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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. Jänner 2015; 16:04
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Bücher:

> Biographie Werner Scholem

Mirjam Zadoff
Der rote Hiob.
Das Leben des Werner Scholem.
Carl Hanser, München 2014. 382 Seiten

Wer den Namen Scholem hört, denkt unwillkürlich an den jüdischen
Religionswissenschaftler Gershom Scholem - den Freund und Briefpartner von
Walter Benjamin. Aber es gibt noch einen anderen Scholem, den Bruder Werner-
revolutionärer Marxist, Kritiker Stalins und im KZ Buchenwald ermordet. Die
vorliegende Biographie leistet einen wesentlichen Beitrag, diesen in
Vergessenheit geratenen Kämpfer der ArbeiterInnenbewegung wieder einem
breiteren Publikum bekannt zu machen.

Die Brüder Gershom (Gerhard) und Werner Schalom- aus dem "angepaßten"
jüdischen liberalen (oft deutschnational orientierten) Bürgertum kommend-
gingen in den Jugendjahren ähnliche Wege: Sie rebellierten gegen die "Welt
der Väter", sympathisierten mit dem Sozialismus und Zionismus. Während sich
Gerhard in die Schweiz absetzen konnte, mußte Werner im Ersten Weltkrieg
einrücken, erlebte voll dessen Schrecken unmittelbar mit, wurde an der
Ostfront schwer verwundet.

Werner hatte sich schon früh in der ArbeiterInnenbewegung organisatorisch
verankert, spielte inbesonders in der Jugendarbeit eine wichtige Rolle,
radikalisierte unter dem Eindruck des Krieges und dem Verrat der
sozialdemokratischen Führung (Zustimmmung zu den Kriegskrediten,
"Burgfrieden",....) seine politischen Positionen und fand über die USPD
schießlich den Weg zur KPD.

Gerhard hingegen nahm sein politisches Engagement immer mehr zurück,
verstärkte seine zionistische Haltung und Gläubigkeit. An die Stelle
tiefgehender Gesellschaftsanalysen trat die Beschwörung von "Dämonen" (S.
123) -- ähnlich wie bei dem "Arier" Doderer. Immer schärfer wurde auch die
Kritik am politischen Verhalten des Bruders.

Die Autorin schildert kenntnisreich das Auseinanderdriften des ungleichen
Brüderpaars: der eine wird Revolutionär, verurteilt den Stalinismus, wird
ein Weggefährte Trotzkis und schließlich -- nach langen Jahren politischer
Gefangenschaft - 1940 von den Nazis im KZ Buchenwald umgebracht. Der andere
wird weltbekannter Religionswissenschaftler, geht nach Palästina und hilft
dort mit den Zionismus praktisch umzusetzen- mit all den bekannten
katastrophalen Folgen für die arabische Bevölkerung.

Nicht übergangen wird das weitgehend traditionelle Frauenbild, das dem
Revolutionär Scholem eigen war, obwohl seine - nichtjüdische - Gattin selbst
politisch aktiv, belesen- also alles andere als ein "Hausmütterchen" war.

Wer Interesse an der -- extrem tragischen -- Geschichte der deutschen
ArbeiterInnenbewegung hat, sollte sich das Buch nicht entgehen lassen.

Über einige Punkte würde ich gerne mit der Autorin einen
kritisch-solidarischen Dialog führen -- etwa: die Auseinandersetzung mit der
"jüdischen Utopie" erscheint mit etwas zu kurz geraraten. Michael Löwy hat
dazu einige wunderbare Bücher geschrieben.

Die harten Bedingungen "21 Bedingungen" für Parteien, die in die
kommunistischen Internationale aufgenommen werden wollten, wurden in der
Realität recht flexibel gedandhabt (etwa gegenüber der italienischen
Linken).

Das Arbeitereinheitsfront-Konzept -- doch ein Schlüsselpunkt revolutionärer
Strategie und Taktik und für Trotzki kardinal im Kampf gegen den
Nationalsozialismus! -- wird in dem Buch nicht stringent behandelt.

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> Biographie Franz Kafka

Reiner Stach
Kafka. Die Jahre der Erkenntnis.
Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M 2011 726 Seiten, 15,40 Euro

Der dritte Teil der Kafka-Biographie von Reiner Stach behandelt die lezten
Lebensjahre des Prager Schriftstellers -- die Zeit von 1914-1924.

