
Bourgeoisie fällt seit Monaten nichts anderes ein als Parteien zu gründen -
die sich häufig als Retortenprodukte, die sie von Anfang waren, erweisen und
nach kurzer Zeit ihre Bedeutung verlieren. Einige versuchen weiter, das
"Zünglein an der Waage" zu spielen.

Wenn die Regierung "gestürzt" - wie die ununterbrochen von der Linken
wiederholte Wortprägung lautet (2) - wird, dann kann sie ja nur "gestürzt"
werden, indem sie ganz elektoralistisch von einer anderen von ihrem Platz
verdrängt wird, so schreiben es die Regeln vor, und über diese Regeln kann
sich derzeit keine Volksmacht hinwegsetzen, und diese Kraft kann nur Syriza
sein; nicht die KKE. Daher ist es sinnvoll, für Syriza zu votieren - eben um
die völlig verfaulten Sozialdemokraten (die in Griechenland noch mehr
diskreditiert sind als in Ungarn) und die Schwarzen (die Mitglieder der
Europäischen Volkspartei sind) wegzukriegen. Das sagt einem der gesunde
Hausverstand.

Man muß als Linker nicht für Syriza sein, um das zu favorisieren.

Die Angriffe auf Syriza betreffen alle, auch die Angriffe von innen.

Aber es wird einen massiven Angriff seitens "Europas", seitens des
Finanzkapitals, seitens der europäischen Schattenstaaten (des Tiefen Staates
der einzelnen Staaten) geben gegen Syriza (und er hat schon begonnen), der
für die ganze radikale Linke gefährlich sein wird [Anmerkung akin: siehe
z.B. Panikmache der Bild-Zeitung "BILD erklärt EURO-Schreck Tsipras (3)].
Die radikale Linke muß sich daher mit aller Macht gegen diese Angriffe, von
denen sie mitbetroffen ist, zur Wehr setzen. Und eines muß bedacht werden:
Es geht hier nicht nur um Syriza, es geht um die Reaktion und ihre Manöver!
Die Angriffe gegen Syriza müssen zum Anlaß für die schwache radikale Linke
Europas werden, verstärkt gegen die schärfste Reaktion vorzugehen. Insofern
wäre Syriza nützlich für eine Steigerung der Bemühungen der radikalen
Linken.

In den Ländern, in denen eine organisatorische Verbindung der
Griechenlandsolidaritätskomitees mit der Arbeiterklasse (nicht mit deren
Verrätern) , insbesondere mit unabhängigen und kämpferischen Gewerkschaften
möglich ist (Großbritannien, Italien, Spanien) ist eben auf dies prioritär
zu setzen. Kontraproduktiv, gefährlich und reaktionär sind hingegen
säuselnde Stellungnahmen, die etwa für eine Zusammenarbeit mit gelben
Kräften (etwa dem trägen Österreichischen Gewerkschaftsbund, einer der
gefährlichsten Kreaturen des Kapitals) plädieren und werben. Man sieht:
Entweder die Arbeiterklasse wird von dem Problem weggedrängt oder man dient
dem Problem falsche Führer an - die es möglicherweise zügeln.

Wozu können Wahlen dienen?

An den Wahlen kann die Infamie von Manövern in der Herrschaftsmaschinerie
abgelesen werden, Wahlen können zu einer Etappe führen, die eine partielle
Sicherung der Lebensgrundlagen, der Überlebensgrundlagen eines Teils der
Bevölkerung ermöglichen (dies wäre eine Theorie der Etappensicherung, keine
herkömmliche Etappentheorie), Wahlen sind ein Instrument, Reaktionäreres zu
kippen. Gerade aus extremer Radikalität muß man weise auf solid Machbares
setzen. Und daher auch auf den Kampf in den Institutionen. Wenn wir es
könnten, würden wir die Institutionen wegwischen. Wir haben 68 nicht
vergessen!

