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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Dezember 2014; 02:55
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Syrien/Kurdistan:
> Die Frauen von Rojava
Bericht einer *Internationalen Frauendelegation*
Wir sind gerade von Rojava zurückgekommen, der freien Region Westkurdistan
in Nordsyrien. Wir möchten euch sagen, dass Frauen eine zentrale Rolle im
Aufbau einer neuen radikal-demokratischen Gesellschaft einnehmen. Diese
basiert auf Frauenbefreiung und auf der Entwicklung des Bewusstseins von
freien Menschen, von Frauen und Männern. Sie machten und machen eine
Revolution, trotz Bürgerkrieg und den imperialistischen Machtinteressen in
Syrien und dem faschistischen Terror durch den Daesch/IS.
Wir sehen es als eine feministische Revolution. Diese Revolution ist eine
praktische Realisierung einer revolutionären theoretischen Ausgestaltung,
die darauf basiert grundsätzlich alle Formen von Unterdrückung aufgrund des
Geschlechtes, der Klasse, Kultur und Ethnie zu hinterfragen. Dies ist
verbunden mit einer radikalen Analyse von einer 5000-jährigen Zivilisations-
und Frauengeschichte und mit einer selbstorganisierten Perspektive gegen
kolonialistische und imperialistische Machtinteressen und Kriege.
Die Frauendelegation wurde von der internationalen Vertretung der kurdischen
Frauenbewegung in Europa initiiert und wurde aus der Zusammenarbeit mit der
autonomen feministischen Bewegung realisiert. Sie fand vom 22. - 29.11.2014
statt. Die Teilnehmerinnen kamen aus Italien, Deutschland, Österreich und
Frankreich und waren im Alter von 25 - 75 Jahren.
Während in Europa zum 25.11. - Internationaler Widerstandstag gegen
Männergewalt gegen Frauen - in zahlreichen Städten Frauen auf die Straße
gingen, wollten auch wir unsere aktive Solidarität und Verbundenheit mit der
Revolution der Frauen in Rojava und dem Widerstand in Kobanê zum Ausdruck
bringen. Wir brachten Solidaritätsgrüße von 12 feministischen Organisationen
und Gruppen für die Frauenbewegung in Rojava mit.
Die Frauendelegation wurde von der Kurdischen Regionalregierung (KRG) im
Nordirak zwei Tage an der Ausreise nach Rojava behindert.
In Rojava hielt die Frauenbewegung am 24.11. einen Frauenkongress ab, an dem
sich rund 300 Frauen beteiligten und am 25.11. gab es in allen Kantonen und
Städten Frauendemonstrationen.
Unsere Absicht als Frauendelegation war es den Frauen zu begegnen, die
Strukturen der Frauenorganisierung kennen zu lernen und ihre Anliegen,
Analysen und Perspektiven zu verstehen.
Wir kamen mit dem Wissen, dass an den Kriegen im Mittleren Osten und gegen
die kurdische Freiheitsbewegung die politischen und ökonomischen
Machtinteressen der EU beteiligt sind und die EU auch von den Kriegen,
Waffenexporten und der Ausbeutung von Öl profitiert. Und wir kamen mit der
Erfahrung, dass in der Berichterstattung in den europäischen Ländern die
kämpfenden Frauen im bewaffneten Widerstand wiederum zu sexistischen
Objekten gemacht werden, statt sich mit den radikaldemokratischen
Perspektiven auf der Grundlage von Frauenbefreiung in allen Bereichen der
Gesellschaft auseinanderzusetzen.
Der Widerstand der Frauen ist ein Kampf für die Freiheit von kurdischen,
arabischen, syrischen Frauen und für alle Frauen auf der Welt. Es ist ein
Kampf für Würde und Menschlichkeit. Die Frauen kämpfen an der Front gegen
Daesh/IS als eigenständige bewaffnete Kraft. Und sie kämpfen autonom
organisiert in Frauenstrukturen und sind in allen generellen Strukturen der
basisdemokratischen Selbstorganisierung präsent. Sie kämpfen gegen das
sexistische und patriarchale System innerhalb der traditionellen Strukturen
der kurdischen, ezidischen und arabischen Gesellschaften, aber auch gegen
moderne patriarchale Strukturen, die im Mittleren Osten wie auch in Europa
existieren. Ihr Widerstand stellt den rassistischen und eurozentristischen
Blick radikal und grundsätzlich in Frage.