Zwei fundamentale Ereignisse warfen Kafka aus der Bahn: der
Weltkriegs-Beginn und die Umstände der Lösung der Verlobung mit Felicitas
Bauer. Das einsetzende Völkermorden schnitt ihn von der "Welt" ab: zu
Schriftstellerkollegen wie Musil hatte er keinen Kontakt mehr, die Beziehung
zu seinem Verleger Wolff riß weitgehend ab, private Sorgen und Ängste
plagten ihn: auch engste Familienmitglieder zogen in den Krieg.

Umso befremdender der Umstand, daß Kafka, der mit sozialistischen und
anarchistischen Ideen nicht nur in Berührung gekommen war, sondern aktiv an
linken Veranstaltungen teilnahm -- demonstrativ hatte er sich die rote Blume
angesteckt -- KRIEGSANLEIHEN zeichnete!

Bei der Entlobung von Felicitas Bauer wurde ihm die Wahrheit über sich
selbst ins Gesicht geschleudert -- worauf eine Veränderung der
Verteidigungs-Strategie seines neurotischen Alleinsein-Wollens einsetzte-
bis hin zur Lüge. Literarisch findet dies viel später (1923) seinen
Niederschlag in der Erzählung " Der Bau", wo ein dachsartiges Tier von außen
(!) das von ihm gegrabene und ihn schützen sollende Labyrinth genießend
betrachtet -- aber der "autobiographische Kern der Geschichte" ist hier zu
hier zu verorten (S. 33).

Diese Jahre sind geprägt von einer Schaffens-Blockade, Suizidgedanken --
Kafka unternimmt mehrere Anläufe, an die Front (sic!) zu kommen -- um der
Krise zu entfliehen.

Trotz der Kriegs- und persönlichen Wirren kommt es zu wichtige
Publikationen -- insbesonders von der "Verwandlung" -- auch stellt sich
immer mehr Anerkennung ein- selbst von Werfel, der ihn früher ignoriert
hatte.

Stach schildert all das ungemein präzis und mit großer Einfühlungsgabe. Auch
Kafkas Verhältnis zum Judentum und zur jüdischen Religion wird differenziert
behandelt (u.a. in dem Kapitel "Was habe ich mit Juden gemeinsam?", S.98
ff).

Der/die Leser/in bekommt voll mit, daß es nicht den "einen", den "Kafka aus
einem Guß" gibt- vielmehr sind deutlich Entwicklungen, ja Sprünge zu sehen.
In seinen "Mediationen" in Zürau gegen Kriegsende etwa will er "das Eigenste
mit dem Zeitgemäßen zusammendenken, er sucht sich in seiner Zeit zu
situieren, er sucht einen Ort, an dem es möglich ist, geistig zu überleben
(S.266). Und auch ein legendärer Text wie der "Brief an den Vater", eine
"erbarmungslose Abrechnung" (S.337) mit dem Haustyrannen ist nicht frei von
"Widersprüchen, und es hat nicht den Anschein, als sei sich Kafka ihrer
völlig bewußt gewesen"(S. 330).

Stach bemüht sich den sozialen Hintergrund des Lebens und Wirkens von Kafka
einzubeziehen, attackiert die "Geistes"wissenschaften- die von einer
gänzlichen "geistigen Autonomie" des schreibenden Subjekts von der
Gesellschaft schwadronieren (S. 25). Ehrlicherweise gilt es festzuhalten,
daß er diesem kritischen methodischen Ansatz selbst nur bedingt gerecht
wird. Die großen gesellschaftlichen Ereignisse nehmen vergleichsweise recht
wenig Raum ein, die Oktoberrevolution und ihre weltgeschichtliche Bedeutung
schrumpft bei ihm zum "Putsch der Bolschewiki" (S. 245).

Die ProtagonistInnen der ArbeiterInnenbewgung kommen bei ihm meist nur als
Opfer nicht als AkteurInnen vor: etwa die -jüdischen- Führer der Münchner
Räterepublik, die von der Reaktion brutal ermordet werden- begleitet vom
geifernden Geschrei der bürgerlichen Medien (S. 372). Nahezu gänzlich fehlt
bei Stach eine Behandlung der alles andere als kleinen tschechischen Linken.

Nichtsdestotrotz sollte man/ frau sich auf diesen dritten Teil seiner
umfassenden und tiefgehenden Kafka-Biographie einlassen und sich auch ihren
ersten Teil, der Kafkas Jugend-Jahre zum Gegenstand hat und gerade
erschienen ist ("Die frühen Jahre"), nicht entgehen lassen.

*Hermann Dworczak*



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