Die Wahloption betrifft im vorliegenden Fall Griechenland, ist nicht für
alle Länder gültig. Wenn alle radikal linken Organisationen in Griechenland
mit ihren gewerkschaftlichen und Betriebsfraktionen bei den
Gewerkschaftswahlen auf allen Ebenen mitstimmen, so werden sie sich dabei ja
was gedacht haben und sind damit keine parlamentaristischen Looser geworden,
sondern sie wissen genau, und das ist Tradition, wie der institutionelle
Kampf mit dem außerinstitutionellen unter griechischen Umständen verbunden
werden kann oder muß. Dem hat sich die Euro-Solidarität zu stellen.

Man sucht das Gleiche

Darüber hat sich die europäische Metropolenlinke nicht lustig zu machen. Was
hat denn diese Metropolenlinke, allen voran das Bewegungsgebilde Blockupy
bisher vorangebracht? Sie haben sich unter die Knute von sowas wie Attac,
von üblen Elementen aus der Rechten der Linkspartei, unter die Knute von
Autonomen, die, wie in Frankfurt, mit Zionisten konspirieren, unter die
Knute von zivilistischen Linksdemokraten, unter die Knute des AStA, der im
Hause der einstens radikalsten Studentenorganisaton "Deutschlands" jetzt
hausenden Pseudovertretung, die während der Blockupy-Zusammenkünfte das
Tragen von Palästinensertüchern verbietet und von italienischen
Postoperaisten und modischen Linksdemokraten begeben, und speziell der
deutsche Haufen hat von der Vielfalt der Bewegungen in Griechenland nicht
die geringste Ahnung, es werden immer nur dieselben Leute, die harmlosesten,
aus dem biedersten Bereich von Syriza etwa, wenn überhaupt, eingeladen. Über
Vio.Me [Anmerkung akin: besetzte Fabrik, produziert wird dort jetzt unter
Arbeiterkontrolle; viome.org]. scheint den meisten ihr Griechenland-Horizont
nicht hinausgewachsen zu sein, und aus Gewohnheit und um sich einer
Identität versichern zu können wird dieses ohne Zweifel bedeutende Projekt
immer mechanisch weiterpropagiert; aber schon die Selbstorganisation der ERT
[Anmerkung akin: griechischer Rundfunksender] wurde von ihnen aus Trägheit
links liegen gelassen! Niemals wurde je wer von der ERT nach "Deutschland"
eingeladen. Kürzlich ist ein linker Wirtschaftsberater von Tsipras
eingeladen worden, das ist schon etwas.

Eine Linke, die das Proletariat und die Pauperisierten unterstützen will,
sollte deren Kämpfe zunächst einmal ausführlich beschreiben, und analysieren
und bewerten. Dann müssen neue, auch für die europäische Linke relevante
Tendenzen herausgespürt werden.

Radikale Unabhängigkeit

Und das wären die Kämpfe für radikale, unabhängige Klassenorganisationen.
Die Autonomisierung der Kämpfe in Griechenland wie in den Metropolen
bedeutet eo ipso das Kappen jeder Verbindung zu staatlichen Kräften, die
Ablehnung jeglicher Unterstützung durch kapitalgefütterte Gruppen, die
Einstellung jeglicher Schnorrerei bei staatlichen Instanzen, jeglicher
Verbindung zu den Gelben. Griechenland kämpft uns das vor, und wir lernen
nichts davon? Viele Basiskollektivküchen lehnen eine jegliche Unterstützung,
auch durch Syriza, ab, um unabhängig zu bleiben und um aus eigener Kraft,
etwa wie die ollas in Chile, alles selbst betreiben und bestimmen zu können,
aus den Kräften des Volkes, das heißt übersetzt: der unteren betroffenen
Schichten. Andere Küchenkollektive werden von Syriza unterstützt. Da kommt
eben eine vermittelte Basiskraft von Syriza her.

Ist es nicht lächerlich, wenn mittel- und westeuropäische Staatsschnorrer,
so wie einige der westdeutschen Komitees, beanspruchen, für die radikale
Basis in Griechenland zu sprechen, die dem Staatsschnorren schon längst eine
Absage erteilt hat?