Bei unserer Ankunft in der KRG in Erbil/Hawler im Nordirak trafen wir,
aufgrund des Engagement einer Delegationsteilnehmerin als Anwältin für
Frauen- und Menschenrechte, einen Vertreter der ezidischen Gemeinschaft und
eine ezidische Frau, die aus der Gefangenschaft des Daesh/IS flüchten
konnte. Derzeit werden aufgrund erster Erhebungen 2000 - 7000 ezidische
Frauen und Mädchen vermisst und bisher konnten 305 Frauen aus der
Gefangenschaft und sexuellen Versklavung des Daesh/IS flüchten. Ihre
notwendige Befreiung und ihre Flucht ist Teil des Widerstandes in der
Region.
In Rojava besuchten wir am 1. Tag das Flüchtlingslager Newroz, in dem
derzeit 5000 - 6000 Flüchtlinge leben und eine Selbstorganisierung aufgebaut
wird. Es fehlt jedoch an vielen grundlegenden Sachen, wie Heizöfen für die
Zelte, da der Winter kommt, aber auch Nähmaschinen um Kleidung ausbessern
und nähen zu können. Viele versprochene Hilfsgüter und Gelder aus Europa und
von der UNO kommen vor Ort nicht an.
In den weiteren vier Tagen besuchten wir, in Zusammenarbeit mit der
Vertreterin des Komitees der Frauenbewegung für äußere Angelegenheiten,
Strukturen der Frauenbewegung. Die Frauen, die wir trafen verstehen sich als
Feministinnen. Sie sagen, dass sie auf den weltweiten Feminismus aufbauen
und auf den jahrzehntelangen kurdischen Frauenbefreiungskampf innerhalb der
kurdischen Freiheitsbewegung. Wir trafen uns mit Aktivistinnen und
Verantwortliche
* der Frauenbewegung Yekitiya Star (Einheit Star),
* einer Frauenkooperative,
* eines der Frauenzentren NPZJ (Navenda Perwerde û Zaniksta Jin, die in
jedem Stadtteil aufgebaut wurden),
* von SARA-Frauenorganisation gegen Gewalt gegen Frauen,
* einer Frauenakademie,
* der Akademie für AktivistInnen des neuen Rechtssystems Akademiya Zanistên
Civakî a Mezopotamya,
* der ersten Universität in kurdischer Sprache MEzopotam Ya,
* der Frauenmedien.
Wir besuchten
* eine Begräbnisstätte für gefallene KämfperInnen und trafen uns mit
* einer Einheit der Asayisa Jinê (Fraueneinheiten der Sicherheitskräfte in
der Gesellschaft) und
* einer Einheit der YPJ (bewaffnete Frauenverteidigungseinheiten).
Die Vertreterinnen von Strukturen haben keine eigene Wohnung, sondern leben
abwechselnd in Familien, um mit dem alltägliche Leben und Problemen der
Bevölkerung verbunden zu bleiben. Und die Vertreterinnen, Aktivistinnen und
Kämpferinnen nehmen kein Geld für ihre Arbeit. Sie bekommen Kleidung, Essen
und Dinge für den Lebensunterhalt von den kollektiven Strukturen.
Wir haben die Dekonstruktion von Geschlechterrollen und den Aufbau einer
neuen feministischen Gesellschaft gesehen, mit dem Auswirkungen innerhalb
des Hauses, in den Beziehungen, im Widerstand gegen Gewalt, in der Haltung
der Männer, in der bewussten Einflussnahme um Verdrehungen der Wahrheit zu
verhindern, und in den organisierten sozialen Strukturen, die ermöglichen
sich bewusst zu werden, zu studieren, zu erkennen, zu reagieren, zu
intervenieren...
Wir übernachteten bei Familien und begegneten uns im Alltag, in Gesprächen
mit "Händen und Füßen", Lachen und den Erzählungen von alltägliche
Basisarbeit, von Veränderungen des Alltags von Frauen, von Gefängnis und
Widerstand.
Wir sind sehr beeindruckt und berührt von den Begegnungen und danken allen
Freundinnen die wir trafen für ihr Engagement und die Gastfreundschaft.
Die Revolution der Frauen ist möglich.
Die Frauenbewegungen in Europa müssen sich bewegen und aufstehen, in
Solidarität und für den gemeinsamen Kampf für eine soziale Revolution auf
der Grundlage von Frauenbefreiung. Und wir müssen den Militarismus und die
Kriegspropaganda in Europa bekämpfen, die sich sowohl weltweit an Kriege und
Zerstörung beteiligen als auch diese in die Welt exportieren.
Die Frauen in Rojava machen ihren Teil. Jetzt liegt es an uns das unsere zu
tun. ###
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