Aber ist Syriza nicht auch Staat? Ja, aber es ist Verwaltung von einer
anderen Qualität, erwachsen aus Basiskämpfen. Die Syriza-Politik mit der der
Schwarzen gleichzusetzen, das kann nur der KKE einfallen! - Ich möchte gerne
die Analyse lesen, die die Gruppierungen beschreibt, aus denen Syriza
erwachsen ist, die der jahrelangen Kämpfe der Maoisten, der
"Eurokommunisten", der Linkssozialisten, der Basisorganisationen. Dann hätte
man ein anderes Bild, das nicht platt auf "Sozialdemokratie" zu reduzieren
ist.

Die Linke Plattform, eine Verbündete.

Vernünftig wären mal Stellungnahmen für die Syriza-Linke, verbunden mit
Kritik an der rechten Syriza-Führung! So schizophren muß man schon sein.

Man darf übrigens die Einschätzung der Notwendigkeit von Solidarität nicht
trotzkistischen Splittergruppen überlassen, die immer nur ihren eigenen
Counterpart anpreisen und oft nicht einmal das. - Wenn Syriza gewählt wird,
dann wird auch deren linker Plattform die Möglichkeit gegeben, von einem
radikaleren und über größere institutionelle, logistische, finanzielle und
publizistische Möglichkeiten disponierenden Standort die Zerstörung sozialer
und politischer Rechte härter und schärfer wieder rückgängig zu machen und
deren Akteure härter und schärfer zurückzudrängen, oder etwa den
NATO-Austritt Griechenlands (der im Programm von Syriza steht!) schärfer und
nachdrücklicher als bisher auf die Tagesordnung zu setzen.

Natürlich zeichnet sich am Horizont tendenziell immer ein Kampf eines
Eurosozialdemokratismus im Schlepptau der Europäischen Linkspartei, also der
EU-Affirmativen gegen die radikalen Syriza-Gruppierungen und -stimmen ab,
die auch die harten EU-Gegner umfassen.

Wie wär´ zu kämpfen? Die Zerstörung der gewerkschaftlichen Rechte in
Griechenland etwa, die von der barbarischen, mitleidlosen, unheimlichen,
abgehobenen Troika-Diktatur bereits eingeleitet wurde, parallel zu beinahe
identisch zu nennenden Manövern in Italien und Ungarn, ist den
metropolitanen Linken keine Erwägung wert. Aber wer wird in Griechenland
massiv dagegen vorgehen können? Die radikale Linke allein? Nein. Syriza
allein, vielleicht. Die gelben Gewerkschaften oder die ihnen noch
verbleibende radikale Basis allein? Gewiß nicht! Die radikalen von den
gelben sich emanzipierenden Gewerkschaften (POSPERT)? Allein nicht.

In der gegenwärtigen Situation ist es sinnvoll, Syriza zu favorisieren, man
stelle sich aber in erster Linie auf radikale Basiskämpfe ein
(Hafenarbeiter, Kampf gegen die Mafien), manchmal mit dem Schulterschluß mit
Syriza, manchmal gegen deren Entscheidungen.

Am Anfang war die Machtübernahme durch die Sozialistische Partei Chiles ein
Katalysator der Bewegungen, dann wurde die selbstorganisierte Arbeiterschaft
von ihr entwaffnet. Man mußte die Solidarität mit dieser Partei aufsagen.
Aber keiner würde sagen, daß es nicht besser gewesen wäre, wenn die Unidad
Popular noch länger an der Macht geblieben wäre, und daß es besser war, daß
die faschistische Diktatur sie weggeputscht hat. (stark gekürzt)

(1) Philip Chrysopoulos: George Papandreou to Launch New Political Party,
Greek Reporter, 19. 12. 2014

(2) Aber anatropí hat auch die Bedeutungen von etwa "Streichung",
"Absetzung".

(3)
http://www.bild.de/politik/ausland/griechenland-krise/bild-erklaert-euro-schreck-tsipras-39143340.bild.html




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